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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Die Tritts.

Das Problem der deutschen Einheit ist bis jetzt an der Existenz der beiden
deutschen Großmächte gescheitert, die in den seltensten Fällen, und eigentlich
nur dann übereinstimmten, wenn es galt, den revolutionären Geist einzudäm¬
men. Das alte Sprichwort: tres taeirwt collegium, hat einen handgreiflichen
Sinn: unter Dreien ist eine Abstimmung möglich, unter Zweien nicht. Aber
auch jene Abstimmung hat nur dann ein wirkliches Resultat, wenn die beiden
Uebereinstimmenden die Mittel haben, den Dritten zu zwingen, oder wenn
die Gleichheit der Lage und der Principien so groß ist, ihn zu einer freiwil¬
ligen Unterwerfung zu veranlassen. So war es eine Zeit lang mit der heiligen
Allianz; Rußland war der dritte Mann der deutschen Trias: der deutsche Bundes¬
tag hatte nicht viel Anderes thun, als den Inspirationen dieses Kollegiums
SU folgen. Der letzte Act der heiligen Allianz war die Einverleibung Krakaus;
bald darauf erfolgte die Revolution, und mit ihr das vorläufige Ausscheiden
Rußlands aus dem Herrschercollegium Deutschlands.

Das vorläufige: denn das Bedürfniß eines Dritten stellte sich immer
lebhafter heraus. Zuerst suchte man ihn im Reichsverweser, dem provisorischen
Lehnsherrn über die beiden Großmächte; dann bot sich die Krone Baiern an;
das Resultat war die Bildung einer östreichischen und einer preußischen Partei,
die beide die collegialische Form der Herrschaft durch eine einheitliche zu ersetzen
^achteten.

Der Bürgerkrieg stand vor der Thür, da trat Rußland wieder ein. Schon
hatte es den "phaetonischen Flug" der preußischen Politik im dänischen Kriege
Aufgehalten; schon hatte es durch Niederwerfung der Ungarn Oestreich wieder
hergestellt; jetzt erklärte es sich im Collisionsfall für Oestreich ; die Folgen waren
Dlimütz, die Restauration in Schleswig-Holstein und Kurhessen, der Bruch
Preußens mit der Revolution, der Bundestag. Preußen hatte aufgehört, der
Führer einer progressiven Partei zu sein.

Aber Rußland ging nicht so weit, als Oestreich wollte. Oestreich hatte
die beste Absicht, jetzt die Rolle Preußens zu spielen, den nationalen Einhcits-


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Die Tritts.

Das Problem der deutschen Einheit ist bis jetzt an der Existenz der beiden
deutschen Großmächte gescheitert, die in den seltensten Fällen, und eigentlich
nur dann übereinstimmten, wenn es galt, den revolutionären Geist einzudäm¬
men. Das alte Sprichwort: tres taeirwt collegium, hat einen handgreiflichen
Sinn: unter Dreien ist eine Abstimmung möglich, unter Zweien nicht. Aber
auch jene Abstimmung hat nur dann ein wirkliches Resultat, wenn die beiden
Uebereinstimmenden die Mittel haben, den Dritten zu zwingen, oder wenn
die Gleichheit der Lage und der Principien so groß ist, ihn zu einer freiwil¬
ligen Unterwerfung zu veranlassen. So war es eine Zeit lang mit der heiligen
Allianz; Rußland war der dritte Mann der deutschen Trias: der deutsche Bundes¬
tag hatte nicht viel Anderes thun, als den Inspirationen dieses Kollegiums
SU folgen. Der letzte Act der heiligen Allianz war die Einverleibung Krakaus;
bald darauf erfolgte die Revolution, und mit ihr das vorläufige Ausscheiden
Rußlands aus dem Herrschercollegium Deutschlands.

Das vorläufige: denn das Bedürfniß eines Dritten stellte sich immer
lebhafter heraus. Zuerst suchte man ihn im Reichsverweser, dem provisorischen
Lehnsherrn über die beiden Großmächte; dann bot sich die Krone Baiern an;
das Resultat war die Bildung einer östreichischen und einer preußischen Partei,
die beide die collegialische Form der Herrschaft durch eine einheitliche zu ersetzen
^achteten.

Der Bürgerkrieg stand vor der Thür, da trat Rußland wieder ein. Schon
hatte es den „phaetonischen Flug" der preußischen Politik im dänischen Kriege
Aufgehalten; schon hatte es durch Niederwerfung der Ungarn Oestreich wieder
hergestellt; jetzt erklärte es sich im Collisionsfall für Oestreich ; die Folgen waren
Dlimütz, die Restauration in Schleswig-Holstein und Kurhessen, der Bruch
Preußens mit der Revolution, der Bundestag. Preußen hatte aufgehört, der
Führer einer progressiven Partei zu sein.

Aber Rußland ging nicht so weit, als Oestreich wollte. Oestreich hatte
die beste Absicht, jetzt die Rolle Preußens zu spielen, den nationalen Einhcits-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/93>, abgerufen am 27.08.2024.