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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Aus ihrer berliner Kindheit erzählt Helmine einige bezeichnende Züge.
Schon früh gab es Liebesbriefe; dann hatte man eine Freundin, mit der
Theater gespielt wurde. "Eines von Gellerts Schäferspielen wurde einstudirt.
Wir zwei Mädchen trugen weiße Reifröcke mit Rosenguirlanden und grüne
Kränze in den Haaren, die in ungepuderten Locken um unsere Schultern flat¬
terten. Unsere zwei Schäfer hatten uns schöne Stäbe geschnitzt. Wir sagten
unsere Verse mit Grazie her, unser Publicum war überaus mit uns zufrieden.
Wir hatten auch Schäferhunde mit rothen Halsbändern." "Minchen hatte
s>var wenig oder gar keine Ideen, aber viel uatürlichea Verstand . . . Ich
Erlangte, sie möchte mit mir über verschiedene Gegenstände disputiren; es
^Schah im Garten. Wir vertheidigten jede unsere Meinung wegen der Trauer
UUi geliebte Verwandte: Minchen wollte die Trauer, ich verwarf sie. Ich
^innere mich noch, daß ich einmal, wegen öffentlichen Hinrichtungen auftrat.
Zuweilen auch im Ernst eine Predigt hielt. Minchen predigte gegen meinen
S"b-" "Bei allem, was ich vornahm, schwirrten die Bilder aus den Bü¬
chern, die ich gelesen, um mich herum, und ich lebte durchaus nicht in der
wirklichen Welt. Das gewöhnliche Leben war mir nackt und dürr; ich er¬
ahnte Menschen und Dinge, wie sie in meinen Büchern standen." Ihre Lieb-
^"gsbücher waren -- Karl von Karlsberg!! Hippels Lebensläufe; Karl Fer-
Mer; J^an Pauls unsichtbare Loge und Hesperus; dann "Karl Pilger,
^onem meines Lebens" (von K. Spazier, später Jean Pauls Schwager).
")odoviecki, der Freund ihrer Großmutter, gab ihr Unterricht im Zeichnen,
^)ne erheblichen Erfolg. -- Bei der Einsegnung wollte sie in Thränen zer-
neßen: "mein einfaches Kleid dünkte mich ein Staat, die Glasperlen um
^eilf und Nacken waren mir königlicher Schmuck. Mein von Thränen über¬
schwemmtes Angesicht schien mir im himmlischen Glanz zu leuchten. O,
"Hie ich, wenn mich die Welt so sehn könnte, wie würde mich alles bewundern!"

^ Den 1,9. August 1799 -- 16 Jahr alt -- heirathete sie einen Baron
'^stfer. "Er verschwendete unsinnig, Schulden wurden gemacht und nicht
eMt. Ich sah die Gefahr dieses Treibens nicht ein. Die Bälle und Pick-
Uicks gefielen mir; ich kam mir in meinem weißen Ballkleid, mit dem Kranz
^^"cri braunen Locken, wie eine blendende Schönheit vor. Ueber meine
^'dichte hörte ich Schmeicheleien." Allmälig stellte sich heraus, daß der Herr
nrvn ein vollständiger Gauner war. Frau von Genlis, die sich damals,
^>ahr alt, in Berlin aushielt*) und für Helmine ein mütterliches Interesse



Sey' ^ ^"se Berlin war damals auch der bekannte Leuchscnring, der für Nahe!
Fräi", ^"^ glühende Leidenschaft im Herzen trug, während für ihn ein I6jähriges bildschönes
sich !> ', Bielefeld, schwärmte. Als er aus Berlin ausgewiesen wurde, ließ sie
War entführen. "Gold und Juwelen, die sie besaß, hatte.sie mitgenommen. Berlin
von dieser Begebenheit ganz erfüllt.

Aus ihrer berliner Kindheit erzählt Helmine einige bezeichnende Züge.
Schon früh gab es Liebesbriefe; dann hatte man eine Freundin, mit der
Theater gespielt wurde. „Eines von Gellerts Schäferspielen wurde einstudirt.
Wir zwei Mädchen trugen weiße Reifröcke mit Rosenguirlanden und grüne
Kränze in den Haaren, die in ungepuderten Locken um unsere Schultern flat¬
terten. Unsere zwei Schäfer hatten uns schöne Stäbe geschnitzt. Wir sagten
unsere Verse mit Grazie her, unser Publicum war überaus mit uns zufrieden.
Wir hatten auch Schäferhunde mit rothen Halsbändern." „Minchen hatte
s>var wenig oder gar keine Ideen, aber viel uatürlichea Verstand . . . Ich
Erlangte, sie möchte mit mir über verschiedene Gegenstände disputiren; es
^Schah im Garten. Wir vertheidigten jede unsere Meinung wegen der Trauer
UUi geliebte Verwandte: Minchen wollte die Trauer, ich verwarf sie. Ich
^innere mich noch, daß ich einmal, wegen öffentlichen Hinrichtungen auftrat.
Zuweilen auch im Ernst eine Predigt hielt. Minchen predigte gegen meinen
S"b-" „Bei allem, was ich vornahm, schwirrten die Bilder aus den Bü¬
chern, die ich gelesen, um mich herum, und ich lebte durchaus nicht in der
wirklichen Welt. Das gewöhnliche Leben war mir nackt und dürr; ich er¬
ahnte Menschen und Dinge, wie sie in meinen Büchern standen." Ihre Lieb-
^"gsbücher waren — Karl von Karlsberg!! Hippels Lebensläufe; Karl Fer-
Mer; J^an Pauls unsichtbare Loge und Hesperus; dann „Karl Pilger,
^onem meines Lebens" (von K. Spazier, später Jean Pauls Schwager).
")odoviecki, der Freund ihrer Großmutter, gab ihr Unterricht im Zeichnen,
^)ne erheblichen Erfolg. — Bei der Einsegnung wollte sie in Thränen zer-
neßen: „mein einfaches Kleid dünkte mich ein Staat, die Glasperlen um
^eilf und Nacken waren mir königlicher Schmuck. Mein von Thränen über¬
schwemmtes Angesicht schien mir im himmlischen Glanz zu leuchten. O,
"Hie ich, wenn mich die Welt so sehn könnte, wie würde mich alles bewundern!"

^ Den 1,9. August 1799 — 16 Jahr alt — heirathete sie einen Baron
'^stfer. „Er verschwendete unsinnig, Schulden wurden gemacht und nicht
eMt. Ich sah die Gefahr dieses Treibens nicht ein. Die Bälle und Pick-
Uicks gefielen mir; ich kam mir in meinem weißen Ballkleid, mit dem Kranz
^^"cri braunen Locken, wie eine blendende Schönheit vor. Ueber meine
^'dichte hörte ich Schmeicheleien." Allmälig stellte sich heraus, daß der Herr
nrvn ein vollständiger Gauner war. Frau von Genlis, die sich damals,
^>ahr alt, in Berlin aushielt*) und für Helmine ein mütterliches Interesse



Sey' ^ ^"se Berlin war damals auch der bekannte Leuchscnring, der für Nahe!
Fräi", ^"^ glühende Leidenschaft im Herzen trug, während für ihn ein I6jähriges bildschönes
sich !> ', Bielefeld, schwärmte. Als er aus Berlin ausgewiesen wurde, ließ sie
War entführen. „Gold und Juwelen, die sie besaß, hatte.sie mitgenommen. Berlin
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/177>, abgerufen am 24.07.2024.