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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Erfolg aufzutreten, nicht mehr in der Diplomatie, sondern in den materiellen
Bedingungen zu suchen sei. Die Idee einer exclusiver Eisenbahn wurde bis
auf Weiteres bei Seite gelegt, und der Plan einer Kanalisirung adoptirt.
Die ostindische Compagnie warf die Sache an die Börse. Sie wollte jetzt
das Geld schaffen, um wenigstens mit dem erforderlichen Capital zuerst am
Platze zu sein und so den Vorsprung wieder einzuholen, welchen Oestreich
und Frankreich gewonnen hatten. Um das Interesse der englischen Capitalien
zu wecken, schob man die Frage nach der indischen Ueberlandroute in den
Vordergrund. Man ging auf die Linie von Suez nach Alexandrien ein und
stellte -- wer erinnert sich nicht des athemlosen Lieutenants Waghorn und
seiner Siebenmeilenstiefelgeschwindigkeit? -- Versuche an, ob man rascher über
Triest oder über Marseille nach London gelange. Als man in Wien und
Paris diese neue Wendung der Dinge gewahr wurde, beeilte man sich, die
gleiche Bahn zu betreten, d. h. die Angelegenheit der Privatthätigkeit, den
Männern der Börse anheimzugeben. Von Paris und Lyon gingen die ersten
Bestrebungen aus. In Triest nahm sich besonders der östreichische Lloyd der
Sache an. Deutschland blieb allen Anregungen zur Mitbethciligung, allen
Hinweisen auf "seine Zukunft im Osten" gegenüber, fast ganz theilnahmlos-
Es sah eben seinen wahren Vortheil in entgegengesetzter Richtung, im Westen,
im Verkehr mit Amerika. Nachdem 1845 Vorverhandlungen stattgefunden,
bildete sich im Jahr 1846 in Paris jene Gesellschaft zur Untersuchung der
technischen Fragen, deren wir im vorigen Abschnitt gedachten. Als dieselbe
1848 mit Erforschung der Verhältnisse des Isthmus zu Stande kam, brach
die Februarrevolution aus, und es trat in dem Fortschritt der Angelegenheit
eine Stockung ein, die von England sofort benutzt wurde.

Man hatte sich in London nur wider Willen von der Idee einer Eisen-
bahn unter englischer Hoheit über die Landenge getrennt, und kaum erfuhr man
von der Störung durch die Februarercignisse, so ließ man den widerwillig an'
genommenen Plan der Kanalisirung füllen und betrat den verlassenen
wieder. Abbas Pascha, der Nachfolger Mehemed Alis, wurde gewonnen und
plötzlich traf in Wien und Paris die Nachricht ein, derselbe habe einer eng'
Aschen Gesellschaft die Erlaubniß zum Bau einer Eisenbahn zwischen Alexan¬
drien und Suez ertheilt. Damit war der Zeitpunkt gekommen, wo es si^)
um die Existenz des Kanalprojects handelte, und sofort machten sich Oestreich
und Frankreich an die Arbeit, das verlorene Terrain wiederzuerobern. Es gelang
zwar nicht, die Eisenbahnconccssion rückgängig zu machen, und die projectirte
Schienenstraße wurde von Alexandrien bis Kairo von Engländern erbaut-
Aber Frankreich, welches jetzt die Hauptrolle unter den Gegnern Englands
auf diesem Gebiet zu spielen begann, verstand es, den Nachfolger Abba6
Paschas, Said Pascha zu gewinnen. Dieser übertrug die Wetterführung der


Erfolg aufzutreten, nicht mehr in der Diplomatie, sondern in den materiellen
Bedingungen zu suchen sei. Die Idee einer exclusiver Eisenbahn wurde bis
auf Weiteres bei Seite gelegt, und der Plan einer Kanalisirung adoptirt.
Die ostindische Compagnie warf die Sache an die Börse. Sie wollte jetzt
das Geld schaffen, um wenigstens mit dem erforderlichen Capital zuerst am
Platze zu sein und so den Vorsprung wieder einzuholen, welchen Oestreich
und Frankreich gewonnen hatten. Um das Interesse der englischen Capitalien
zu wecken, schob man die Frage nach der indischen Ueberlandroute in den
Vordergrund. Man ging auf die Linie von Suez nach Alexandrien ein und
stellte — wer erinnert sich nicht des athemlosen Lieutenants Waghorn und
seiner Siebenmeilenstiefelgeschwindigkeit? — Versuche an, ob man rascher über
Triest oder über Marseille nach London gelange. Als man in Wien und
Paris diese neue Wendung der Dinge gewahr wurde, beeilte man sich, die
gleiche Bahn zu betreten, d. h. die Angelegenheit der Privatthätigkeit, den
Männern der Börse anheimzugeben. Von Paris und Lyon gingen die ersten
Bestrebungen aus. In Triest nahm sich besonders der östreichische Lloyd der
Sache an. Deutschland blieb allen Anregungen zur Mitbethciligung, allen
Hinweisen auf „seine Zukunft im Osten" gegenüber, fast ganz theilnahmlos-
Es sah eben seinen wahren Vortheil in entgegengesetzter Richtung, im Westen,
im Verkehr mit Amerika. Nachdem 1845 Vorverhandlungen stattgefunden,
bildete sich im Jahr 1846 in Paris jene Gesellschaft zur Untersuchung der
technischen Fragen, deren wir im vorigen Abschnitt gedachten. Als dieselbe
1848 mit Erforschung der Verhältnisse des Isthmus zu Stande kam, brach
die Februarrevolution aus, und es trat in dem Fortschritt der Angelegenheit
eine Stockung ein, die von England sofort benutzt wurde.

Man hatte sich in London nur wider Willen von der Idee einer Eisen-
bahn unter englischer Hoheit über die Landenge getrennt, und kaum erfuhr man
von der Störung durch die Februarercignisse, so ließ man den widerwillig an'
genommenen Plan der Kanalisirung füllen und betrat den verlassenen
wieder. Abbas Pascha, der Nachfolger Mehemed Alis, wurde gewonnen und
plötzlich traf in Wien und Paris die Nachricht ein, derselbe habe einer eng'
Aschen Gesellschaft die Erlaubniß zum Bau einer Eisenbahn zwischen Alexan¬
drien und Suez ertheilt. Damit war der Zeitpunkt gekommen, wo es si^)
um die Existenz des Kanalprojects handelte, und sofort machten sich Oestreich
und Frankreich an die Arbeit, das verlorene Terrain wiederzuerobern. Es gelang
zwar nicht, die Eisenbahnconccssion rückgängig zu machen, und die projectirte
Schienenstraße wurde von Alexandrien bis Kairo von Engländern erbaut-
Aber Frankreich, welches jetzt die Hauptrolle unter den Gegnern Englands
auf diesem Gebiet zu spielen begann, verstand es, den Nachfolger Abba6
Paschas, Said Pascha zu gewinnen. Dieser übertrug die Wetterführung der


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[0360] Erfolg aufzutreten, nicht mehr in der Diplomatie, sondern in den materiellen Bedingungen zu suchen sei. Die Idee einer exclusiver Eisenbahn wurde bis auf Weiteres bei Seite gelegt, und der Plan einer Kanalisirung adoptirt. Die ostindische Compagnie warf die Sache an die Börse. Sie wollte jetzt das Geld schaffen, um wenigstens mit dem erforderlichen Capital zuerst am Platze zu sein und so den Vorsprung wieder einzuholen, welchen Oestreich und Frankreich gewonnen hatten. Um das Interesse der englischen Capitalien zu wecken, schob man die Frage nach der indischen Ueberlandroute in den Vordergrund. Man ging auf die Linie von Suez nach Alexandrien ein und stellte — wer erinnert sich nicht des athemlosen Lieutenants Waghorn und seiner Siebenmeilenstiefelgeschwindigkeit? — Versuche an, ob man rascher über Triest oder über Marseille nach London gelange. Als man in Wien und Paris diese neue Wendung der Dinge gewahr wurde, beeilte man sich, die gleiche Bahn zu betreten, d. h. die Angelegenheit der Privatthätigkeit, den Männern der Börse anheimzugeben. Von Paris und Lyon gingen die ersten Bestrebungen aus. In Triest nahm sich besonders der östreichische Lloyd der Sache an. Deutschland blieb allen Anregungen zur Mitbethciligung, allen Hinweisen auf „seine Zukunft im Osten" gegenüber, fast ganz theilnahmlos- Es sah eben seinen wahren Vortheil in entgegengesetzter Richtung, im Westen, im Verkehr mit Amerika. Nachdem 1845 Vorverhandlungen stattgefunden, bildete sich im Jahr 1846 in Paris jene Gesellschaft zur Untersuchung der technischen Fragen, deren wir im vorigen Abschnitt gedachten. Als dieselbe 1848 mit Erforschung der Verhältnisse des Isthmus zu Stande kam, brach die Februarrevolution aus, und es trat in dem Fortschritt der Angelegenheit eine Stockung ein, die von England sofort benutzt wurde. Man hatte sich in London nur wider Willen von der Idee einer Eisen- bahn unter englischer Hoheit über die Landenge getrennt, und kaum erfuhr man von der Störung durch die Februarercignisse, so ließ man den widerwillig an' genommenen Plan der Kanalisirung füllen und betrat den verlassenen wieder. Abbas Pascha, der Nachfolger Mehemed Alis, wurde gewonnen und plötzlich traf in Wien und Paris die Nachricht ein, derselbe habe einer eng' Aschen Gesellschaft die Erlaubniß zum Bau einer Eisenbahn zwischen Alexan¬ drien und Suez ertheilt. Damit war der Zeitpunkt gekommen, wo es si^) um die Existenz des Kanalprojects handelte, und sofort machten sich Oestreich und Frankreich an die Arbeit, das verlorene Terrain wiederzuerobern. Es gelang zwar nicht, die Eisenbahnconccssion rückgängig zu machen, und die projectirte Schienenstraße wurde von Alexandrien bis Kairo von Engländern erbaut- Aber Frankreich, welches jetzt die Hauptrolle unter den Gegnern Englands auf diesem Gebiet zu spielen begann, verstand es, den Nachfolger Abba6 Paschas, Said Pascha zu gewinnen. Dieser übertrug die Wetterführung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/360>, abgerufen am 24.07.2024.