Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mittel der Russisicirung Europas, und das Heil der deutschen Nation beruht
in der Vermeidung derselben."

Der leitende politische Grundgedanke, von dem er ausgeht, ist die Gefahr,
die Europa von einer Coalition Rußlands und Frankreichs droht. Gegen
diese Gefahr gibt es nur zwei Schutzwehren: Oestreich und die katholische
Kirche. (Den letztern Gedanken läßt er wieder fallen; vielleicht kommt er spater
darauf zurück.) Oestreich zu schützen ist die Pflicht nicht blos jedes deutschen
Patrioten, sondern eines jeden, der sich für die europäische Civilisation interessirt.
Napoleon der Dritte erscheint ihm als der genialste Mann des Jahrhunderts;
er traut ihm sogar äußerst menschenfreundliche Zwecke zu; aber -- "sind wir
Deutschen so tief herabgekommen, daß, sei es auch in bester Absicht, nur über
uns verfügt werden darf? und könnte nicht die Rettung für uns so schlimm
ausfallen als die Gefahr selbst?" Deutschland mußte um jeden Preis den
östreichischen Besitzstand in Italien erhalten; und hier vergißt er plötzlich, was
er von der Lächerlichkeit des Nationalitätsprincips gesagt. "Die deutsche
Nation hatte eine Satisfaction zu fordern. Wo ein deutscher Staat über
außerdeutschcs Gebiet herrscht, da herrscht die deutsche Nation (!! glückseliger
Nudolstädter! glückseliger Sondershäuscr!) über eine andere Nationalität, und
diese Herrschaft ist Nationatangelegenheit. Es war eine Angelegenheit ver¬
letzter Nationalehre, gefährdeter Nationalmacht, bedrohter Nativnal-
eMenz," u. f. w. -- Er tadelt "die sonderbare und zugleich unpolitische Ein¬
mischung Preußens in das östreichische Regierungssystem" --: "erinnert dieser
Vekehrungsversuch nicht an den frommen Eifer, welcher einen Kranken in der
Stunde der Noth mit der Zumuthung eines Religionswechsels quält?" --
Wir wissen von diesem Bekehrungsversuch Preußens gegen Oestreich gar nichts,
aber diese Gleichgiltigkeit gegen das östreichische Regierungssystem ist charakte¬
ristisch für den ehemaligen Collegen N. Blums. "Wer die Unentbehrlichkeit
Oestreichs nicht anerkennt, ist entweder nicht zum Politiker geeignet, oder er
ist im russischen Interesse und gehört zu den Feinden Europas." Die Geg¬
ner Oestreichs seien bestochen: "Ich wiederhole hier nicht etwa allgemeine
und unbestimmte Vermuthungen, sondern ich spreche mit dem vollen Bewußt¬
sein dessen, was die Worte bedeuten, ein Urtheil aus, welches aus Thatsachen
beruht." "Einem meiner Freunde, der in Deutschland eine Zeitschrift heraus¬
gibt, bot man eine Summe an, die man ein Vermögen nennen kann,
Kenn er in seinem Blatt das "Nationalitätsprincip" verfechten wolle." --
Warum werden diese interessanten Umstände nicht genauer mitgetheilt?

Bis dahin kann man indeß, auch wenn man die Ansichten des Verfassers
uicht ganz theilt, die Berechtigung derselben nicht in Abrede stellen. Oestreichs
^kistenz ist jedenfalls wünschenswerth -- sie für nothwendig zu erklären,
heißt dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen -- und der wünschenswerthest?


Mittel der Russisicirung Europas, und das Heil der deutschen Nation beruht
in der Vermeidung derselben."

Der leitende politische Grundgedanke, von dem er ausgeht, ist die Gefahr,
die Europa von einer Coalition Rußlands und Frankreichs droht. Gegen
diese Gefahr gibt es nur zwei Schutzwehren: Oestreich und die katholische
Kirche. (Den letztern Gedanken läßt er wieder fallen; vielleicht kommt er spater
darauf zurück.) Oestreich zu schützen ist die Pflicht nicht blos jedes deutschen
Patrioten, sondern eines jeden, der sich für die europäische Civilisation interessirt.
Napoleon der Dritte erscheint ihm als der genialste Mann des Jahrhunderts;
er traut ihm sogar äußerst menschenfreundliche Zwecke zu; aber — „sind wir
Deutschen so tief herabgekommen, daß, sei es auch in bester Absicht, nur über
uns verfügt werden darf? und könnte nicht die Rettung für uns so schlimm
ausfallen als die Gefahr selbst?" Deutschland mußte um jeden Preis den
östreichischen Besitzstand in Italien erhalten; und hier vergißt er plötzlich, was
er von der Lächerlichkeit des Nationalitätsprincips gesagt. „Die deutsche
Nation hatte eine Satisfaction zu fordern. Wo ein deutscher Staat über
außerdeutschcs Gebiet herrscht, da herrscht die deutsche Nation (!! glückseliger
Nudolstädter! glückseliger Sondershäuscr!) über eine andere Nationalität, und
diese Herrschaft ist Nationatangelegenheit. Es war eine Angelegenheit ver¬
letzter Nationalehre, gefährdeter Nationalmacht, bedrohter Nativnal-
eMenz," u. f. w. — Er tadelt „die sonderbare und zugleich unpolitische Ein¬
mischung Preußens in das östreichische Regierungssystem" —: „erinnert dieser
Vekehrungsversuch nicht an den frommen Eifer, welcher einen Kranken in der
Stunde der Noth mit der Zumuthung eines Religionswechsels quält?" —
Wir wissen von diesem Bekehrungsversuch Preußens gegen Oestreich gar nichts,
aber diese Gleichgiltigkeit gegen das östreichische Regierungssystem ist charakte¬
ristisch für den ehemaligen Collegen N. Blums. „Wer die Unentbehrlichkeit
Oestreichs nicht anerkennt, ist entweder nicht zum Politiker geeignet, oder er
ist im russischen Interesse und gehört zu den Feinden Europas." Die Geg¬
ner Oestreichs seien bestochen: „Ich wiederhole hier nicht etwa allgemeine
und unbestimmte Vermuthungen, sondern ich spreche mit dem vollen Bewußt¬
sein dessen, was die Worte bedeuten, ein Urtheil aus, welches aus Thatsachen
beruht." „Einem meiner Freunde, der in Deutschland eine Zeitschrift heraus¬
gibt, bot man eine Summe an, die man ein Vermögen nennen kann,
Kenn er in seinem Blatt das „Nationalitätsprincip" verfechten wolle." —
Warum werden diese interessanten Umstände nicht genauer mitgetheilt?

Bis dahin kann man indeß, auch wenn man die Ansichten des Verfassers
uicht ganz theilt, die Berechtigung derselben nicht in Abrede stellen. Oestreichs
^kistenz ist jedenfalls wünschenswerth — sie für nothwendig zu erklären,
heißt dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen — und der wünschenswerthest?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108227"/>
          <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> Mittel der Russisicirung Europas, und das Heil der deutschen Nation beruht<lb/>
in der Vermeidung derselben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_332"> Der leitende politische Grundgedanke, von dem er ausgeht, ist die Gefahr,<lb/>
die Europa von einer Coalition Rußlands und Frankreichs droht. Gegen<lb/>
diese Gefahr gibt es nur zwei Schutzwehren: Oestreich und die katholische<lb/>
Kirche. (Den letztern Gedanken läßt er wieder fallen; vielleicht kommt er spater<lb/>
darauf zurück.) Oestreich zu schützen ist die Pflicht nicht blos jedes deutschen<lb/>
Patrioten, sondern eines jeden, der sich für die europäische Civilisation interessirt.<lb/>
Napoleon der Dritte erscheint ihm als der genialste Mann des Jahrhunderts;<lb/>
er traut ihm sogar äußerst menschenfreundliche Zwecke zu; aber &#x2014; &#x201E;sind wir<lb/>
Deutschen so tief herabgekommen, daß, sei es auch in bester Absicht, nur über<lb/>
uns verfügt werden darf? und könnte nicht die Rettung für uns so schlimm<lb/>
ausfallen als die Gefahr selbst?" Deutschland mußte um jeden Preis den<lb/>
östreichischen Besitzstand in Italien erhalten; und hier vergißt er plötzlich, was<lb/>
er von der Lächerlichkeit des Nationalitätsprincips gesagt. &#x201E;Die deutsche<lb/>
Nation hatte eine Satisfaction zu fordern. Wo ein deutscher Staat über<lb/>
außerdeutschcs Gebiet herrscht, da herrscht die deutsche Nation (!! glückseliger<lb/>
Nudolstädter! glückseliger Sondershäuscr!) über eine andere Nationalität, und<lb/>
diese Herrschaft ist Nationatangelegenheit. Es war eine Angelegenheit ver¬<lb/>
letzter Nationalehre, gefährdeter Nationalmacht, bedrohter Nativnal-<lb/>
eMenz," u. f. w. &#x2014; Er tadelt &#x201E;die sonderbare und zugleich unpolitische Ein¬<lb/>
mischung Preußens in das östreichische Regierungssystem" &#x2014;: &#x201E;erinnert dieser<lb/>
Vekehrungsversuch nicht an den frommen Eifer, welcher einen Kranken in der<lb/>
Stunde der Noth mit der Zumuthung eines Religionswechsels quält?" &#x2014;<lb/>
Wir wissen von diesem Bekehrungsversuch Preußens gegen Oestreich gar nichts,<lb/>
aber diese Gleichgiltigkeit gegen das östreichische Regierungssystem ist charakte¬<lb/>
ristisch für den ehemaligen Collegen N. Blums. &#x201E;Wer die Unentbehrlichkeit<lb/>
Oestreichs nicht anerkennt, ist entweder nicht zum Politiker geeignet, oder er<lb/>
ist im russischen Interesse und gehört zu den Feinden Europas." Die Geg¬<lb/>
ner Oestreichs seien bestochen: &#x201E;Ich wiederhole hier nicht etwa allgemeine<lb/>
und unbestimmte Vermuthungen, sondern ich spreche mit dem vollen Bewußt¬<lb/>
sein dessen, was die Worte bedeuten, ein Urtheil aus, welches aus Thatsachen<lb/>
beruht." &#x201E;Einem meiner Freunde, der in Deutschland eine Zeitschrift heraus¬<lb/>
gibt, bot man eine Summe an, die man ein Vermögen nennen kann,<lb/>
Kenn er in seinem Blatt das &#x201E;Nationalitätsprincip" verfechten wolle." &#x2014;<lb/>
Warum werden diese interessanten Umstände nicht genauer mitgetheilt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Bis dahin kann man indeß, auch wenn man die Ansichten des Verfassers<lb/>
uicht ganz theilt, die Berechtigung derselben nicht in Abrede stellen. Oestreichs<lb/>
^kistenz ist jedenfalls wünschenswerth &#x2014; sie für nothwendig zu erklären,<lb/>
heißt dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen &#x2014; und der wünschenswerthest?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] Mittel der Russisicirung Europas, und das Heil der deutschen Nation beruht in der Vermeidung derselben." Der leitende politische Grundgedanke, von dem er ausgeht, ist die Gefahr, die Europa von einer Coalition Rußlands und Frankreichs droht. Gegen diese Gefahr gibt es nur zwei Schutzwehren: Oestreich und die katholische Kirche. (Den letztern Gedanken läßt er wieder fallen; vielleicht kommt er spater darauf zurück.) Oestreich zu schützen ist die Pflicht nicht blos jedes deutschen Patrioten, sondern eines jeden, der sich für die europäische Civilisation interessirt. Napoleon der Dritte erscheint ihm als der genialste Mann des Jahrhunderts; er traut ihm sogar äußerst menschenfreundliche Zwecke zu; aber — „sind wir Deutschen so tief herabgekommen, daß, sei es auch in bester Absicht, nur über uns verfügt werden darf? und könnte nicht die Rettung für uns so schlimm ausfallen als die Gefahr selbst?" Deutschland mußte um jeden Preis den östreichischen Besitzstand in Italien erhalten; und hier vergißt er plötzlich, was er von der Lächerlichkeit des Nationalitätsprincips gesagt. „Die deutsche Nation hatte eine Satisfaction zu fordern. Wo ein deutscher Staat über außerdeutschcs Gebiet herrscht, da herrscht die deutsche Nation (!! glückseliger Nudolstädter! glückseliger Sondershäuscr!) über eine andere Nationalität, und diese Herrschaft ist Nationatangelegenheit. Es war eine Angelegenheit ver¬ letzter Nationalehre, gefährdeter Nationalmacht, bedrohter Nativnal- eMenz," u. f. w. — Er tadelt „die sonderbare und zugleich unpolitische Ein¬ mischung Preußens in das östreichische Regierungssystem" —: „erinnert dieser Vekehrungsversuch nicht an den frommen Eifer, welcher einen Kranken in der Stunde der Noth mit der Zumuthung eines Religionswechsels quält?" — Wir wissen von diesem Bekehrungsversuch Preußens gegen Oestreich gar nichts, aber diese Gleichgiltigkeit gegen das östreichische Regierungssystem ist charakte¬ ristisch für den ehemaligen Collegen N. Blums. „Wer die Unentbehrlichkeit Oestreichs nicht anerkennt, ist entweder nicht zum Politiker geeignet, oder er ist im russischen Interesse und gehört zu den Feinden Europas." Die Geg¬ ner Oestreichs seien bestochen: „Ich wiederhole hier nicht etwa allgemeine und unbestimmte Vermuthungen, sondern ich spreche mit dem vollen Bewußt¬ sein dessen, was die Worte bedeuten, ein Urtheil aus, welches aus Thatsachen beruht." „Einem meiner Freunde, der in Deutschland eine Zeitschrift heraus¬ gibt, bot man eine Summe an, die man ein Vermögen nennen kann, Kenn er in seinem Blatt das „Nationalitätsprincip" verfechten wolle." — Warum werden diese interessanten Umstände nicht genauer mitgetheilt? Bis dahin kann man indeß, auch wenn man die Ansichten des Verfassers uicht ganz theilt, die Berechtigung derselben nicht in Abrede stellen. Oestreichs ^kistenz ist jedenfalls wünschenswerth — sie für nothwendig zu erklären, heißt dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen — und der wünschenswerthest?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/97>, abgerufen am 27.08.2024.