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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Ausgang der deutschen Krisis -- der wünschenswertheste und unwahrschein¬
lichste -- eine Einigung zwischen Oestreich und Preußen. -- Nun folgt aber
die abenteuerliche Seite der Schrift, die Lösung der deutschen Frage, wie sie
Fröbel sich denkt.

Fröbel ist nicht großdeutsch. "Die Vereinigung Deutschlands unter öst¬
reichischen Scepter -- ein Gedanke, zu dem die Absicht gar nicht in Oest¬
reichs Charakter liegt -- ist eine Unmöglichkeit. Vorher müßte Preußen ver¬
nichtet, der Geist Norddeutschlands erdrückt, Nußland bis zur Ohnmacht gelähmt
-- kurz die übrige politische Welt auf die eine oder die andere Weise zur
Unthätigkeit gezwungen sein."

Als "Realpolitiker" -- denn so nennt sich heute jeder Doctrinär -- prüft
er zunächst das wirklich Bestehende. Der Unterschied von Nord- und Süd¬
deutschland will nichts sagen: "ungleich bedeutungsvoller ist es, daß wir Oest¬
reicher, Preußen und deutsche Kleinstaatler sind, und daß der, welchen das
letzte trifft, sich dessen nicht zu schämen hat." Also das stolze Bewußtsein,
einem Kleinstaat anzugehören, soll zwischen dem Oldenburger, Mecklenburger,
Badenser und Baier eine engere Verwandtschaft hervorbringen, als der in der
Sprache wie im Leben hervortretende Gegensatz zwischen Süd und Nord! "Die
strategische Aufstellung unsrer geistigen Kräfte ist ein Dreieck, dessen Spitzen nicht
nur aus die Hauptverhältnisse der europäischen Politik deuten (nach welcher Seite
der Politik mag wol die Spitze der Staatengruppe Mecklenburg-Anhalt-Schwarz-
burg-Hessen-Sachsen-Baiern-Baden gerichtet sein?), sondern auch die großen
Charakterzüge im deutschen Volksgeist bezeichnen." "Wir nehmen die Mittel-
und Kleinstaaten als eine Gruppe, die den beiden großen gegenüber ein ge¬
meinsames Interesse hat (die Bewohner dieser Länder? oder die Fürsten?), und
im Gegensatz gegen bureaukratisch zugestutzte Einförmigkeit und centralisirten
Staatsmechanismus das politische Leben nach der Seite des Volkes hin re-
präsentiren." . .

Dies ist wieder ein Punkt, in dem sich die Fröbelsche Beobachtungsgabe
herrlich offenbart. Daß er sich im wirklichen Leben umsieht, und z. B. die
bairischen oder rudolstädter Beamten mit den preußischen vergleicht, das wäre
von einem Träumer zu viel verlangt; er durfte aber nur die "Fliegenden Blät¬
ter" aufschlagen, um sich über die Existenz von mittelstaatlichen "Staatshämor-
rhoidariern" zu unterrichten. Was aber die Kleinstaaten betrifft, so dürfte die
Zahl der Bureaukraten die eines preußischen Kreises um das Dreifache über¬
steigen. Je kleiner der Staat, desto zahlreicher und unfähiger die Bureaukratie;
desto eingeschränkter und dürftiger das wirkliche Leben des Volks, da der Hos"
alle Kräfte an sich zieht. Bierstuben, in denen man kannegießert, mögen in
Kleinstaaten zahlreicher sein; ein wirklich "politisches Leben des Volks" findet
in ihnen nicht statt. Auch wo constitutionelle Einrichtungen stattfinden, bringn


Ausgang der deutschen Krisis — der wünschenswertheste und unwahrschein¬
lichste — eine Einigung zwischen Oestreich und Preußen. — Nun folgt aber
die abenteuerliche Seite der Schrift, die Lösung der deutschen Frage, wie sie
Fröbel sich denkt.

Fröbel ist nicht großdeutsch. „Die Vereinigung Deutschlands unter öst¬
reichischen Scepter — ein Gedanke, zu dem die Absicht gar nicht in Oest¬
reichs Charakter liegt — ist eine Unmöglichkeit. Vorher müßte Preußen ver¬
nichtet, der Geist Norddeutschlands erdrückt, Nußland bis zur Ohnmacht gelähmt
— kurz die übrige politische Welt auf die eine oder die andere Weise zur
Unthätigkeit gezwungen sein."

Als „Realpolitiker" — denn so nennt sich heute jeder Doctrinär — prüft
er zunächst das wirklich Bestehende. Der Unterschied von Nord- und Süd¬
deutschland will nichts sagen: „ungleich bedeutungsvoller ist es, daß wir Oest¬
reicher, Preußen und deutsche Kleinstaatler sind, und daß der, welchen das
letzte trifft, sich dessen nicht zu schämen hat." Also das stolze Bewußtsein,
einem Kleinstaat anzugehören, soll zwischen dem Oldenburger, Mecklenburger,
Badenser und Baier eine engere Verwandtschaft hervorbringen, als der in der
Sprache wie im Leben hervortretende Gegensatz zwischen Süd und Nord! „Die
strategische Aufstellung unsrer geistigen Kräfte ist ein Dreieck, dessen Spitzen nicht
nur aus die Hauptverhältnisse der europäischen Politik deuten (nach welcher Seite
der Politik mag wol die Spitze der Staatengruppe Mecklenburg-Anhalt-Schwarz-
burg-Hessen-Sachsen-Baiern-Baden gerichtet sein?), sondern auch die großen
Charakterzüge im deutschen Volksgeist bezeichnen." „Wir nehmen die Mittel-
und Kleinstaaten als eine Gruppe, die den beiden großen gegenüber ein ge¬
meinsames Interesse hat (die Bewohner dieser Länder? oder die Fürsten?), und
im Gegensatz gegen bureaukratisch zugestutzte Einförmigkeit und centralisirten
Staatsmechanismus das politische Leben nach der Seite des Volkes hin re-
präsentiren." . .

Dies ist wieder ein Punkt, in dem sich die Fröbelsche Beobachtungsgabe
herrlich offenbart. Daß er sich im wirklichen Leben umsieht, und z. B. die
bairischen oder rudolstädter Beamten mit den preußischen vergleicht, das wäre
von einem Träumer zu viel verlangt; er durfte aber nur die „Fliegenden Blät¬
ter" aufschlagen, um sich über die Existenz von mittelstaatlichen „Staatshämor-
rhoidariern" zu unterrichten. Was aber die Kleinstaaten betrifft, so dürfte die
Zahl der Bureaukraten die eines preußischen Kreises um das Dreifache über¬
steigen. Je kleiner der Staat, desto zahlreicher und unfähiger die Bureaukratie;
desto eingeschränkter und dürftiger das wirkliche Leben des Volks, da der Hos"
alle Kräfte an sich zieht. Bierstuben, in denen man kannegießert, mögen in
Kleinstaaten zahlreicher sein; ein wirklich „politisches Leben des Volks" findet
in ihnen nicht statt. Auch wo constitutionelle Einrichtungen stattfinden, bringn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/98>, abgerufen am 27.08.2024.