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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Ansprüchen unter einem Haufen von Menschen denke, die sein Geburtsrecht zur
Krone nicht anerkennen; aber die Folgen für ein empfindliches Gemüth, sie
sind, ich schwöre es dir. nicht zu berechnen. Mich entsetzt die Vorstellung. --
Ist es aber nicht, unwürdig, wenn sich das Schicksal herabläßt, ein so hilf¬
loses Ding wie der Mensch ist, bei der Nase herumzuführen? Und sollte man
es nicht fast so nennen, wenn eS uns gleichsam Kuxe auf Goldminen gibt,
die, wenn wir nachgraben, überall kein echtes Metall enthalten? Die Hölle
gab mir meine halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes
oder gar keins. -- Ich kann dir nicht sagen, wie groß mein Schmerz ist.
Ich würde von Herzen gern hingehen, wo ewig kein Mensch hinkommt. Es
hat sich eine gewisse ungerechte Erbitterung meiner gegen sie bemeistert: ich
komme nur fast vor wie Minette, wenn sie in einem Streite Recht hat und
sich nicht aussprechen kann. -- Ich bin jetzt auf dem Wege nach Paris sehr
entschlossen, ohne Wahl zuzugreifen, wo sich etwas finden wird. Geßner hat
mich nicht bezahlt, meine unselige Stimmung hat mir viel Geld gekostet, und
wenn du mich noch einmal unterstützen willst, so kann es mir nur helfen,
wenn es bald geschieht. Kann sein, auch wenn es gar nicht geschieht." ^

In dieser Stimmung kam er nach Paris, entzweite sich mit Pfuel und
verschwand plötzlich. Der nächste Brief ist aus Se. Omer, 26. Oct.: "Was
ich dir schreiben werde, kann dir vielleicht das Leben kosten; aber ich muß, ich
muß, ich muß es vollbringen. Ich habe in Paris mein Werk, so weit es
fertig war, durchlesen, verworfen und verbrannt; und nun ist es aus. Der
Himmel versagt mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde; ich werft
ihm wie ein eigensinniges Kind alle übrigen hin. Ich kann mich deiner
Freundschaft nicht würdig zeigen, ich kann ohne diese Freundschaft doch nicht
leben: ich stürze mich in den Tod. Sei ruhig, du Erhabene! ich werde den
schönen Tod der Schlachten sterben. Ich habe die Hauptstadt dieses Landes
verlassen, ich bin an seine Nordküste gewandert, ich werde französische Kriegs¬
dienste nehmen, das Heer wird bald nach England hinüberrudern, unser aller
Verderben lauert über dem Meere, ich frohlocke bei der Aussicht auf das un¬
endlich prächtige Grab. O du Geliebte! Du wirst mein letzter Gedanke sein."

An demselben Tage schrieb er einen (S. 94) "sonderbaren" Brief an den
Marquis Lucchesini, der ihm später (Juni 1804) zu folgender Erklärung gege"
den General Köckeritz Veranlassung gab: "Dieser Brief müsse unverkennbare
Zeichen einer Gemüthskrankheit enthalten, und ich unterstände mich, von Sr.
Majestät Gerechtigkeit zu hoffen, daß er vor keinen politischen Richterstuhl ge¬
zogen werden würde .. . Jene Einschiffungsgeschichte hätte gar keine politische"
Motive gehabt, sie gehöre vor das Formen des Arztes weit eher als des Cabi-
nets. Ich hätte bei einer fixen Idee einen gewissen Schmerz 'w
Kopfe empfunden, der unerträglich heftig steigernd, mir das Be-


Ansprüchen unter einem Haufen von Menschen denke, die sein Geburtsrecht zur
Krone nicht anerkennen; aber die Folgen für ein empfindliches Gemüth, sie
sind, ich schwöre es dir. nicht zu berechnen. Mich entsetzt die Vorstellung. —
Ist es aber nicht, unwürdig, wenn sich das Schicksal herabläßt, ein so hilf¬
loses Ding wie der Mensch ist, bei der Nase herumzuführen? Und sollte man
es nicht fast so nennen, wenn eS uns gleichsam Kuxe auf Goldminen gibt,
die, wenn wir nachgraben, überall kein echtes Metall enthalten? Die Hölle
gab mir meine halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes
oder gar keins. — Ich kann dir nicht sagen, wie groß mein Schmerz ist.
Ich würde von Herzen gern hingehen, wo ewig kein Mensch hinkommt. Es
hat sich eine gewisse ungerechte Erbitterung meiner gegen sie bemeistert: ich
komme nur fast vor wie Minette, wenn sie in einem Streite Recht hat und
sich nicht aussprechen kann. — Ich bin jetzt auf dem Wege nach Paris sehr
entschlossen, ohne Wahl zuzugreifen, wo sich etwas finden wird. Geßner hat
mich nicht bezahlt, meine unselige Stimmung hat mir viel Geld gekostet, und
wenn du mich noch einmal unterstützen willst, so kann es mir nur helfen,
wenn es bald geschieht. Kann sein, auch wenn es gar nicht geschieht." ^

In dieser Stimmung kam er nach Paris, entzweite sich mit Pfuel und
verschwand plötzlich. Der nächste Brief ist aus Se. Omer, 26. Oct.: „Was
ich dir schreiben werde, kann dir vielleicht das Leben kosten; aber ich muß, ich
muß, ich muß es vollbringen. Ich habe in Paris mein Werk, so weit es
fertig war, durchlesen, verworfen und verbrannt; und nun ist es aus. Der
Himmel versagt mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde; ich werft
ihm wie ein eigensinniges Kind alle übrigen hin. Ich kann mich deiner
Freundschaft nicht würdig zeigen, ich kann ohne diese Freundschaft doch nicht
leben: ich stürze mich in den Tod. Sei ruhig, du Erhabene! ich werde den
schönen Tod der Schlachten sterben. Ich habe die Hauptstadt dieses Landes
verlassen, ich bin an seine Nordküste gewandert, ich werde französische Kriegs¬
dienste nehmen, das Heer wird bald nach England hinüberrudern, unser aller
Verderben lauert über dem Meere, ich frohlocke bei der Aussicht auf das un¬
endlich prächtige Grab. O du Geliebte! Du wirst mein letzter Gedanke sein."

An demselben Tage schrieb er einen (S. 94) „sonderbaren" Brief an den
Marquis Lucchesini, der ihm später (Juni 1804) zu folgender Erklärung gege"
den General Köckeritz Veranlassung gab: „Dieser Brief müsse unverkennbare
Zeichen einer Gemüthskrankheit enthalten, und ich unterstände mich, von Sr.
Majestät Gerechtigkeit zu hoffen, daß er vor keinen politischen Richterstuhl ge¬
zogen werden würde .. . Jene Einschiffungsgeschichte hätte gar keine politische»
Motive gehabt, sie gehöre vor das Formen des Arztes weit eher als des Cabi-
nets. Ich hätte bei einer fixen Idee einen gewissen Schmerz 'w
Kopfe empfunden, der unerträglich heftig steigernd, mir das Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/502>, abgerufen am 01.07.2024.