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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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mit Beschlag belegen und die Mannschaft desselben in den Kerker werfen ließ,
erschien der Admiral Bandiera vor der Stadt, schoß die dort ankernde ma¬
rokkanische Flotte zusammen und bombardirte die Stadt so lange, bis der
Sultan den erwähnten Kauffahrer herausgab und auf ferneren Tribut ver¬
zichtete. Die skandinavischen Mächte entledigten sich der lästigen Abgabe °,erst
1844, indem sie ein Geschwader vor Tanger schickten, welches indeß nichts zu
thun bekam, da England beim Sultan den Erlaß fernern Tributs vermittelte.
In demselben Jahre schickte sich auch Spanien zu einem Feldzug gegen Ma¬
rokko an. Victor Darmon, ein in Marseille geborner, von einem tunesischen
Vater stammender Jude, war als Konsularagent Spaniens und Sardiniens in
Mazaghan an der atlantischen Küste Marrokkos angestellt. Derselbe bekam im
September 1843 auf der Jagd Streit mit Mauren, welche ihm den Uebergang
über ihr Feld verweigerten, und, da sie wußten, daß er ein Jude sei, ihreMach-
barn gegen ihn aussetzten. Mit Steinen geworfen, glaubte er sich in Lebens¬
gefahr, schoß und tödtete einen der Angreifer. Dieser Mord eines Musel-
Mans durch einen verachteten Juden erregte im Lande die wüthendste Erbitterung.
Darmon wurde verhaftet und durch den Kalb von Mazaghan zum Tode ver-
urtheilt. Zur Vollziehung des Urtheils war die Bestätigung des Sultans er¬
forderlich. Während diese erwartet wurde, gelang es Darmon, aus seinem
Kerker zu entfliehen. Er wurde eingeholt, vertheidigte sich und verwundete
einen der Häscher, wofür ihn ein neues Gericht zum zweiten Mal zum Tode
verurtheilte. Das Urtheil wurde jetzt wirklich vollzogen. Spanien erhob
darüber Klage beim Sultan und forderte zugleich für die Plünderung eines
seiner Schiffe durch marokkanische Seeräuber Genugthuung und Entschädigung.
Als diese, wie gewöhnlich, auf sich warten ließ, rüstete man in Spanien,
um einerseits für jene Beleidigungen Sühne zu erzwingen, andrerseits aber
zugleich eine größere Sicherheit Ccutas durch Eroberung eines diese Festung
zum Theil beherrschenden Stückes marokkanischen Gebiets zu erlangen. Schon
wachte man Miene, von Ceuta aus mit 6000 Mann nach dem Innern zu
Warschiren, während zugleich ein Geschwader mit Landungstruppen nach den
westlichen Häfen abgehen sollte, als der Sultan nachgab und Friede ge¬
schlossen wurde.

"Der Zug gegen Marokko." sagte damals das Organ des spanischen
Ministeriums, "ist das Vorspiel großer Ereignisse und beweist, daß die
spanische Nation endlich die alte trüge Politik mit einer thätigen kriegerischen
vertauscht. Aber wenn wir auch die Nothwendigkeit behaupten, daß Spanien
sich aus sichere und dauernde Weise in Afrika festsetzt, so müssen wir doch
weiter gehende, auf eine Besetzung des ganzen Küstenstrichs gerichtete Pläne
als unzeitig von uns weisen. Wir bedürfen der Hülfe und Mitwirkung
Frankreichs, und Ludwig Philipp findet bekanntlich seinen Ruhm in der Er-


mit Beschlag belegen und die Mannschaft desselben in den Kerker werfen ließ,
erschien der Admiral Bandiera vor der Stadt, schoß die dort ankernde ma¬
rokkanische Flotte zusammen und bombardirte die Stadt so lange, bis der
Sultan den erwähnten Kauffahrer herausgab und auf ferneren Tribut ver¬
zichtete. Die skandinavischen Mächte entledigten sich der lästigen Abgabe °,erst
1844, indem sie ein Geschwader vor Tanger schickten, welches indeß nichts zu
thun bekam, da England beim Sultan den Erlaß fernern Tributs vermittelte.
In demselben Jahre schickte sich auch Spanien zu einem Feldzug gegen Ma¬
rokko an. Victor Darmon, ein in Marseille geborner, von einem tunesischen
Vater stammender Jude, war als Konsularagent Spaniens und Sardiniens in
Mazaghan an der atlantischen Küste Marrokkos angestellt. Derselbe bekam im
September 1843 auf der Jagd Streit mit Mauren, welche ihm den Uebergang
über ihr Feld verweigerten, und, da sie wußten, daß er ein Jude sei, ihreMach-
barn gegen ihn aussetzten. Mit Steinen geworfen, glaubte er sich in Lebens¬
gefahr, schoß und tödtete einen der Angreifer. Dieser Mord eines Musel-
Mans durch einen verachteten Juden erregte im Lande die wüthendste Erbitterung.
Darmon wurde verhaftet und durch den Kalb von Mazaghan zum Tode ver-
urtheilt. Zur Vollziehung des Urtheils war die Bestätigung des Sultans er¬
forderlich. Während diese erwartet wurde, gelang es Darmon, aus seinem
Kerker zu entfliehen. Er wurde eingeholt, vertheidigte sich und verwundete
einen der Häscher, wofür ihn ein neues Gericht zum zweiten Mal zum Tode
verurtheilte. Das Urtheil wurde jetzt wirklich vollzogen. Spanien erhob
darüber Klage beim Sultan und forderte zugleich für die Plünderung eines
seiner Schiffe durch marokkanische Seeräuber Genugthuung und Entschädigung.
Als diese, wie gewöhnlich, auf sich warten ließ, rüstete man in Spanien,
um einerseits für jene Beleidigungen Sühne zu erzwingen, andrerseits aber
zugleich eine größere Sicherheit Ccutas durch Eroberung eines diese Festung
zum Theil beherrschenden Stückes marokkanischen Gebiets zu erlangen. Schon
wachte man Miene, von Ceuta aus mit 6000 Mann nach dem Innern zu
Warschiren, während zugleich ein Geschwader mit Landungstruppen nach den
westlichen Häfen abgehen sollte, als der Sultan nachgab und Friede ge¬
schlossen wurde.

„Der Zug gegen Marokko." sagte damals das Organ des spanischen
Ministeriums, „ist das Vorspiel großer Ereignisse und beweist, daß die
spanische Nation endlich die alte trüge Politik mit einer thätigen kriegerischen
vertauscht. Aber wenn wir auch die Nothwendigkeit behaupten, daß Spanien
sich aus sichere und dauernde Weise in Afrika festsetzt, so müssen wir doch
weiter gehende, auf eine Besetzung des ganzen Küstenstrichs gerichtete Pläne
als unzeitig von uns weisen. Wir bedürfen der Hülfe und Mitwirkung
Frankreichs, und Ludwig Philipp findet bekanntlich seinen Ruhm in der Er-


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[0523] mit Beschlag belegen und die Mannschaft desselben in den Kerker werfen ließ, erschien der Admiral Bandiera vor der Stadt, schoß die dort ankernde ma¬ rokkanische Flotte zusammen und bombardirte die Stadt so lange, bis der Sultan den erwähnten Kauffahrer herausgab und auf ferneren Tribut ver¬ zichtete. Die skandinavischen Mächte entledigten sich der lästigen Abgabe °,erst 1844, indem sie ein Geschwader vor Tanger schickten, welches indeß nichts zu thun bekam, da England beim Sultan den Erlaß fernern Tributs vermittelte. In demselben Jahre schickte sich auch Spanien zu einem Feldzug gegen Ma¬ rokko an. Victor Darmon, ein in Marseille geborner, von einem tunesischen Vater stammender Jude, war als Konsularagent Spaniens und Sardiniens in Mazaghan an der atlantischen Küste Marrokkos angestellt. Derselbe bekam im September 1843 auf der Jagd Streit mit Mauren, welche ihm den Uebergang über ihr Feld verweigerten, und, da sie wußten, daß er ein Jude sei, ihreMach- barn gegen ihn aussetzten. Mit Steinen geworfen, glaubte er sich in Lebens¬ gefahr, schoß und tödtete einen der Angreifer. Dieser Mord eines Musel- Mans durch einen verachteten Juden erregte im Lande die wüthendste Erbitterung. Darmon wurde verhaftet und durch den Kalb von Mazaghan zum Tode ver- urtheilt. Zur Vollziehung des Urtheils war die Bestätigung des Sultans er¬ forderlich. Während diese erwartet wurde, gelang es Darmon, aus seinem Kerker zu entfliehen. Er wurde eingeholt, vertheidigte sich und verwundete einen der Häscher, wofür ihn ein neues Gericht zum zweiten Mal zum Tode verurtheilte. Das Urtheil wurde jetzt wirklich vollzogen. Spanien erhob darüber Klage beim Sultan und forderte zugleich für die Plünderung eines seiner Schiffe durch marokkanische Seeräuber Genugthuung und Entschädigung. Als diese, wie gewöhnlich, auf sich warten ließ, rüstete man in Spanien, um einerseits für jene Beleidigungen Sühne zu erzwingen, andrerseits aber zugleich eine größere Sicherheit Ccutas durch Eroberung eines diese Festung zum Theil beherrschenden Stückes marokkanischen Gebiets zu erlangen. Schon wachte man Miene, von Ceuta aus mit 6000 Mann nach dem Innern zu Warschiren, während zugleich ein Geschwader mit Landungstruppen nach den westlichen Häfen abgehen sollte, als der Sultan nachgab und Friede ge¬ schlossen wurde. „Der Zug gegen Marokko." sagte damals das Organ des spanischen Ministeriums, „ist das Vorspiel großer Ereignisse und beweist, daß die spanische Nation endlich die alte trüge Politik mit einer thätigen kriegerischen vertauscht. Aber wenn wir auch die Nothwendigkeit behaupten, daß Spanien sich aus sichere und dauernde Weise in Afrika festsetzt, so müssen wir doch weiter gehende, auf eine Besetzung des ganzen Küstenstrichs gerichtete Pläne als unzeitig von uns weisen. Wir bedürfen der Hülfe und Mitwirkung Frankreichs, und Ludwig Philipp findet bekanntlich seinen Ruhm in der Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/523>, abgerufen am 02.10.2024.