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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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unterm Himmel an ihren Felsen und Bergen mit Riesenbuchstaben." "AN
die großen Begebenheiten, welche die christliche Religion voraussetzt und zum
Theil darauf sich gründet, hallen in den ältesten Schriften der asiatischen Na¬
tionen wieder." In Bezug auf die Formen ist er noch immer tolerant; wenn
er sich zuweilen zu den Herrnhutern neigt, erkennt er auch die Vorzüge der
katholischen Kirche an, er macht auf die guten Seiten des Klosterwesens, der
Fasten aufmerksam; er selbst bleibt Protestant, aber wo ihm warmer Glaube
entgegentritt, findet er sich zu Hause.

Die französische Revolution rief, wie überall, auch in Norddeutschland
die unangenehmsten Zerwürfnisse hervor. Im Anfang hatten Klopstock, Stol¬
berg u. f. w. ihr zugejauchzt, bald trat die bittere Enttäuschung ein, und
als Jacobi im October 1794 dahin flüchtete, als I. G. Schlosser ihm 1?^
folgte, wurde der holsteinische Adel der Mittelpunkt der deutschen Reaction-
In dein stillen Wandsbeck sammelten sich diese Feinde der "wülschen Freiheit"
um so lieber, da Claudius nie mit der Revolution gebuhlt hatte. Mon¬
archisch gesinnt war er stets; zwar verlangte er in seiner Gemüthlichkeit von de"
Fürsten, sie sollten ..die bessern Männer" sein, sie sollten nicht "Blut dürsten"'
aber Gehorsam verlangt er -- schon 1777 -- "nicht blos gegen die gütige"
und gelinden, sondern auch gegen die wunderlichen Fürsten." 1794 schrieb
er eine Flugschrift "über die neue Politik". Er verkennt die Gebrechen des
Alten nicht, aber "die Besserung müsse nicht ärger als das Uebel sein, das
man bessern wolle;" Anhänglichkeit und Vorurtheil für das Alte sei edler als
Vorurtheil für das Neue; die alte Ordnung erscheint ihm für die menschlich
Natur, wie sie ist, als eine heilsame Zucht und als nothwendige Schrank
sür Selbstsucht, Frevel und Eigendünkel, als eine Pflege edlen Vertrauens,
des Gehorsams, der Bescheidenheit. Denn "was soll man von einem
scheu erwarten, der kein Vertrauen hat. der alles selbst sehen und betaste"
will, und immer über seine Rechte brütet?" -- Weil es in Wandsbeck
müthlich zuging, wollte er an die eirroniciuv av 1'Ovil as Local und
Calonnes Finanzwirthschaft nicht glauben. Die berühmte "Klage" von 1?^
-- "Sie dünkten sich die Herren aller Herrn, zertraten alle Ordnung, Sitt
und Weise und gingen übermüthig neue Gleise ... sie beten Unsinn an u"d
thun dem Teufel Ehre, und stellen Greuel auf Altäre!" -- übertreibt die P'^
vel der Revolution nicht im mindesten; der Bote vergißt nur, daß in Deutsch'
laut die Predigt an eine andere Adresse hätte geschickt werden sollen.-- 2'"
October 1795 veröffentlichte Claudius die Fabel vom Censor Brummelbäl¬
den der Fürst auf allgemeines Begehren angekettet, als aber ein allgemein^
Unfug darüber ausbricht: "Ich rechnete aus angestammten Triebe auf
Sinn und Wahrheitsliebe; sie waren es nicht werth, die subter klein u"°
groß -- macht doch den Bären wieder los!" Voß antwortete darauf mit d^


unterm Himmel an ihren Felsen und Bergen mit Riesenbuchstaben." „AN
die großen Begebenheiten, welche die christliche Religion voraussetzt und zum
Theil darauf sich gründet, hallen in den ältesten Schriften der asiatischen Na¬
tionen wieder." In Bezug auf die Formen ist er noch immer tolerant; wenn
er sich zuweilen zu den Herrnhutern neigt, erkennt er auch die Vorzüge der
katholischen Kirche an, er macht auf die guten Seiten des Klosterwesens, der
Fasten aufmerksam; er selbst bleibt Protestant, aber wo ihm warmer Glaube
entgegentritt, findet er sich zu Hause.

Die französische Revolution rief, wie überall, auch in Norddeutschland
die unangenehmsten Zerwürfnisse hervor. Im Anfang hatten Klopstock, Stol¬
berg u. f. w. ihr zugejauchzt, bald trat die bittere Enttäuschung ein, und
als Jacobi im October 1794 dahin flüchtete, als I. G. Schlosser ihm 1?^
folgte, wurde der holsteinische Adel der Mittelpunkt der deutschen Reaction-
In dein stillen Wandsbeck sammelten sich diese Feinde der „wülschen Freiheit"
um so lieber, da Claudius nie mit der Revolution gebuhlt hatte. Mon¬
archisch gesinnt war er stets; zwar verlangte er in seiner Gemüthlichkeit von de»
Fürsten, sie sollten ..die bessern Männer" sein, sie sollten nicht „Blut dürsten"'
aber Gehorsam verlangt er — schon 1777 — „nicht blos gegen die gütige»
und gelinden, sondern auch gegen die wunderlichen Fürsten." 1794 schrieb
er eine Flugschrift „über die neue Politik". Er verkennt die Gebrechen des
Alten nicht, aber „die Besserung müsse nicht ärger als das Uebel sein, das
man bessern wolle;" Anhänglichkeit und Vorurtheil für das Alte sei edler als
Vorurtheil für das Neue; die alte Ordnung erscheint ihm für die menschlich
Natur, wie sie ist, als eine heilsame Zucht und als nothwendige Schrank
sür Selbstsucht, Frevel und Eigendünkel, als eine Pflege edlen Vertrauens,
des Gehorsams, der Bescheidenheit. Denn „was soll man von einem
scheu erwarten, der kein Vertrauen hat. der alles selbst sehen und betaste"
will, und immer über seine Rechte brütet?" — Weil es in Wandsbeck
müthlich zuging, wollte er an die eirroniciuv av 1'Ovil as Local und
Calonnes Finanzwirthschaft nicht glauben. Die berühmte „Klage" von 1?^
— „Sie dünkten sich die Herren aller Herrn, zertraten alle Ordnung, Sitt
und Weise und gingen übermüthig neue Gleise ... sie beten Unsinn an u»d
thun dem Teufel Ehre, und stellen Greuel auf Altäre!" — übertreibt die P'^
vel der Revolution nicht im mindesten; der Bote vergißt nur, daß in Deutsch'
laut die Predigt an eine andere Adresse hätte geschickt werden sollen.— 2'"
October 1795 veröffentlichte Claudius die Fabel vom Censor Brummelbäl¬
den der Fürst auf allgemeines Begehren angekettet, als aber ein allgemein^
Unfug darüber ausbricht: „Ich rechnete aus angestammten Triebe auf
Sinn und Wahrheitsliebe; sie waren es nicht werth, die subter klein u"°
groß — macht doch den Bären wieder los!" Voß antwortete darauf mit d^


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/356>, abgerufen am 24.07.2024.