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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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>nit voller Ueberzeugung bei dem Kriege; er führte ihn blos fort, so lange er
mußte; schon früher befand er sich wegen der absoluten Militärpolitik in Mei¬
nungsverschiedenheit mit dem Kaiser Nikolaus; die Kriegspnrtei fand nach
dessen Tode im Großfürsten Konstantin den entschiedensten Vertreter ihrer Po¬
litik; Kaiser Alexander durfte nur, ohne Rußlands Würde zu gefährden, bei
Nikolaus'Tode keinen Frieden machen; die nachherige Behandlung des Kam¬
pfes war das Resultat einer Verständigung der Brüder Alexander und Kon¬
stantin, wonach jeder seine persönlichen Neigungen dem gegebenen Gange
und den Consequenzen einer von nutoritätischen Einmischungen (des Kaisers,
wie des Großfürsten) unbeirrten Cabinetspolitik' unterzuordnen hatte. Ange¬
nommen, daß dies alles so. bestimmte Thatsachen, als Behauptungen sind:
erscheint dann die Selbstbeherrschung des Selbstherrschers nicht um so bemer¬
kenswerther? Ist es denkbar, daß ein Mann auf Rußlands Thron, welcher
ja nicht unvorbereitet dorthin gelangte, sondern bereits seit zehn Jahren an
der Negierung seines Vaters Theil genommen hatte, die ganze Kriegserb¬
schaft so vollständig, so bis zu den äußersten Consequenzen hätte antreten
können und mögen, wenn er für die Zukunft seines Staates nicht schon feste
Pläne gefaßt gehabt, wenn er in Rußlands Kriegszuständen nicht ebenfalls
die Voraussetzungen erreichbar gesunden hätte, welche er für deren Verwirk¬
lichung bedürfte?

Daß Kaiser Alexander, lange bevor er zur Regierung gelangte, mit seinen
Plänen zur Reformirung der innern Staats- und Gescllschaftszustände geistig
vertraut sein mußte, kann heute, dn wir deren Anbahnung in den verschie¬
denste Sphären des öffentlichen Lebens ineinandergrcisen sehen, niemandem
^in Zweifel sein. Nikolaus 1. schloß die Augen zum Sterben mit dem Be¬
kenntniß an den Thronfolger: "Ich wollte fortfahren, so zu arbeiten, daß ich
Dir das Reich in fester Ordnung, geschützt gegen äußere Gefahren, vollkommen
glücklich und ruhig hinterließe; aber Du siehst, zu welcher Zeit und unter
Welchen Umständen ich sterbe, Gott hat es so gewollt, Du wirst es schwer
haben." Grade wenn Alexander "bereits seit zehn Jahren sowol an den
Plänen, als an der Regierung" seines Vaters Theil genommen hatte, ohne
doch bedingend darauf wirken zu können, wie es bei Nikolaus starrem Cha¬
rakter und verbitterter Befangenheit vorauszusetzen ist, so hatte er voraussehn
Müssen, daß er das Reich weder im Frieden, noch glücklich, noch ruhig über¬
kommen werde. Seine einzige Erwartung konnte also sein, daß er es mit
Gewohnheit stummen Gehorsams und unbedingter Folgsamkeit für den
kaiserlichen Willen, vielleicht auch in strenger formeller Ordnung erde. Doch
^lbst diese geringen Begünstigungen seiner Zukunftspläne hatten die letzten
^ühre verschwinden lassen. Für den .Kriegszweck waren die nationalaristo-


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>nit voller Ueberzeugung bei dem Kriege; er führte ihn blos fort, so lange er
mußte; schon früher befand er sich wegen der absoluten Militärpolitik in Mei¬
nungsverschiedenheit mit dem Kaiser Nikolaus; die Kriegspnrtei fand nach
dessen Tode im Großfürsten Konstantin den entschiedensten Vertreter ihrer Po¬
litik; Kaiser Alexander durfte nur, ohne Rußlands Würde zu gefährden, bei
Nikolaus'Tode keinen Frieden machen; die nachherige Behandlung des Kam¬
pfes war das Resultat einer Verständigung der Brüder Alexander und Kon¬
stantin, wonach jeder seine persönlichen Neigungen dem gegebenen Gange
und den Consequenzen einer von nutoritätischen Einmischungen (des Kaisers,
wie des Großfürsten) unbeirrten Cabinetspolitik' unterzuordnen hatte. Ange¬
nommen, daß dies alles so. bestimmte Thatsachen, als Behauptungen sind:
erscheint dann die Selbstbeherrschung des Selbstherrschers nicht um so bemer¬
kenswerther? Ist es denkbar, daß ein Mann auf Rußlands Thron, welcher
ja nicht unvorbereitet dorthin gelangte, sondern bereits seit zehn Jahren an
der Negierung seines Vaters Theil genommen hatte, die ganze Kriegserb¬
schaft so vollständig, so bis zu den äußersten Consequenzen hätte antreten
können und mögen, wenn er für die Zukunft seines Staates nicht schon feste
Pläne gefaßt gehabt, wenn er in Rußlands Kriegszuständen nicht ebenfalls
die Voraussetzungen erreichbar gesunden hätte, welche er für deren Verwirk¬
lichung bedürfte?

Daß Kaiser Alexander, lange bevor er zur Regierung gelangte, mit seinen
Plänen zur Reformirung der innern Staats- und Gescllschaftszustände geistig
vertraut sein mußte, kann heute, dn wir deren Anbahnung in den verschie¬
denste Sphären des öffentlichen Lebens ineinandergrcisen sehen, niemandem
^in Zweifel sein. Nikolaus 1. schloß die Augen zum Sterben mit dem Be¬
kenntniß an den Thronfolger: „Ich wollte fortfahren, so zu arbeiten, daß ich
Dir das Reich in fester Ordnung, geschützt gegen äußere Gefahren, vollkommen
glücklich und ruhig hinterließe; aber Du siehst, zu welcher Zeit und unter
Welchen Umständen ich sterbe, Gott hat es so gewollt, Du wirst es schwer
haben." Grade wenn Alexander „bereits seit zehn Jahren sowol an den
Plänen, als an der Regierung" seines Vaters Theil genommen hatte, ohne
doch bedingend darauf wirken zu können, wie es bei Nikolaus starrem Cha¬
rakter und verbitterter Befangenheit vorauszusetzen ist, so hatte er voraussehn
Müssen, daß er das Reich weder im Frieden, noch glücklich, noch ruhig über¬
kommen werde. Seine einzige Erwartung konnte also sein, daß er es mit
Gewohnheit stummen Gehorsams und unbedingter Folgsamkeit für den
kaiserlichen Willen, vielleicht auch in strenger formeller Ordnung erde. Doch
^lbst diese geringen Begünstigungen seiner Zukunftspläne hatten die letzten
^ühre verschwinden lassen. Für den .Kriegszweck waren die nationalaristo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/333>, abgerufen am 24.07.2024.