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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Am Schluß unsers letzten Berichts haben wir darauf hingedeutet, daß die neue
^'Wicklung in den Douaufürstcnthümern, die dazu angethan schien, den großen
^ltconflict zu beschleunigen, möglicherweise die entgegengesetzte Wirkung haben,
aß Oestreich durch Nachgiebigkeit uach dieser Seite hiu sich aus der andern, be¬
glichen Seite Lust machen könne. Was wir seitdem vernommen, bestärkt uns
dieser Meinung.

Die Doppelwahl Cusas in den beiden Fürstentümern ist eine offenbare Auf-
^Rung gegen die Beschlüsse der wiener Konferenz. Die Conferenz hat entschieden,
aß die Union in Bezug auf die Regierung nicht stattfinden solle; die Wahlvcrsamm-
"ngcn der Rumänen haben die Union factisch vollzogen. Wenn die östreichischen
satter behaupten, daß nur ein Sophist dies Sachverhältniß leugnen kann, fo stehen
>vir entschieden auf ihrer Seite. Zugleich können wir aber die Bemerkung nicht
Unterdrücken, daß sie dieser Behauptung eine ungewöhnlich milde, man möchte sagen,
^chcidene Form geben. Diese Milde wird noch dadurch mehr charakterisirt, daß
^ "nflußrcichsten englischen Blätter die Verletzung der Conferenzbeschlüsse als eine
agatellc betrachten, über die man sich wol einigen könne; daß sie allerseits em¬
pfehlen, sich die vollendete Thatsache gefallen zu lassen. Das ist zunächst freilich
"ur ein Rath, aber ein Rath ist es.

Die Sache wird -- schon jetzt scheint es unzweifelhaft -- vor eine neue Cor-
'^nz gebracht werden. Damit hatte Kaiser Napoleon den einen seiner Zwecke er-
^de, in einer neuen Conferenz den Vorsitz zu führen.

Die orientalische Frage qualificirt sich als Gegenstand einer Conferenz, weil
'"an eben eine bestimmte Frage stellen, eine bestimmte Antwort erwarten kann.
"in ihr die factisch vollzogene Union gelten oder nicht? Unterstützt ihr den zu er¬
wartenden Protest der Pforte oder nicht?

Die italienische Frage konnte nicht Gegenstand einer Conferenz werden, weil
^ bekannte "Schmerzens schrei" und dessen von Oestreich geforderte Abhilfe nicht zu
^'Muliren ist. Abtretung des Ivmbardisch-vcuctianisthcn Königreichs konnte man
"es im Ernst den Oestreichern nicht zumuthen, und was man in Rom eigentlich
^ ihnen verlangte, ist durch die weisen Rathschläge der vermittelnden englischen
unter nicht deutlicher geworden. Frankreich wünscht, seine Besatzung aus Rom zu
^du, vlM. daß die Oestreichs einrücken und ohne daß eine Revolution daraus ent-
^t-, auf diese Zumuthung kann Oestreich ganz einfach erwiedern, daß es nicht die
^'sehung se'-

. In seiner Thronrede hat der Kaiser von Frankreich, bei seinen heftigen Be-
^'erden gegen Oestreich, sich auch gar wohl gehütet, die italienische Frage in den
/'^ergründ zu stellen; er hat sich am heftigsten darüber ausgesprochen, daß Oese-
^'/l) das 'Project der moldau-walachischen Union durchkreuzt habe. Da nun Frank-
^ seine Aufgabe, überall an die Spitze der Civilisation zu treten, am unschäd-
Men an dem interessanten Volk der Rumänen ausüben kann, dessen demokratische
ribünc die Pariser schwerlich elektrisiren wird, so ist anzunehmen, daß es in der
^"'w Conferenz die Union strenger und gebietender fordern, und um zugleich seine


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Von der preußischen Grenze.

Am Schluß unsers letzten Berichts haben wir darauf hingedeutet, daß die neue
^'Wicklung in den Douaufürstcnthümern, die dazu angethan schien, den großen
^ltconflict zu beschleunigen, möglicherweise die entgegengesetzte Wirkung haben,
aß Oestreich durch Nachgiebigkeit uach dieser Seite hiu sich aus der andern, be¬
glichen Seite Lust machen könne. Was wir seitdem vernommen, bestärkt uns
dieser Meinung.

Die Doppelwahl Cusas in den beiden Fürstentümern ist eine offenbare Auf-
^Rung gegen die Beschlüsse der wiener Konferenz. Die Conferenz hat entschieden,
aß die Union in Bezug auf die Regierung nicht stattfinden solle; die Wahlvcrsamm-
"ngcn der Rumänen haben die Union factisch vollzogen. Wenn die östreichischen
satter behaupten, daß nur ein Sophist dies Sachverhältniß leugnen kann, fo stehen
>vir entschieden auf ihrer Seite. Zugleich können wir aber die Bemerkung nicht
Unterdrücken, daß sie dieser Behauptung eine ungewöhnlich milde, man möchte sagen,
^chcidene Form geben. Diese Milde wird noch dadurch mehr charakterisirt, daß
^ «nflußrcichsten englischen Blätter die Verletzung der Conferenzbeschlüsse als eine
agatellc betrachten, über die man sich wol einigen könne; daß sie allerseits em¬
pfehlen, sich die vollendete Thatsache gefallen zu lassen. Das ist zunächst freilich
"ur ein Rath, aber ein Rath ist es.

Die Sache wird — schon jetzt scheint es unzweifelhaft — vor eine neue Cor-
'^nz gebracht werden. Damit hatte Kaiser Napoleon den einen seiner Zwecke er-
^de, in einer neuen Conferenz den Vorsitz zu führen.

Die orientalische Frage qualificirt sich als Gegenstand einer Conferenz, weil
'"an eben eine bestimmte Frage stellen, eine bestimmte Antwort erwarten kann.
"in ihr die factisch vollzogene Union gelten oder nicht? Unterstützt ihr den zu er¬
wartenden Protest der Pforte oder nicht?

Die italienische Frage konnte nicht Gegenstand einer Conferenz werden, weil
^ bekannte „Schmerzens schrei" und dessen von Oestreich geforderte Abhilfe nicht zu
^'Muliren ist. Abtretung des Ivmbardisch-vcuctianisthcn Königreichs konnte man
"es im Ernst den Oestreichern nicht zumuthen, und was man in Rom eigentlich
^ ihnen verlangte, ist durch die weisen Rathschläge der vermittelnden englischen
unter nicht deutlicher geworden. Frankreich wünscht, seine Besatzung aus Rom zu
^du, vlM. daß die Oestreichs einrücken und ohne daß eine Revolution daraus ent-
^t-, auf diese Zumuthung kann Oestreich ganz einfach erwiedern, daß es nicht die
^'sehung se'-

. In seiner Thronrede hat der Kaiser von Frankreich, bei seinen heftigen Be-
^'erden gegen Oestreich, sich auch gar wohl gehütet, die italienische Frage in den
/'^ergründ zu stellen; er hat sich am heftigsten darüber ausgesprochen, daß Oese-
^'/l) das 'Project der moldau-walachischen Union durchkreuzt habe. Da nun Frank-
^ seine Aufgabe, überall an die Spitze der Civilisation zu treten, am unschäd-
Men an dem interessanten Volk der Rumänen ausüben kann, dessen demokratische
ribünc die Pariser schwerlich elektrisiren wird, so ist anzunehmen, daß es in der
^"'w Conferenz die Union strenger und gebietender fordern, und um zugleich seine


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[0323] Von der preußischen Grenze. Am Schluß unsers letzten Berichts haben wir darauf hingedeutet, daß die neue ^'Wicklung in den Douaufürstcnthümern, die dazu angethan schien, den großen ^ltconflict zu beschleunigen, möglicherweise die entgegengesetzte Wirkung haben, aß Oestreich durch Nachgiebigkeit uach dieser Seite hiu sich aus der andern, be¬ glichen Seite Lust machen könne. Was wir seitdem vernommen, bestärkt uns dieser Meinung. Die Doppelwahl Cusas in den beiden Fürstentümern ist eine offenbare Auf- ^Rung gegen die Beschlüsse der wiener Konferenz. Die Conferenz hat entschieden, aß die Union in Bezug auf die Regierung nicht stattfinden solle; die Wahlvcrsamm- "ngcn der Rumänen haben die Union factisch vollzogen. Wenn die östreichischen satter behaupten, daß nur ein Sophist dies Sachverhältniß leugnen kann, fo stehen >vir entschieden auf ihrer Seite. Zugleich können wir aber die Bemerkung nicht Unterdrücken, daß sie dieser Behauptung eine ungewöhnlich milde, man möchte sagen, ^chcidene Form geben. Diese Milde wird noch dadurch mehr charakterisirt, daß ^ «nflußrcichsten englischen Blätter die Verletzung der Conferenzbeschlüsse als eine agatellc betrachten, über die man sich wol einigen könne; daß sie allerseits em¬ pfehlen, sich die vollendete Thatsache gefallen zu lassen. Das ist zunächst freilich "ur ein Rath, aber ein Rath ist es. Die Sache wird — schon jetzt scheint es unzweifelhaft — vor eine neue Cor- '^nz gebracht werden. Damit hatte Kaiser Napoleon den einen seiner Zwecke er- ^de, in einer neuen Conferenz den Vorsitz zu führen. Die orientalische Frage qualificirt sich als Gegenstand einer Conferenz, weil '"an eben eine bestimmte Frage stellen, eine bestimmte Antwort erwarten kann. "in ihr die factisch vollzogene Union gelten oder nicht? Unterstützt ihr den zu er¬ wartenden Protest der Pforte oder nicht? Die italienische Frage konnte nicht Gegenstand einer Conferenz werden, weil ^ bekannte „Schmerzens schrei" und dessen von Oestreich geforderte Abhilfe nicht zu ^'Muliren ist. Abtretung des Ivmbardisch-vcuctianisthcn Königreichs konnte man "es im Ernst den Oestreichern nicht zumuthen, und was man in Rom eigentlich ^ ihnen verlangte, ist durch die weisen Rathschläge der vermittelnden englischen unter nicht deutlicher geworden. Frankreich wünscht, seine Besatzung aus Rom zu ^du, vlM. daß die Oestreichs einrücken und ohne daß eine Revolution daraus ent- ^t-, auf diese Zumuthung kann Oestreich ganz einfach erwiedern, daß es nicht die ^'sehung se'- . In seiner Thronrede hat der Kaiser von Frankreich, bei seinen heftigen Be- ^'erden gegen Oestreich, sich auch gar wohl gehütet, die italienische Frage in den /'^ergründ zu stellen; er hat sich am heftigsten darüber ausgesprochen, daß Oese- ^'/l) das 'Project der moldau-walachischen Union durchkreuzt habe. Da nun Frank- ^ seine Aufgabe, überall an die Spitze der Civilisation zu treten, am unschäd- Men an dem interessanten Volk der Rumänen ausüben kann, dessen demokratische ribünc die Pariser schwerlich elektrisiren wird, so ist anzunehmen, daß es in der ^"'w Conferenz die Union strenger und gebietender fordern, und um zugleich seine Grcnzl'oder I. 185U> 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/323>, abgerufen am 24.07.2024.