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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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hinaus. Die Pyramiden erschienen wie dunkelgraue Niesenzelte am matt¬
blauen Horizont vor uns. Rechts und links streckten sich einsam im falben
Mondlicht weite dämmernde, weißen Dunst aushauchende.Gefilde. Ich dachte
daran, daß die Araber die Pyramide des Cheops den Thron des Pharao
nennen, und ich sah den alten König, das Antlitz mir zugekehrt, in Gigan-
tcngestalt droben sitzen, und mir mit dem ägyptischen großen Auge drohen.
Ich dachte auch an den Geistcrkönig Salomo und seine Dschinnen. Ich er¬
innerte mich an die Heiligkeit der Todten bei den Aegyptern. und an Ge¬
schichten aus der Kindheit, in denen es als Vermessenheit bestraft wurde, des
Nachts sich Gräbern zu nahen. Dann drängten sich wieder prosaischere Be¬
fürchtungen in Betreff der Freunde auf. Ich feuerte wiederholt mein Gewehr
ab, ließ ein Halloh nach dem andern erschallen. Alles Vergehens. An dem
letzten großen Kanal angelangt, der bei unserm ersten Besuch mit Wasser
gefüllt gewesen, jetzt aber ausgetrocknet war, beschloß ich, die Flinte noch
einmal rufen zu lassen. Ich schoß, -- schoß dann in der Hast unvorsichtig auch
den zweiten Lauf ab, den ich bisher gespart, lud wieder, und siehe da, das
lange nicht gereinigte Rohr gab den Ladestock nicht wieder heraus. Umsonst
zog ich mit aller Macht daran, umsonst zogen und zerrten die Araber. Der
Ladestock rückte keinen Zoll von der Stelle, und ich war wehrlos. Allein
mit zwei Burschen, mit denen ich mich nur halb verständigen konnte, und die
mir in der letzten Stunde nur mit Widerwillen gefolgt waren, eine unnütze
Flinte auf der Schulter und einen Degen in der Hand, der höchstens gut
war, die Hunde abzuwehren, dachte ich jetzt auch an Räuber. Wie gescheidt
kam mir Hassans Einfalt vor, und wie einfältig die Klugheit, die seine
Warnungen in den Wind geschlagen! Wie ingrimmig verwünschte ich die
durstige Kehle des Romantikers, und wie unbehaglich erschien mir alle
Romantik überhaupt!

Einen Augenblick meinte ich umkehren zu müssen. Aber im nächsten
begriff ich, daß dies nicht blos seig. sondern auch thöricht sein würde. Feig
unter anderen, weil ich dann möglicherweise die Freunde im Stich ließ,
thöricht, weil der Weg von hier nach der Barke zurück dreimal so lang, als
der nach dem Grabe unter den Pyramiden war, in dem wir schlafen wollten.
So schritten wir denn weiter. Bisher hatte mir die Aufregung und die Auf¬
merksamkeit, mit der ich nach einem Zeichen von den Gefährten horchte,
meine Ermüdung nicht fühlen lassen. Jetzt, wo ich alle Hoffnung ausge¬
geben, begann ich sie doppelt zu empfinden, und zu der Abspannung der
Nerven gesellte sich nun auch ein heftiger Durst. Ich fragte, ob man Wasser
mitgenommen. Die Gullis (langhalsige, irdene Wassergefäße) wären bei den
andern Flaschen, antwortete verdrossen der Eselsbube. Bei den andern
Flaschen! und das so gelassen -- ich Hütte vier Hände haben mögen, um


hinaus. Die Pyramiden erschienen wie dunkelgraue Niesenzelte am matt¬
blauen Horizont vor uns. Rechts und links streckten sich einsam im falben
Mondlicht weite dämmernde, weißen Dunst aushauchende.Gefilde. Ich dachte
daran, daß die Araber die Pyramide des Cheops den Thron des Pharao
nennen, und ich sah den alten König, das Antlitz mir zugekehrt, in Gigan-
tcngestalt droben sitzen, und mir mit dem ägyptischen großen Auge drohen.
Ich dachte auch an den Geistcrkönig Salomo und seine Dschinnen. Ich er¬
innerte mich an die Heiligkeit der Todten bei den Aegyptern. und an Ge¬
schichten aus der Kindheit, in denen es als Vermessenheit bestraft wurde, des
Nachts sich Gräbern zu nahen. Dann drängten sich wieder prosaischere Be¬
fürchtungen in Betreff der Freunde auf. Ich feuerte wiederholt mein Gewehr
ab, ließ ein Halloh nach dem andern erschallen. Alles Vergehens. An dem
letzten großen Kanal angelangt, der bei unserm ersten Besuch mit Wasser
gefüllt gewesen, jetzt aber ausgetrocknet war, beschloß ich, die Flinte noch
einmal rufen zu lassen. Ich schoß, — schoß dann in der Hast unvorsichtig auch
den zweiten Lauf ab, den ich bisher gespart, lud wieder, und siehe da, das
lange nicht gereinigte Rohr gab den Ladestock nicht wieder heraus. Umsonst
zog ich mit aller Macht daran, umsonst zogen und zerrten die Araber. Der
Ladestock rückte keinen Zoll von der Stelle, und ich war wehrlos. Allein
mit zwei Burschen, mit denen ich mich nur halb verständigen konnte, und die
mir in der letzten Stunde nur mit Widerwillen gefolgt waren, eine unnütze
Flinte auf der Schulter und einen Degen in der Hand, der höchstens gut
war, die Hunde abzuwehren, dachte ich jetzt auch an Räuber. Wie gescheidt
kam mir Hassans Einfalt vor, und wie einfältig die Klugheit, die seine
Warnungen in den Wind geschlagen! Wie ingrimmig verwünschte ich die
durstige Kehle des Romantikers, und wie unbehaglich erschien mir alle
Romantik überhaupt!

Einen Augenblick meinte ich umkehren zu müssen. Aber im nächsten
begriff ich, daß dies nicht blos seig. sondern auch thöricht sein würde. Feig
unter anderen, weil ich dann möglicherweise die Freunde im Stich ließ,
thöricht, weil der Weg von hier nach der Barke zurück dreimal so lang, als
der nach dem Grabe unter den Pyramiden war, in dem wir schlafen wollten.
So schritten wir denn weiter. Bisher hatte mir die Aufregung und die Auf¬
merksamkeit, mit der ich nach einem Zeichen von den Gefährten horchte,
meine Ermüdung nicht fühlen lassen. Jetzt, wo ich alle Hoffnung ausge¬
geben, begann ich sie doppelt zu empfinden, und zu der Abspannung der
Nerven gesellte sich nun auch ein heftiger Durst. Ich fragte, ob man Wasser
mitgenommen. Die Gullis (langhalsige, irdene Wassergefäße) wären bei den
andern Flaschen, antwortete verdrossen der Eselsbube. Bei den andern
Flaschen! und das so gelassen — ich Hütte vier Hände haben mögen, um


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[0112] hinaus. Die Pyramiden erschienen wie dunkelgraue Niesenzelte am matt¬ blauen Horizont vor uns. Rechts und links streckten sich einsam im falben Mondlicht weite dämmernde, weißen Dunst aushauchende.Gefilde. Ich dachte daran, daß die Araber die Pyramide des Cheops den Thron des Pharao nennen, und ich sah den alten König, das Antlitz mir zugekehrt, in Gigan- tcngestalt droben sitzen, und mir mit dem ägyptischen großen Auge drohen. Ich dachte auch an den Geistcrkönig Salomo und seine Dschinnen. Ich er¬ innerte mich an die Heiligkeit der Todten bei den Aegyptern. und an Ge¬ schichten aus der Kindheit, in denen es als Vermessenheit bestraft wurde, des Nachts sich Gräbern zu nahen. Dann drängten sich wieder prosaischere Be¬ fürchtungen in Betreff der Freunde auf. Ich feuerte wiederholt mein Gewehr ab, ließ ein Halloh nach dem andern erschallen. Alles Vergehens. An dem letzten großen Kanal angelangt, der bei unserm ersten Besuch mit Wasser gefüllt gewesen, jetzt aber ausgetrocknet war, beschloß ich, die Flinte noch einmal rufen zu lassen. Ich schoß, — schoß dann in der Hast unvorsichtig auch den zweiten Lauf ab, den ich bisher gespart, lud wieder, und siehe da, das lange nicht gereinigte Rohr gab den Ladestock nicht wieder heraus. Umsonst zog ich mit aller Macht daran, umsonst zogen und zerrten die Araber. Der Ladestock rückte keinen Zoll von der Stelle, und ich war wehrlos. Allein mit zwei Burschen, mit denen ich mich nur halb verständigen konnte, und die mir in der letzten Stunde nur mit Widerwillen gefolgt waren, eine unnütze Flinte auf der Schulter und einen Degen in der Hand, der höchstens gut war, die Hunde abzuwehren, dachte ich jetzt auch an Räuber. Wie gescheidt kam mir Hassans Einfalt vor, und wie einfältig die Klugheit, die seine Warnungen in den Wind geschlagen! Wie ingrimmig verwünschte ich die durstige Kehle des Romantikers, und wie unbehaglich erschien mir alle Romantik überhaupt! Einen Augenblick meinte ich umkehren zu müssen. Aber im nächsten begriff ich, daß dies nicht blos seig. sondern auch thöricht sein würde. Feig unter anderen, weil ich dann möglicherweise die Freunde im Stich ließ, thöricht, weil der Weg von hier nach der Barke zurück dreimal so lang, als der nach dem Grabe unter den Pyramiden war, in dem wir schlafen wollten. So schritten wir denn weiter. Bisher hatte mir die Aufregung und die Auf¬ merksamkeit, mit der ich nach einem Zeichen von den Gefährten horchte, meine Ermüdung nicht fühlen lassen. Jetzt, wo ich alle Hoffnung ausge¬ geben, begann ich sie doppelt zu empfinden, und zu der Abspannung der Nerven gesellte sich nun auch ein heftiger Durst. Ich fragte, ob man Wasser mitgenommen. Die Gullis (langhalsige, irdene Wassergefäße) wären bei den andern Flaschen, antwortete verdrossen der Eselsbube. Bei den andern Flaschen! und das so gelassen — ich Hütte vier Hände haben mögen, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/112>, abgerufen am 24.07.2024.