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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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führte ihm die Wirthschaft, sie wollten zuweilen sparen und lachten dann
einander aus. Er las keine Bücher, Zeitungen ?c., er arbeitete nur an seinem
Werk: "ich habe keinen andern Wunsch, als zu sterben, wenn mir drei Dinge
gelungen sind: ein Kind, ein schön Gedicht lind eine große That. Denn das
Leben hat doch immer nichts Erhabeneres, als daß man es erhaben weg¬
werfen kann." (1. Mai). -- Im August Ichreibt er aus Bern einen verzwei¬
felten Brief an seinen Schwager: er liege seit zwei Monaten krank und habe
sein Geld verloren. -- Ulrike eilte zu ihm, pflegte ihn und brachte ihn nach
Weimar. Mit Wielands Sohn und Schwiegersohn schon in der Schweiz be¬
kannt, wird er in Osmanstüdt gastlich aufgenommen: schon im November ist
ihm dort ein eignes Zimmer eingerichtet, er bringt ganze Tage dort zu; end¬
lich siedelt er ganz über (bald nach Weihnachten).

Jede beginnt das ängstliche, hastige Arbeiten am Guiscard. Den 9. Den.
1802 schreibt er: "Der Anfang meines Gedichtes, das der Welt deine Liebe'
zu mir erklären soll, erregt die Bewunderung aller Menschen, denen ich es
mittheile. O Jesus! wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzigen
Wunsch soll mir der Himmel erfüllen, und dann mag er thun was er will."')
-- Ans einem spätern Brief: "Als ich meine Tragödie dem alten Wieland
mit großem Feuer vorlas, war es mir gelungen, ihn-so zu entflammen, daß
mir über seine innerlichen Bewegungen vor Freude die Sprache' verging u"d
ich zu seinen Füßen niederstürzte, seine Hände mit heißen Küssen überströmend."
-- Im Januar 1303: "In Kurzem werde ich dir viel Frohes zu schreiben
haben, denn ich nähere mich allem Erdenglück."**) -- Dann: Leipzig'
13. März 1803. "-- Und dich begleitet aus allen Schritten Freude auf mei¬
nen nächsten Brief? O du Vortreffliche! und o du Unglückliche! Wann werde
ich den Brief schreiben, der dir so viele Freude macht, als ich dir schuldig
bin! ... Ich weiß nicht, was ich dir über mich unaussprechlichen Men¬
schen sagen soll. Ich wollte, ich könnte mir das Herz aus dem Leibe reißen,
in diesen Brief packen und dir zuschicken. -- Dummer Gedanke! Kurz, ich habe
Osmanstädt wieder verlassen. Zürne nicht! Ich mußte fort und kann dir
nicht sagen, warum? Ich habe das Haus mit Thränen verlassen, wo ich
mehr Liebe gefunden habe, als die ganze Welt zusammen aufbringen kann,
außer du! -- Aber ich mußte fort! O Himmel, was ist das für eine Welt!"
-- Warum mußte er fort? Koberstein coujicirt eine Wielcmdsche Tochter, ohne
allen Grund; wer dem Pulsschlag der folgenden Briefe, mitergrifscn, folgt,
hat keinen Zweifel: Wieland trieb ihn, den Guiscard zu vollenden, das machte
ihn rasend und trieb ihn fort. Es ging-ihm noch zweimal so. -- In demselben




') "Zur Hauptsache! ich brauche schon wieder Geld und kann dir weiter nichts sagen.
habe Ander" geborgt. Es ist verrückt, ich weiß es" n. s. w.
") Offenbar die Vollendung des Gniscard.

führte ihm die Wirthschaft, sie wollten zuweilen sparen und lachten dann
einander aus. Er las keine Bücher, Zeitungen ?c., er arbeitete nur an seinem
Werk: „ich habe keinen andern Wunsch, als zu sterben, wenn mir drei Dinge
gelungen sind: ein Kind, ein schön Gedicht lind eine große That. Denn das
Leben hat doch immer nichts Erhabeneres, als daß man es erhaben weg¬
werfen kann." (1. Mai). — Im August Ichreibt er aus Bern einen verzwei¬
felten Brief an seinen Schwager: er liege seit zwei Monaten krank und habe
sein Geld verloren. — Ulrike eilte zu ihm, pflegte ihn und brachte ihn nach
Weimar. Mit Wielands Sohn und Schwiegersohn schon in der Schweiz be¬
kannt, wird er in Osmanstüdt gastlich aufgenommen: schon im November ist
ihm dort ein eignes Zimmer eingerichtet, er bringt ganze Tage dort zu; end¬
lich siedelt er ganz über (bald nach Weihnachten).

Jede beginnt das ängstliche, hastige Arbeiten am Guiscard. Den 9. Den.
1802 schreibt er: „Der Anfang meines Gedichtes, das der Welt deine Liebe'
zu mir erklären soll, erregt die Bewunderung aller Menschen, denen ich es
mittheile. O Jesus! wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzigen
Wunsch soll mir der Himmel erfüllen, und dann mag er thun was er will."')
— Ans einem spätern Brief: „Als ich meine Tragödie dem alten Wieland
mit großem Feuer vorlas, war es mir gelungen, ihn-so zu entflammen, daß
mir über seine innerlichen Bewegungen vor Freude die Sprache' verging u»d
ich zu seinen Füßen niederstürzte, seine Hände mit heißen Küssen überströmend."
— Im Januar 1303: „In Kurzem werde ich dir viel Frohes zu schreiben
haben, denn ich nähere mich allem Erdenglück."**) — Dann: Leipzig'
13. März 1803. „— Und dich begleitet aus allen Schritten Freude auf mei¬
nen nächsten Brief? O du Vortreffliche! und o du Unglückliche! Wann werde
ich den Brief schreiben, der dir so viele Freude macht, als ich dir schuldig
bin! ... Ich weiß nicht, was ich dir über mich unaussprechlichen Men¬
schen sagen soll. Ich wollte, ich könnte mir das Herz aus dem Leibe reißen,
in diesen Brief packen und dir zuschicken. — Dummer Gedanke! Kurz, ich habe
Osmanstädt wieder verlassen. Zürne nicht! Ich mußte fort und kann dir
nicht sagen, warum? Ich habe das Haus mit Thränen verlassen, wo ich
mehr Liebe gefunden habe, als die ganze Welt zusammen aufbringen kann,
außer du! — Aber ich mußte fort! O Himmel, was ist das für eine Welt!"
— Warum mußte er fort? Koberstein coujicirt eine Wielcmdsche Tochter, ohne
allen Grund; wer dem Pulsschlag der folgenden Briefe, mitergrifscn, folgt,
hat keinen Zweifel: Wieland trieb ihn, den Guiscard zu vollenden, das machte
ihn rasend und trieb ihn fort. Es ging-ihm noch zweimal so. — In demselben




') „Zur Hauptsache! ich brauche schon wieder Geld und kann dir weiter nichts sagen.
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") Offenbar die Vollendung des Gniscard.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/500>, abgerufen am 26.06.2024.