Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.lebhast für die Wissenschaft der Zukunft und studirten die von den Mathe¬ lebhast für die Wissenschaft der Zukunft und studirten die von den Mathe¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187268"/> <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885" next="#ID_887"> lebhast für die Wissenschaft der Zukunft und studirten die von den Mathe¬<lb/> matikern herausgegebenen Schemata und Berechnungen. Daher sieht sich<lb/> Horaz veranlaßt, seiner Freundin Leukonoe zuzurufen: „Forsche nicht, denn<lb/> eS ist frevelhaft, was Zeus für ein Loos bestimmt, o Leukonoö, für dich<lb/> oder mich, flieh die chaldüischen Zahlen. Besser erträgt man mit Geduld,<lb/> was uns beschicken ist." Auch das furchtsame Gemüth Mäcens, der sich<lb/> vielleicht über die gefährliche Stellung der Planeten in seiner Nativität Sor¬<lb/> gen machte, beruhigt er mit den Worten: „Warum entseelest du durch dein<lb/> Klagen mich? Der Götter Will' ists nicht, noch der meinige, daß du Mäcen,<lb/> mein Stolz und meine mächtige Stütze zuerst entschlummerst. — Ob einst<lb/> die Wag' auf mich, ob der Skorpion, der ersten Lebensstunde gewaltiger<lb/> Begleiter, grausenvoll herabsah, oder des Weltmeers Tyrann, der Stein¬<lb/> bock: so stimmt unglaublich unser Geburtsgestirn zusammen." — Endlich<lb/> nahm das Unwesen so überHand, daß sich Augustus genöthigt sah, im Jahre<lb/> 11 n. Chr. die Astrologen zu beschränken, indem er ihnen verbot, einem<lb/> Einzelnen Orakel zu ertheilen , besonders über den Tod anderer, was auch in<lb/> Gegenwart mehrer nicht geschehn sollte. Auch mögen unter den 2000 pro¬<lb/> phetischen Büchern, die er verbrennen ließ, viele astrologischen Inhalts ge¬<lb/> wesen sein. Noch leidenschaftlicher aber h.uldigte der Kunst Tiberius. Während<lb/> seines halb unfreiwilligen Aufenthaltes in Rhodus, als er in Zurückgezogenheit<lb/> fern von der Stadt ein einsames Haus hoch aus steilem Meeresufer bewohnte, hatte<lb/> er sich dem Studium der Philosophie und Mathematik ergeben. Sein Lehrer<lb/> Th rcrsyllus. wurde bald Mitwisser seiner geheimsten Gedanken, besonders seit¬<lb/> dem.er den Prinzen anch in der geheimnißvollen Kunst der Chaldäer unterrichtete-<lb/> Allnächtlich geleitete ein Freigelassener von großer Körperstärke und geringem<lb/> Verstände den Philosophen auf schwindelnden Stege zum Hause, wo dann<lb/> dieser neben Tiberius aus dem hohen Altan den gestirnten Himmel beobachtete<lb/> und dem Schüler über die künftige Herrschaft und die Geschicke der im Wege<lb/> stehenden Verwandten befriedigende Auskunft ertheilte. Allein es verging<lb/> Jahr auf Jahr, die Zukunft Tibers schien sich immer mehr zu trüben und<lb/> mit dem schwindenden Vertrauen wurde sein Verhältniß zu Thrasyllus immer<lb/> kälter. Endlich beschloß er sich des möglichen Verräthers seiner verborgensten<lb/> Pläne zu entledigen und gab eines Tages dem Freigelassenen Befehl, den<lb/> Astrologen auf dem Rückweg von den Felsen hinabzustürzen. Zuvor wollte<lb/> er jedoch noch einmal die Kunst des Lehrers aus die Probe stellen und fragte<lb/> ihn, ob er seine eigne Geburtsstunde kennte, und was wol das Jahr. d>e<lb/> gegenwärtige Stunde ihm brächte? Thrasyllus hatte genug Gelegenheit gehabt,<lb/> die Gemüthsart des Fragestellers kennen zu lernen; er war ein sehr klug^<lb/> Kopf und ahnte die ihm drohende Gefahr. Nachdem er also die Stellung<lb/> und Entfernung der Gestirne gemessen hatte, geriet!) er in Verwirrung, begann</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
lebhast für die Wissenschaft der Zukunft und studirten die von den Mathe¬
matikern herausgegebenen Schemata und Berechnungen. Daher sieht sich
Horaz veranlaßt, seiner Freundin Leukonoe zuzurufen: „Forsche nicht, denn
eS ist frevelhaft, was Zeus für ein Loos bestimmt, o Leukonoö, für dich
oder mich, flieh die chaldüischen Zahlen. Besser erträgt man mit Geduld,
was uns beschicken ist." Auch das furchtsame Gemüth Mäcens, der sich
vielleicht über die gefährliche Stellung der Planeten in seiner Nativität Sor¬
gen machte, beruhigt er mit den Worten: „Warum entseelest du durch dein
Klagen mich? Der Götter Will' ists nicht, noch der meinige, daß du Mäcen,
mein Stolz und meine mächtige Stütze zuerst entschlummerst. — Ob einst
die Wag' auf mich, ob der Skorpion, der ersten Lebensstunde gewaltiger
Begleiter, grausenvoll herabsah, oder des Weltmeers Tyrann, der Stein¬
bock: so stimmt unglaublich unser Geburtsgestirn zusammen." — Endlich
nahm das Unwesen so überHand, daß sich Augustus genöthigt sah, im Jahre
11 n. Chr. die Astrologen zu beschränken, indem er ihnen verbot, einem
Einzelnen Orakel zu ertheilen , besonders über den Tod anderer, was auch in
Gegenwart mehrer nicht geschehn sollte. Auch mögen unter den 2000 pro¬
phetischen Büchern, die er verbrennen ließ, viele astrologischen Inhalts ge¬
wesen sein. Noch leidenschaftlicher aber h.uldigte der Kunst Tiberius. Während
seines halb unfreiwilligen Aufenthaltes in Rhodus, als er in Zurückgezogenheit
fern von der Stadt ein einsames Haus hoch aus steilem Meeresufer bewohnte, hatte
er sich dem Studium der Philosophie und Mathematik ergeben. Sein Lehrer
Th rcrsyllus. wurde bald Mitwisser seiner geheimsten Gedanken, besonders seit¬
dem.er den Prinzen anch in der geheimnißvollen Kunst der Chaldäer unterrichtete-
Allnächtlich geleitete ein Freigelassener von großer Körperstärke und geringem
Verstände den Philosophen auf schwindelnden Stege zum Hause, wo dann
dieser neben Tiberius aus dem hohen Altan den gestirnten Himmel beobachtete
und dem Schüler über die künftige Herrschaft und die Geschicke der im Wege
stehenden Verwandten befriedigende Auskunft ertheilte. Allein es verging
Jahr auf Jahr, die Zukunft Tibers schien sich immer mehr zu trüben und
mit dem schwindenden Vertrauen wurde sein Verhältniß zu Thrasyllus immer
kälter. Endlich beschloß er sich des möglichen Verräthers seiner verborgensten
Pläne zu entledigen und gab eines Tages dem Freigelassenen Befehl, den
Astrologen auf dem Rückweg von den Felsen hinabzustürzen. Zuvor wollte
er jedoch noch einmal die Kunst des Lehrers aus die Probe stellen und fragte
ihn, ob er seine eigne Geburtsstunde kennte, und was wol das Jahr. d>e
gegenwärtige Stunde ihm brächte? Thrasyllus hatte genug Gelegenheit gehabt,
die Gemüthsart des Fragestellers kennen zu lernen; er war ein sehr klug^
Kopf und ahnte die ihm drohende Gefahr. Nachdem er also die Stellung
und Entfernung der Gestirne gemessen hatte, geriet!) er in Verwirrung, begann
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