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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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gebauten für sich auszubeuten, und successiv das Kaiserthum wieder herzustellen.
Die Mittelstaaten, noch im Verdruß und Schreck über die preußischen Vcr-
größerungsplüne, gingen eine ziemliche Strecke mit, aber Rußland blieb kalt,
und da dieser Druck aufhörte, sammelte auch Preußen so viel Widerstandskraft,
daß die dresdner Konferenzen als schützbares Material zu den Acten gelegt
und die alten Rechtsverhältnisse wieder hergestellt wurden.

Oestreich fand bald Gelegenheit zur Rache. Man hat seine Haltung im
orientalischen Krieg einfach als Undankbarkeit bezeichnet; das ist übertrieben.
Rußland hatte nicht ganz gethan, was man gewollt, und es schien sich jetzt
die Gelegenheit zu ergeben, die Hegemonie über Deutschland, die man von
Rußland nicht erlangt, im Kampf gegen Nußland mit Hilfe der Westmächte
zu erobern. Es war ein kühner, ein großer Gedanke; aber seine Ausführung
erforderte eine heroische Entschlossenheit, und Oestreich handelte so, als ob ihm
Europa die Kaiserwürde als Geschenk höflich entgegentragen würde. Das ge¬
schah nicht, und das Resultat war, daß nach dem Frieden Oestreich mit
sämmtlichen Großmächten verfeindet war, daß man ihm zuerst in der türkischen
Grenze, dann in der italienischen Verlegenheiten bereitete. Hütte hier nicht
Preußen, trotz seines gerechten Grolls, die Bundestreue bewahrt, so würe
eine europäische Coalition gegen Oestreich und damit vielleicht eine gänzliche
Umgestaltung der Weltkarte möglich gewesen.

Verfolgen wir in dieser Periode die Politik der Mittelstaaten. Hannover
und Sachsen waren im ersten Schreck 1849, da Oestreich noch hilflos schien,
dem allgemeinen Trieb der Fürsten gefolgt, die in Preußen ihre Stütze suchten.
Dann verbanden sie sich mit den beiden südlichen Königreichen zu Bregenz,
und einer nach dem andern der Kleinstaaten schloß sich an. Damals war
Oestreich der mächtige Herr, und die Parole: Wenn mein Kaiser befiehlt,
ziehe ich ins Feld. -- Der Dritte schien gefunden; die Coalition von Bregenz;
Herr v. d. Pfordten gab dieser Ansicht in den dresdner Konferenzen Ausdruck, in¬
dem er nach dem Fürsten Schwarzenberg und Herrn v. Manteuffel als Eben¬
bürtiger eine Rede hielt. Wie wir gesehen, war die Auffassung nicht ganz
correct: Rußland war der echte Dritte.

Die Mittelstaaten begriffen es bald, als Nußland ausgeschieden werden
sollte, als es einen Augenblick schien, als ob Preußen mit Oestreich im Ein-
verstündniß sei. Der bamberger Bund war gegen Oestreich und Preußen zu¬
gleich, für Rußland; später schloß sich Preußen in der Hauptsache an.

Die Politik der Mittelstaaten schien nun genau vorgezeichnet, und der
geistvollste Staatsmann derselben hat sich in mehren Noten mit vollkommener
Offenheit darüber ausgesprochen: balanciren zwischen Oestreich und Preuße";
diejenige Macht bekämpfen, die aggressiv auftritt, diejenige stützen, die das
Alte erhält.


gebauten für sich auszubeuten, und successiv das Kaiserthum wieder herzustellen.
Die Mittelstaaten, noch im Verdruß und Schreck über die preußischen Vcr-
größerungsplüne, gingen eine ziemliche Strecke mit, aber Rußland blieb kalt,
und da dieser Druck aufhörte, sammelte auch Preußen so viel Widerstandskraft,
daß die dresdner Konferenzen als schützbares Material zu den Acten gelegt
und die alten Rechtsverhältnisse wieder hergestellt wurden.

Oestreich fand bald Gelegenheit zur Rache. Man hat seine Haltung im
orientalischen Krieg einfach als Undankbarkeit bezeichnet; das ist übertrieben.
Rußland hatte nicht ganz gethan, was man gewollt, und es schien sich jetzt
die Gelegenheit zu ergeben, die Hegemonie über Deutschland, die man von
Rußland nicht erlangt, im Kampf gegen Nußland mit Hilfe der Westmächte
zu erobern. Es war ein kühner, ein großer Gedanke; aber seine Ausführung
erforderte eine heroische Entschlossenheit, und Oestreich handelte so, als ob ihm
Europa die Kaiserwürde als Geschenk höflich entgegentragen würde. Das ge¬
schah nicht, und das Resultat war, daß nach dem Frieden Oestreich mit
sämmtlichen Großmächten verfeindet war, daß man ihm zuerst in der türkischen
Grenze, dann in der italienischen Verlegenheiten bereitete. Hütte hier nicht
Preußen, trotz seines gerechten Grolls, die Bundestreue bewahrt, so würe
eine europäische Coalition gegen Oestreich und damit vielleicht eine gänzliche
Umgestaltung der Weltkarte möglich gewesen.

Verfolgen wir in dieser Periode die Politik der Mittelstaaten. Hannover
und Sachsen waren im ersten Schreck 1849, da Oestreich noch hilflos schien,
dem allgemeinen Trieb der Fürsten gefolgt, die in Preußen ihre Stütze suchten.
Dann verbanden sie sich mit den beiden südlichen Königreichen zu Bregenz,
und einer nach dem andern der Kleinstaaten schloß sich an. Damals war
Oestreich der mächtige Herr, und die Parole: Wenn mein Kaiser befiehlt,
ziehe ich ins Feld. — Der Dritte schien gefunden; die Coalition von Bregenz;
Herr v. d. Pfordten gab dieser Ansicht in den dresdner Konferenzen Ausdruck, in¬
dem er nach dem Fürsten Schwarzenberg und Herrn v. Manteuffel als Eben¬
bürtiger eine Rede hielt. Wie wir gesehen, war die Auffassung nicht ganz
correct: Rußland war der echte Dritte.

Die Mittelstaaten begriffen es bald, als Nußland ausgeschieden werden
sollte, als es einen Augenblick schien, als ob Preußen mit Oestreich im Ein-
verstündniß sei. Der bamberger Bund war gegen Oestreich und Preußen zu¬
gleich, für Rußland; später schloß sich Preußen in der Hauptsache an.

Die Politik der Mittelstaaten schien nun genau vorgezeichnet, und der
geistvollste Staatsmann derselben hat sich in mehren Noten mit vollkommener
Offenheit darüber ausgesprochen: balanciren zwischen Oestreich und Preuße»;
diejenige Macht bekämpfen, die aggressiv auftritt, diejenige stützen, die das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/94>, abgerufen am 27.08.2024.