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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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ihn genugsam zu prügeln, den Schlingel -- nicht für seiue Vergeßlichkeit,
ändern für diese impertinente Gelassenheit. Bei näherem Nachdenken fand
ich indeß, daß es edler und nebenbei weit praktischer sei, seine Ruhe mir
selbst anzueignen, und der Versuch gelang recht leidlich.

In dieser Stimmung kamen wir über die allmälig sandig werdenden
Felder nach El Kom El Aswcd, dem letzten Dorfe, welches noch etwa fünfhundert
Schritt von dem Rande des Plateaus liegt, auf dem die Pyramiden sich erheben.
Es mochte um die Mitte der Geisterstunde sein. Die Hunde schwiegen hier, als
uiir vorüberzogen. Wir konnten glauben, ganz allein zu sein. Da schlich
etwas hinter einer Lehmwand hervor. Es war eine weiße Gestalt. Sie
kam ans uns zu, und unser Eselein trat scheu einen Schritt zurück.

Wars einer aus den Grüften? Dann half der Stockdegen, den ich un¬
willkürlich locker gemacht, nicht viel. Es war indeß nicht so übel gemeint.
Der Geist hatte noch sein Leibliches, grüßte artig mit "Salam Alejkam!" und
sprach, als er des Chowadschi ansichtig wurde, sogar ein erträglich gutes
Englisch. Es war einer der Bewohner des Dorfes, die sich als Anwohner
der Wüste schon in die weißen Gewänder kleiden, welche die Beduinen tra¬
gen. Weshalb er so spät noch wach war, blieb unerklärt. Vielleicht wars
der Nachtwächter, vielleicht auch war er früh aufgestanden, um den Nachbarn,
die sämmtlich aus dem Führerhandwerk ein Geschäft machen, den Rang ab¬
zulaufen. Letzteres schien das Richtigere, da er sich mir sofort zum Führer
antrug, im Mondschein ohne Verzug einen Handel mit Münzen und Mumien¬
schmuck, den er aus dem Busen zog, zu beginnen sich anschickte und, ganz in
der Weise seiner Genossen, die mich bei dem ersten Ritt hierher bis zum
Tollwerden gepeinigt, nicht eher loszuwerden war, als bis ich das letzte
"Bukra"") mir einem Griff nach der Flinte begleitete. Vor diesem Mittel
entwich der Geist eiligen Fußes. Es war indeß angenehm, daß er uns auf
en Fersen blieb. Ich hatte im Aerger über seine Zudringlichkeit vergessen,
daß er uns in der That schon heute einen Dienst leisten konnte. Wir brauch¬
en Wasser, und als er sich, rasch wieder dreist geworden, uns von neuem
^ Diensten stellte, wurde ihm der Auftrag, einige Gullis herbeizuschaffen.
^ ging und brachte in Kurzem das Verlangte, und mit dieser Erfrischung
auch meine gute Stimmung wieder. Der Geist verlangte ein Trink¬
geld, wurde aber auf den Morgen verwiesen, da der Chowadschi selbst kein
elo bei sich haben wollte, womit jener sich zurückzog und wir aller
nächtlichen Besuche von ihm und andern vielleicht weniger sriedsamen Geistern
^ Dorfes von vornherein entledigt waren. Wir stiegen den sandigen Ab-



^'iMtlich "morgen", dann aber das gebräuchliche Wort, wenn man eine Bitte oder
Antrag abweisen will.

ihn genugsam zu prügeln, den Schlingel — nicht für seiue Vergeßlichkeit,
ändern für diese impertinente Gelassenheit. Bei näherem Nachdenken fand
ich indeß, daß es edler und nebenbei weit praktischer sei, seine Ruhe mir
selbst anzueignen, und der Versuch gelang recht leidlich.

In dieser Stimmung kamen wir über die allmälig sandig werdenden
Felder nach El Kom El Aswcd, dem letzten Dorfe, welches noch etwa fünfhundert
Schritt von dem Rande des Plateaus liegt, auf dem die Pyramiden sich erheben.
Es mochte um die Mitte der Geisterstunde sein. Die Hunde schwiegen hier, als
uiir vorüberzogen. Wir konnten glauben, ganz allein zu sein. Da schlich
etwas hinter einer Lehmwand hervor. Es war eine weiße Gestalt. Sie
kam ans uns zu, und unser Eselein trat scheu einen Schritt zurück.

Wars einer aus den Grüften? Dann half der Stockdegen, den ich un¬
willkürlich locker gemacht, nicht viel. Es war indeß nicht so übel gemeint.
Der Geist hatte noch sein Leibliches, grüßte artig mit „Salam Alejkam!" und
sprach, als er des Chowadschi ansichtig wurde, sogar ein erträglich gutes
Englisch. Es war einer der Bewohner des Dorfes, die sich als Anwohner
der Wüste schon in die weißen Gewänder kleiden, welche die Beduinen tra¬
gen. Weshalb er so spät noch wach war, blieb unerklärt. Vielleicht wars
der Nachtwächter, vielleicht auch war er früh aufgestanden, um den Nachbarn,
die sämmtlich aus dem Führerhandwerk ein Geschäft machen, den Rang ab¬
zulaufen. Letzteres schien das Richtigere, da er sich mir sofort zum Führer
antrug, im Mondschein ohne Verzug einen Handel mit Münzen und Mumien¬
schmuck, den er aus dem Busen zog, zu beginnen sich anschickte und, ganz in
der Weise seiner Genossen, die mich bei dem ersten Ritt hierher bis zum
Tollwerden gepeinigt, nicht eher loszuwerden war, als bis ich das letzte
"Bukra"") mir einem Griff nach der Flinte begleitete. Vor diesem Mittel
entwich der Geist eiligen Fußes. Es war indeß angenehm, daß er uns auf
en Fersen blieb. Ich hatte im Aerger über seine Zudringlichkeit vergessen,
daß er uns in der That schon heute einen Dienst leisten konnte. Wir brauch¬
en Wasser, und als er sich, rasch wieder dreist geworden, uns von neuem
^ Diensten stellte, wurde ihm der Auftrag, einige Gullis herbeizuschaffen.
^ ging und brachte in Kurzem das Verlangte, und mit dieser Erfrischung
auch meine gute Stimmung wieder. Der Geist verlangte ein Trink¬
geld, wurde aber auf den Morgen verwiesen, da der Chowadschi selbst kein
elo bei sich haben wollte, womit jener sich zurückzog und wir aller
nächtlichen Besuche von ihm und andern vielleicht weniger sriedsamen Geistern
^ Dorfes von vornherein entledigt waren. Wir stiegen den sandigen Ab-



^'iMtlich „morgen", dann aber das gebräuchliche Wort, wenn man eine Bitte oder
Antrag abweisen will.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/113>, abgerufen am 24.07.2024.