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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Brief*) heißt es: "Wenn ihr mich in Ruhe ein paar Monate bei euch fort-
arbeiten lassen wolltet, ohne mich mit Angst, was ans nur werden werde,
aasend zu machen, so würde ich -- ja ich würde!" . . . "Aber ich muß Zeit
haben, Zeit muß ich haben. -- O ihr Erinnyen mit eurer Liebe!" --
Dresden, 3. Juli: "Der Rest meines Vermögens ist aufgezehrt, und ich soll
das Anerbieten eines Freundes annehmen (Pfuel), von seinem Gelde so lange
ZU leben, bis ich eine gewisse Entdeckung im Gebiet der Kunst, die ihn sehr
interessirt, völlig ans Licht gestellt habe. Ich soll in spätestens 12 Tagen mit
>hin nach der Schweiz gehen, wo ich diese neue literarische Arbeit, die sich aller¬
dings über meine Erwartung hinaus verzögert, unter seinen Augen vollenden
s"it." Statt dessen bittet er die Schwester "so viele Fristung meines Lebens,
als nöthig ist, seiner großen Bestimmung völlig genug zu thun." -- Ulrike
kommt persönlich nach Dresden, mit einigen andern Verwandten. "Seit ich
euch in Dresden sah, schreibt er 20. Juli aus Leipzig, scheint mir leicht an
euch zu schreiben, was mir früher unmöglich war. Ich weiß nicht, welche
seltsame Vorstellung von einer unvernünftigen Angst meiner Verwandten über
""es in meinem Hirn Wurzel gefaßt hatte." -- Die Reise mit Pfuel findet
doch statt -- einerlei wohin? in Dresden quälen sie ihn wieder mit Fragen
über das, was er leisten will!

Den 5. Oct. 1803 schreibt er aus Genf an Ulrike: "Der Himmel weiß
(und ich will umkommen, wenn es nicht wörtlich wahr ist), wie gern ich einen
Blutstropfen aus meinem Herzen für jeden Buchstabe" eines Briefes gäbe, der
!o anfangen könnte: mein Gedicht ist fertig! Aber du weißt, wer nach dem
Sprichwort mehr thut, als er kann. Ich habe nun ein Halbtausend hinter
einander folgender Tage, die Nächte der meisten mit eingerechnet, um den Ver¬
buch gesetzt, zu so viel .Kränzen noch einen auf unsere Familie herabzuringcn:
letzt ruft mir unsere heilige Schutzgöttin zu, daß es genug sei . . . Und so
^i es denn genug. Das Schicksal will, denke ich, die Kunst in diesem nörd¬
lichen Himmelsstrich noch nicht reifen lassen. Thöricht wäre es wenigstens,
^cum ich meine Kräfte länger an ein Werk setzen wollte, das, wie ich mich
endlich überzeugen muß, für mich zu schwer ist. Ich trete vor Einem zurück,
der noch nicht da ist, und beuge mich ein Jahrtausend im Voraus vor seinem
leiste. Denn in der Reihe der menschlichen Erfindungen ist diejenige, die ich
gedacht habe, unfehlbar ein Glied, und es wächst irgendwo ein Stein schon
sür den, der sie einst ausspricht. -- Und so soll ich denn niemals zu euch,
weine theuersten Menschen, zurückkehren? O niemals! rede mir nicht zu. --
Wenn du es thust, so kennst du das gefährliche Ding nicht, das man Ehrgeiz
nennt. Ich kann jetzt darüber lachen, wenn ich mir einen Prätendenten mit



5, "Ich nehme hier Unterricht in der -- Decwmation bei einem gewissen Kcrndörffer.
^"1 lerne meine eigne Tragödie bei ihm declamiren."
Grenzlwten IV. 135ö. 62

Brief*) heißt es: „Wenn ihr mich in Ruhe ein paar Monate bei euch fort-
arbeiten lassen wolltet, ohne mich mit Angst, was ans nur werden werde,
aasend zu machen, so würde ich — ja ich würde!" . . . „Aber ich muß Zeit
haben, Zeit muß ich haben. — O ihr Erinnyen mit eurer Liebe!" —
Dresden, 3. Juli: „Der Rest meines Vermögens ist aufgezehrt, und ich soll
das Anerbieten eines Freundes annehmen (Pfuel), von seinem Gelde so lange
ZU leben, bis ich eine gewisse Entdeckung im Gebiet der Kunst, die ihn sehr
interessirt, völlig ans Licht gestellt habe. Ich soll in spätestens 12 Tagen mit
>hin nach der Schweiz gehen, wo ich diese neue literarische Arbeit, die sich aller¬
dings über meine Erwartung hinaus verzögert, unter seinen Augen vollenden
s"it." Statt dessen bittet er die Schwester „so viele Fristung meines Lebens,
als nöthig ist, seiner großen Bestimmung völlig genug zu thun." — Ulrike
kommt persönlich nach Dresden, mit einigen andern Verwandten. „Seit ich
euch in Dresden sah, schreibt er 20. Juli aus Leipzig, scheint mir leicht an
euch zu schreiben, was mir früher unmöglich war. Ich weiß nicht, welche
seltsame Vorstellung von einer unvernünftigen Angst meiner Verwandten über
""es in meinem Hirn Wurzel gefaßt hatte." — Die Reise mit Pfuel findet
doch statt — einerlei wohin? in Dresden quälen sie ihn wieder mit Fragen
über das, was er leisten will!

Den 5. Oct. 1803 schreibt er aus Genf an Ulrike: „Der Himmel weiß
(und ich will umkommen, wenn es nicht wörtlich wahr ist), wie gern ich einen
Blutstropfen aus meinem Herzen für jeden Buchstabe» eines Briefes gäbe, der
!o anfangen könnte: mein Gedicht ist fertig! Aber du weißt, wer nach dem
Sprichwort mehr thut, als er kann. Ich habe nun ein Halbtausend hinter
einander folgender Tage, die Nächte der meisten mit eingerechnet, um den Ver¬
buch gesetzt, zu so viel .Kränzen noch einen auf unsere Familie herabzuringcn:
letzt ruft mir unsere heilige Schutzgöttin zu, daß es genug sei . . . Und so
^i es denn genug. Das Schicksal will, denke ich, die Kunst in diesem nörd¬
lichen Himmelsstrich noch nicht reifen lassen. Thöricht wäre es wenigstens,
^cum ich meine Kräfte länger an ein Werk setzen wollte, das, wie ich mich
endlich überzeugen muß, für mich zu schwer ist. Ich trete vor Einem zurück,
der noch nicht da ist, und beuge mich ein Jahrtausend im Voraus vor seinem
leiste. Denn in der Reihe der menschlichen Erfindungen ist diejenige, die ich
gedacht habe, unfehlbar ein Glied, und es wächst irgendwo ein Stein schon
sür den, der sie einst ausspricht. — Und so soll ich denn niemals zu euch,
weine theuersten Menschen, zurückkehren? O niemals! rede mir nicht zu. —
Wenn du es thust, so kennst du das gefährliche Ding nicht, das man Ehrgeiz
nennt. Ich kann jetzt darüber lachen, wenn ich mir einen Prätendenten mit



5, »Ich nehme hier Unterricht in der — Decwmation bei einem gewissen Kcrndörffer.
^"1 lerne meine eigne Tragödie bei ihm declamiren."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/501>, abgerufen am 29.06.2024.