Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.-- rief er -- Uns leiten und schirmen, daß Wir Nußland auf der höchsten Kaiser Alexander -- wird vielfach behauptet -- war überhaupt niemals — rief er — Uns leiten und schirmen, daß Wir Nußland auf der höchsten Kaiser Alexander — wird vielfach behauptet — war überhaupt niemals <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187284"/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> — rief er — Uns leiten und schirmen, daß Wir Nußland auf der höchsten<lb/> Stufe der Macht und des Ruhmes erhalten und sich durch Uns erfüllen die<lb/> unablässigen Wünsche und Absichten Unserer erhabenen Vorfahren Peters,<lb/> Katharinas, Alexanders des Gesegneten und Unseres unvergeßlichen Vaters."<lb/> Kriegsmuthig und kampfentschlossen bis zum Aeußersten lauteten ferner alle<lb/> Ansprachen des Kaisers an die Großwürdenträger, den Senat, die fremden<lb/> Gesandten. Ganz in derselben Weise, wie Kaiser Nikolaus es gethan, con-<lb/> centrirte auch Alexander II. alle Kräfte des Staates und der Nation ausschlie߬<lb/> lich auf den Krieg. Doch eins bleibt für den Beobachter höchst bemerkenswerth:<lb/> der Wegfall jener leidenschaftlichen Gereiztheit des Kaisers Nikolaus, womit<lb/> dieser alle Gänge der Gegner auf den diplomatischen und waffendröhnendcn<lb/> Wahlstätten wie persönliche Zumuthungen und Beleidigungen behandelt und<lb/> die Gewebe seiner Diplomatie oft genug vorzeitig enthüllt oder auch zu sei¬<lb/> nem eigenen Schaden durchbrochen hatte. Die diplomatischen Gänge liefen<lb/> jetzt offenbar zu Petersburg nicht mehr in zwei verschiedenen Centren, im<lb/> Ministerium des Auswärtigen und in der Privatkanzlei des Kaisers, sondern<lb/> einheitlich im Cabinet des Staatskanzlers zusammen. Die Stellung Alexan¬<lb/> ders II. dazu erschien keine persönliche, rücksichtslos hineinredende, sondern<lb/> nur eine endgiltig entscheidende; sie wurde die geschäftliche des Monarchen,<lb/> blieb nicht die eines von momentanen Wallungen bedingten „Allerhöchsten<lb/> Willens". Damit wich zugleich aus Rußlands ganzer Haltung jener zelotische<lb/> Fanatismus, welcher den Kampf wie einen heiligen Kreuzzug gegen den Anti¬<lb/> christ behandelt hatte; die Vertheidigung des Vaterlandes ausschließlich ward den<lb/> Nüssen als Zweck verkündet. Mit dieser Basis war nachher die Möglichkeit<lb/> gegeben, auf die europäischen Friedensvorschläge einzugehen, ohne der national¬<lb/> aristokratischen Kriegspartei den Heiligenschein eines vom Zaren verlassenen<lb/> Mürtyrerthums zu verleihen und ohne der kriegsmüden, bis auf den Landsturm<lb/> ins Feld gestellten Nation anch die letzten Kräfte zum Wiederbeginn eines<lb/> neuen Lebens auf den verlassenen und verödeten Stätten des alten zu rauben.<lb/> Denn die Friedensvorschläge stellten die Zurückgabe des von den Feinden be-<lb/> setzten Landstriches obenan und unmittelbar daneben die Vollziehung derjeni¬<lb/> gen Bedingung, in deren Namen Kaiser Nikolaus das Kriegsbayner entfaltet<lb/> hatte: die Emancipation der Christen in der Türkei. Alle anderen Speciali¬<lb/> täten des Friedens berührten das russische Nationalgefühl nicht unmittelbar;<lb/> es waren Fragen der diplomatischen Berechnung, welche das Volk zum großen<lb/> Theil nicht verstand. Besonders aber hatte nicht Nußland den Frieden an¬<lb/> geboten, sondern die gegnerische „Coalition;" Rußland erfüllte nur großmüthig<lb/> den „Wunsch der Nachbarvölker", wenn es auch „die immer furchtbarer an¬<lb/> wachsende Coalition" mit in Betracht zog.</p><lb/> <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Kaiser Alexander — wird vielfach behauptet — war überhaupt niemals</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
— rief er — Uns leiten und schirmen, daß Wir Nußland auf der höchsten
Stufe der Macht und des Ruhmes erhalten und sich durch Uns erfüllen die
unablässigen Wünsche und Absichten Unserer erhabenen Vorfahren Peters,
Katharinas, Alexanders des Gesegneten und Unseres unvergeßlichen Vaters."
Kriegsmuthig und kampfentschlossen bis zum Aeußersten lauteten ferner alle
Ansprachen des Kaisers an die Großwürdenträger, den Senat, die fremden
Gesandten. Ganz in derselben Weise, wie Kaiser Nikolaus es gethan, con-
centrirte auch Alexander II. alle Kräfte des Staates und der Nation ausschlie߬
lich auf den Krieg. Doch eins bleibt für den Beobachter höchst bemerkenswerth:
der Wegfall jener leidenschaftlichen Gereiztheit des Kaisers Nikolaus, womit
dieser alle Gänge der Gegner auf den diplomatischen und waffendröhnendcn
Wahlstätten wie persönliche Zumuthungen und Beleidigungen behandelt und
die Gewebe seiner Diplomatie oft genug vorzeitig enthüllt oder auch zu sei¬
nem eigenen Schaden durchbrochen hatte. Die diplomatischen Gänge liefen
jetzt offenbar zu Petersburg nicht mehr in zwei verschiedenen Centren, im
Ministerium des Auswärtigen und in der Privatkanzlei des Kaisers, sondern
einheitlich im Cabinet des Staatskanzlers zusammen. Die Stellung Alexan¬
ders II. dazu erschien keine persönliche, rücksichtslos hineinredende, sondern
nur eine endgiltig entscheidende; sie wurde die geschäftliche des Monarchen,
blieb nicht die eines von momentanen Wallungen bedingten „Allerhöchsten
Willens". Damit wich zugleich aus Rußlands ganzer Haltung jener zelotische
Fanatismus, welcher den Kampf wie einen heiligen Kreuzzug gegen den Anti¬
christ behandelt hatte; die Vertheidigung des Vaterlandes ausschließlich ward den
Nüssen als Zweck verkündet. Mit dieser Basis war nachher die Möglichkeit
gegeben, auf die europäischen Friedensvorschläge einzugehen, ohne der national¬
aristokratischen Kriegspartei den Heiligenschein eines vom Zaren verlassenen
Mürtyrerthums zu verleihen und ohne der kriegsmüden, bis auf den Landsturm
ins Feld gestellten Nation anch die letzten Kräfte zum Wiederbeginn eines
neuen Lebens auf den verlassenen und verödeten Stätten des alten zu rauben.
Denn die Friedensvorschläge stellten die Zurückgabe des von den Feinden be-
setzten Landstriches obenan und unmittelbar daneben die Vollziehung derjeni¬
gen Bedingung, in deren Namen Kaiser Nikolaus das Kriegsbayner entfaltet
hatte: die Emancipation der Christen in der Türkei. Alle anderen Speciali¬
täten des Friedens berührten das russische Nationalgefühl nicht unmittelbar;
es waren Fragen der diplomatischen Berechnung, welche das Volk zum großen
Theil nicht verstand. Besonders aber hatte nicht Nußland den Frieden an¬
geboten, sondern die gegnerische „Coalition;" Rußland erfüllte nur großmüthig
den „Wunsch der Nachbarvölker", wenn es auch „die immer furchtbarer an¬
wachsende Coalition" mit in Betracht zog.
Kaiser Alexander — wird vielfach behauptet — war überhaupt niemals
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