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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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reits arge Verheerungen angerichtet, und der Plan des Oberbefehlshabers,
nach der Hauptstadt Hu6 zu ziehen, hat bis zum Eintreffen von Verstärkun¬
gen aus Europa vertagt werden müssen.

Die Anrennen haben sich bis jetzt so wenig tapfer geschlagen, wie ihre Nach¬
barn und Stammgenossen, die Chinesen an den Forts der Peihomündungen, ob-
wol sie von dem Angriff der Franzosen Kenntniß hatten und mit Kriegsmaterial
reichlich versehen waren. Ihre Forts waren im besten Zustande, die Mauern
neu ausgebessert, die Walle mit Kanonen vom schwersten Kaliber versehen.
Die Geschütze waren zum Theil aus Gußeisen, zum Theil von Kanonen¬
metall, die meisten waren sehr schön und alle mit neuen Blöcken als Unterlage
versehen. Außer seiner Armirung enthielt das Westfort einen Park Feldge¬
schütze. Es waren sechs- und neunpfündige Kanonen mit Bronzerohren. Die
Lafetten lagen auf sehr hohen Rädern, die sür die schlechten Straßen des Lan¬
des ganz vorzüglich passen. Die Handwaffen, die man in den eroberten Wer¬
ken fand, hatten nichts Besonderes an sich. Es waren gewöhnliche Flinten
aus französischen und belgischen Fabriken. Das Pulver, von dem man be¬
trächtliche Quantitäten erbeutete, war englischen Ursprungs und wahrscheinlich
in Singapur oder Hongkong gekauft.

Die Bucht von Turon bietet vom militärischen Gesichtspunkt alle mög¬
lichen Vortheile, und sie liegt zugleich von allen Häfen des Landes, welche
großen Schiffen die Einfahrt gestatten, der Hauptstadt Hu6 am nächsten. In
Beziehung auf den Handelsverkehr ist die südlicher gelegne Hauptstadt Nieder-
kochinchinas Saigong oder Gladius von größerer Wichtigkeit. Die Umge¬
bung dieser letztern Stadt ist der fruchtbarste Theil des Reiches Aram, und
wenn die Franzosen hier eine Factorei anlegten, so könnte dieselbe unter sonst
günstigen Umständen zum Stapelplatz nicht blos für die Erzeugnisse Nieder-
kochinchinas, sondern für alle die Waaren werden, welche das Nachbarland
Kambodscha ausführt. Diese beiden Länder werden von mächtigen Strömen
und einer großen Anzahl schöner Kanäle durchschnitten, welche den Verkehr
außerordentlich erleichtern würden.

Daß die Franzosen den Hafen von Turon behalten werden, ist mit Sicher¬
heit anzunehmen. Ob man sich in das Innere wagen wird, läßt sich noch
nicht sagen. Mit fünf- bis sechstausend Mann europäischer Truppen möchte
eine Eroberung Altans nicht unmöglich sein. Die Bevölkerung dieses Reiches
beläuft sich allerdings auf mehr als zwanzig Millionen, aber dieselben sind
über einen Raum von dreihundert Lieus (180 deutsche Meilen) zerstreut und
können deshalb ihre'Kontingente nicht leicht auf einem Punkt vereinigen. Die
europäische Kriegskunst und Bewaffnung der Angreifer würde übrigens die
Vertheidigung des Landes, auch wenn diese fünf- und sechsmal so viel Sol¬
daten zur Verfügung hätte, in kurzem zurückdrängen. Ferner könnte sich


reits arge Verheerungen angerichtet, und der Plan des Oberbefehlshabers,
nach der Hauptstadt Hu6 zu ziehen, hat bis zum Eintreffen von Verstärkun¬
gen aus Europa vertagt werden müssen.

Die Anrennen haben sich bis jetzt so wenig tapfer geschlagen, wie ihre Nach¬
barn und Stammgenossen, die Chinesen an den Forts der Peihomündungen, ob-
wol sie von dem Angriff der Franzosen Kenntniß hatten und mit Kriegsmaterial
reichlich versehen waren. Ihre Forts waren im besten Zustande, die Mauern
neu ausgebessert, die Walle mit Kanonen vom schwersten Kaliber versehen.
Die Geschütze waren zum Theil aus Gußeisen, zum Theil von Kanonen¬
metall, die meisten waren sehr schön und alle mit neuen Blöcken als Unterlage
versehen. Außer seiner Armirung enthielt das Westfort einen Park Feldge¬
schütze. Es waren sechs- und neunpfündige Kanonen mit Bronzerohren. Die
Lafetten lagen auf sehr hohen Rädern, die sür die schlechten Straßen des Lan¬
des ganz vorzüglich passen. Die Handwaffen, die man in den eroberten Wer¬
ken fand, hatten nichts Besonderes an sich. Es waren gewöhnliche Flinten
aus französischen und belgischen Fabriken. Das Pulver, von dem man be¬
trächtliche Quantitäten erbeutete, war englischen Ursprungs und wahrscheinlich
in Singapur oder Hongkong gekauft.

Die Bucht von Turon bietet vom militärischen Gesichtspunkt alle mög¬
lichen Vortheile, und sie liegt zugleich von allen Häfen des Landes, welche
großen Schiffen die Einfahrt gestatten, der Hauptstadt Hu6 am nächsten. In
Beziehung auf den Handelsverkehr ist die südlicher gelegne Hauptstadt Nieder-
kochinchinas Saigong oder Gladius von größerer Wichtigkeit. Die Umge¬
bung dieser letztern Stadt ist der fruchtbarste Theil des Reiches Aram, und
wenn die Franzosen hier eine Factorei anlegten, so könnte dieselbe unter sonst
günstigen Umständen zum Stapelplatz nicht blos für die Erzeugnisse Nieder-
kochinchinas, sondern für alle die Waaren werden, welche das Nachbarland
Kambodscha ausführt. Diese beiden Länder werden von mächtigen Strömen
und einer großen Anzahl schöner Kanäle durchschnitten, welche den Verkehr
außerordentlich erleichtern würden.

Daß die Franzosen den Hafen von Turon behalten werden, ist mit Sicher¬
heit anzunehmen. Ob man sich in das Innere wagen wird, läßt sich noch
nicht sagen. Mit fünf- bis sechstausend Mann europäischer Truppen möchte
eine Eroberung Altans nicht unmöglich sein. Die Bevölkerung dieses Reiches
beläuft sich allerdings auf mehr als zwanzig Millionen, aber dieselben sind
über einen Raum von dreihundert Lieus (180 deutsche Meilen) zerstreut und
können deshalb ihre'Kontingente nicht leicht auf einem Punkt vereinigen. Die
europäische Kriegskunst und Bewaffnung der Angreifer würde übrigens die
Vertheidigung des Landes, auch wenn diese fünf- und sechsmal so viel Sol¬
daten zur Verfügung hätte, in kurzem zurückdrängen. Ferner könnte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/384>, abgerufen am 24.07.2024.