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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die Ahnungen des höhern Lebens.*)

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Kaum irgend eine theoretische Ueberzeugung hat an ihrer Vergleichung
mit der Erfahrung eine härtere Probe zu bestehen, als die Meinungen, die
wir uus über unsere eigene menschliche Natur und Bestimmung bilden. In
der stillen Zurückgezogenheit speculativer Betrachtung tritt meist das Gute,
Edle und Bedeutungsvolle des menschlichen Wesens, wie allein vorhanden,
hervor, und indem alle Schlacken fallen, verklärt sich unvermerkt das Bild
des Menschen zu einer idealen Gestalt, die in dem vernünftigen Ganzen der
Weltordnung nicht nur harmonisch ihre Stelle füllt, sondern eine so hervor¬
ragende Stelle verdient, daß die Bedeutsamkeit ihrer Bestimmung und der
Tiefsinn ihrer Weltstellung kaum würdig genug zu bezeichnen scheint. Es ist
ein harter Zusammenstoß, mit dieser Ehrfurcht vor dem Begriffe der Huma¬
nität seinen einzelnen Trägern auf der Straße zu begegnen. Wol finden wir
die allgemeinen physischen und geistigen Hilfsmittel, welche dem Menschen zur
Erfüllung jener hohen Bestimmung gegeben sind, überall wieder, aber so
wenig im Dienste dieser Bestimmung verwendet, daß Menschenliebe im All¬
gemeinen und Menschenverachtung im Einzelnen zwei nur allzu verträgliche
Gefühle werden. Es mag sein, daß die letztere durch eine billigere Berück¬
sichtigung der bessern Keime sich mildern läßt, die auch in einer verzerrten
menschlichen Natur sich immer noch finden; aber im Ganzen sollte doch der
Eindruck dieser Erfahrungen uns bedenklich gegen jene Selbstüberschätzung des
Mcnschcuwerthes machen, die unsern anthropologischen Reflexionen so geläufig
geworden ist, und die eigentlich nur wenig dem weit demüthigeren Urtheil
entspricht, mit dem das mcnschlicheMschlecht in seinen, unbefangenen Lebens-
gefühle sich selbst mißt. So wie man überall die irdische Natur als die ein¬
zige Erscheinungswelt ins Auge faßte, in welche die Fülle des schöpferischen
Grundes sich ausgegossen habe, so hat die Philosophie ganz gewöhnlich den
Menschen als den isolirten höchsten Gipfel dieser Welt betrachtet und zwischen
ihm und Gott keine andere Vermittlung als eine Kluft zu sehen geglaubt,
deren völlige Leere dein Versuche, sie ganz zu überspringen, nur wenig wider¬
stehen würde. Wer nur der unmittelbarsten Erfahrung trauen will, die uns
Übersinnliches gar nichts, und in der Sinnenwelt den Menschen als das
Höchste vor Augen stellt, hat in seiner Weise Recht. Wer jedoch einmal
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Wir geben diese sinnigen Betrachtungen als Probe aus dem 2. Vd, deö Mikrokosmus
Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit von Hermann Lohe (Leipzig, H'^
zel), über welches Werk wir uns eine nähere Anzeige vorbehalten.
Die Ahnungen des höhern Lebens.*)

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Kaum irgend eine theoretische Ueberzeugung hat an ihrer Vergleichung
mit der Erfahrung eine härtere Probe zu bestehen, als die Meinungen, die
wir uus über unsere eigene menschliche Natur und Bestimmung bilden. In
der stillen Zurückgezogenheit speculativer Betrachtung tritt meist das Gute,
Edle und Bedeutungsvolle des menschlichen Wesens, wie allein vorhanden,
hervor, und indem alle Schlacken fallen, verklärt sich unvermerkt das Bild
des Menschen zu einer idealen Gestalt, die in dem vernünftigen Ganzen der
Weltordnung nicht nur harmonisch ihre Stelle füllt, sondern eine so hervor¬
ragende Stelle verdient, daß die Bedeutsamkeit ihrer Bestimmung und der
Tiefsinn ihrer Weltstellung kaum würdig genug zu bezeichnen scheint. Es ist
ein harter Zusammenstoß, mit dieser Ehrfurcht vor dem Begriffe der Huma¬
nität seinen einzelnen Trägern auf der Straße zu begegnen. Wol finden wir
die allgemeinen physischen und geistigen Hilfsmittel, welche dem Menschen zur
Erfüllung jener hohen Bestimmung gegeben sind, überall wieder, aber so
wenig im Dienste dieser Bestimmung verwendet, daß Menschenliebe im All¬
gemeinen und Menschenverachtung im Einzelnen zwei nur allzu verträgliche
Gefühle werden. Es mag sein, daß die letztere durch eine billigere Berück¬
sichtigung der bessern Keime sich mildern läßt, die auch in einer verzerrten
menschlichen Natur sich immer noch finden; aber im Ganzen sollte doch der
Eindruck dieser Erfahrungen uns bedenklich gegen jene Selbstüberschätzung des
Mcnschcuwerthes machen, die unsern anthropologischen Reflexionen so geläufig
geworden ist, und die eigentlich nur wenig dem weit demüthigeren Urtheil
entspricht, mit dem das mcnschlicheMschlecht in seinen, unbefangenen Lebens-
gefühle sich selbst mißt. So wie man überall die irdische Natur als die ein¬
zige Erscheinungswelt ins Auge faßte, in welche die Fülle des schöpferischen
Grundes sich ausgegossen habe, so hat die Philosophie ganz gewöhnlich den
Menschen als den isolirten höchsten Gipfel dieser Welt betrachtet und zwischen
ihm und Gott keine andere Vermittlung als eine Kluft zu sehen geglaubt,
deren völlige Leere dein Versuche, sie ganz zu überspringen, nur wenig wider¬
stehen würde. Wer nur der unmittelbarsten Erfahrung trauen will, die uns
Übersinnliches gar nichts, und in der Sinnenwelt den Menschen als das
Höchste vor Augen stellt, hat in seiner Weise Recht. Wer jedoch einmal
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Wir geben diese sinnigen Betrachtungen als Probe aus dem 2. Vd, deö Mikrokosmus
Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit von Hermann Lohe (Leipzig, H'^
zel), über welches Werk wir uns eine nähere Anzeige vorbehalten.
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[0280] Die Ahnungen des höhern Lebens.*) .. .. -j t<»,hö, ,->x»i> . ' .! « » Kaum irgend eine theoretische Ueberzeugung hat an ihrer Vergleichung mit der Erfahrung eine härtere Probe zu bestehen, als die Meinungen, die wir uus über unsere eigene menschliche Natur und Bestimmung bilden. In der stillen Zurückgezogenheit speculativer Betrachtung tritt meist das Gute, Edle und Bedeutungsvolle des menschlichen Wesens, wie allein vorhanden, hervor, und indem alle Schlacken fallen, verklärt sich unvermerkt das Bild des Menschen zu einer idealen Gestalt, die in dem vernünftigen Ganzen der Weltordnung nicht nur harmonisch ihre Stelle füllt, sondern eine so hervor¬ ragende Stelle verdient, daß die Bedeutsamkeit ihrer Bestimmung und der Tiefsinn ihrer Weltstellung kaum würdig genug zu bezeichnen scheint. Es ist ein harter Zusammenstoß, mit dieser Ehrfurcht vor dem Begriffe der Huma¬ nität seinen einzelnen Trägern auf der Straße zu begegnen. Wol finden wir die allgemeinen physischen und geistigen Hilfsmittel, welche dem Menschen zur Erfüllung jener hohen Bestimmung gegeben sind, überall wieder, aber so wenig im Dienste dieser Bestimmung verwendet, daß Menschenliebe im All¬ gemeinen und Menschenverachtung im Einzelnen zwei nur allzu verträgliche Gefühle werden. Es mag sein, daß die letztere durch eine billigere Berück¬ sichtigung der bessern Keime sich mildern läßt, die auch in einer verzerrten menschlichen Natur sich immer noch finden; aber im Ganzen sollte doch der Eindruck dieser Erfahrungen uns bedenklich gegen jene Selbstüberschätzung des Mcnschcuwerthes machen, die unsern anthropologischen Reflexionen so geläufig geworden ist, und die eigentlich nur wenig dem weit demüthigeren Urtheil entspricht, mit dem das mcnschlicheMschlecht in seinen, unbefangenen Lebens- gefühle sich selbst mißt. So wie man überall die irdische Natur als die ein¬ zige Erscheinungswelt ins Auge faßte, in welche die Fülle des schöpferischen Grundes sich ausgegossen habe, so hat die Philosophie ganz gewöhnlich den Menschen als den isolirten höchsten Gipfel dieser Welt betrachtet und zwischen ihm und Gott keine andere Vermittlung als eine Kluft zu sehen geglaubt, deren völlige Leere dein Versuche, sie ganz zu überspringen, nur wenig wider¬ stehen würde. Wer nur der unmittelbarsten Erfahrung trauen will, die uns Übersinnliches gar nichts, und in der Sinnenwelt den Menschen als das Höchste vor Augen stellt, hat in seiner Weise Recht. Wer jedoch einmal tr,-/ ^ ' ' ^ ^ ^ " ' lMÜ' "'.,'>, .!'^i>'.!!.<kiV.' NM.«l^- ? Wir geben diese sinnigen Betrachtungen als Probe aus dem 2. Vd, deö Mikrokosmus Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit von Hermann Lohe (Leipzig, H'^ zel), über welches Werk wir uns eine nähere Anzeige vorbehalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/280>, abgerufen am 24.07.2024.