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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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eine, unerklärliche Verlegenheit, die unüberwindlich ist. weil sie wahrscheinlich
""e ganz physische Ursache hat. Mit der größten Mühe nur kann ich sie so
verstecken, daß sie nicht auffällt; -- o wie schmerzhaft ist es. in dem Aeußern
Miz stark und frei zu sein, indessen -man im Innern ganz schwach ist. wie
"n Kind, ganz gelähmt, als wären uns alle Glieder gebunden, wenn man
sich nie zeigen kann, wie man wol mochte, nie frei handeln kann, und selbst
d"s Große versäumen muß, weil man voraus empfindet, daß man nicht Stand
galten wird, indem man von jedem äußern Eindrucke abhängt, und das al¬
bernste Mädchen oder der elendeste Schuft von Elegant uns durch die mat¬
teste Persiflage vernichten kann. -- Das alles verstehst dn vielleicht nicht, es
'se wieder kein Gegenstand für die Mittheilung, und der Andere müßte das
"lief aus sich selbst kennen, um es zu verstehen. -- Selbst die Säule, an wel¬
cher ich mich sonst in dem Strudel des Lebens hielt, wankt. Ich meine die
^lebe zu den Wissenschaften. -- Aber wie werde ich mich hier wieder ver¬
ständlich machen? -- Es ist ein bekannter Gemeinplatz, daß das Leben ein
schweres Spiel sei; und warum ist es schwer? Weil man beständig und immer
von Neuem eine Karte ziehen soll, und doch nicht weiß, was Trumpf ist; ich
'"eine darum, weil man beständig und immer von Neuem handeln soll, und
doch nicht weiß, was recht ist. Wissen kann unmöglich das Höchste sein.
Handeln ist besser als Wissen." U, s, w. -- "Alle Männer, die mich kennen.
^l)er mir, mir irgend einen Gegenstand ans dem Reiche des Wissens aus¬
zuwählen und diesen zu bearbeiten.' -- Ja freilich, das ist der Weg zum
^"sine. aber ist dieser mein Ziel? Mir ist es unmöglich, mich wie ein Maul-
^'Urf in ein Loch zu graben und alles andere zu vergessen. Mir ist keine
Wissenschaft lieber als die andere, und wenn ich eine vorziehe, so ist es nur,
^le einem Vater immer derjenige von seinen Söhnen der liebste ist, den er
eben bei sich sieht. -- Aber soll ich immer von einer Wissenschaft zur andern
liehen, und immer nur auf ihrer Oberfläche schwimmen und bei keiner in die
Tiefe gehen?... Ich habe freilich einen Vorrath von Gedanken zur Antwort
""f alle diese Zweifel. Indessen reif ist noch keiner." -- Anderthalb Monate
^mus, 22. März 1801: "Es scheint, als ob ich eines von den Opfern der
Thorheit werden würde, deren die Kantische Philosophie soviele auf dem Ge¬
wissen hat. Mich ekelt vor dieser Gesellschaft und doch kann ich mich nicht
kreißen aus diesen Banden." Und nun folgt eine fast wörtliche Wieder-
bvwng des an demselben Tage an Wilhelmine geschriebenen Briefs: der Ent-
'


^".erzen, an dn" Klang jenes leidenschaftlichen Denkens. Es waren verhaltene Gedichte,
^"un nach allen Seiten versandt wurden; freilich dnrch tiefe Herzensangst gewomu.^
/" F. H, Jacobi's Briefen finden wir es ebenso; im Grnnde auch be. Werther. ^ Uelugens
^°ich"et die oben angeführte Stelle von der Klarheit im Wesentlichen ""^ a "
^-""Nation, die ich bei Annette von Droste charakterifirt habe: d.e erste Vorahnung d.s
"sehen Vermögens.

eine, unerklärliche Verlegenheit, die unüberwindlich ist. weil sie wahrscheinlich
""e ganz physische Ursache hat. Mit der größten Mühe nur kann ich sie so
verstecken, daß sie nicht auffällt; — o wie schmerzhaft ist es. in dem Aeußern
Miz stark und frei zu sein, indessen -man im Innern ganz schwach ist. wie
"n Kind, ganz gelähmt, als wären uns alle Glieder gebunden, wenn man
sich nie zeigen kann, wie man wol mochte, nie frei handeln kann, und selbst
d"s Große versäumen muß, weil man voraus empfindet, daß man nicht Stand
galten wird, indem man von jedem äußern Eindrucke abhängt, und das al¬
bernste Mädchen oder der elendeste Schuft von Elegant uns durch die mat¬
teste Persiflage vernichten kann. — Das alles verstehst dn vielleicht nicht, es
'se wieder kein Gegenstand für die Mittheilung, und der Andere müßte das
«lief aus sich selbst kennen, um es zu verstehen. — Selbst die Säule, an wel¬
cher ich mich sonst in dem Strudel des Lebens hielt, wankt. Ich meine die
^lebe zu den Wissenschaften. — Aber wie werde ich mich hier wieder ver¬
ständlich machen? — Es ist ein bekannter Gemeinplatz, daß das Leben ein
schweres Spiel sei; und warum ist es schwer? Weil man beständig und immer
von Neuem eine Karte ziehen soll, und doch nicht weiß, was Trumpf ist; ich
'"eine darum, weil man beständig und immer von Neuem handeln soll, und
doch nicht weiß, was recht ist. Wissen kann unmöglich das Höchste sein.
Handeln ist besser als Wissen." U, s, w. — „Alle Männer, die mich kennen.
^l)er mir, mir irgend einen Gegenstand ans dem Reiche des Wissens aus¬
zuwählen und diesen zu bearbeiten.' — Ja freilich, das ist der Weg zum
^"sine. aber ist dieser mein Ziel? Mir ist es unmöglich, mich wie ein Maul-
^'Urf in ein Loch zu graben und alles andere zu vergessen. Mir ist keine
Wissenschaft lieber als die andere, und wenn ich eine vorziehe, so ist es nur,
^le einem Vater immer derjenige von seinen Söhnen der liebste ist, den er
eben bei sich sieht. — Aber soll ich immer von einer Wissenschaft zur andern
liehen, und immer nur auf ihrer Oberfläche schwimmen und bei keiner in die
Tiefe gehen?... Ich habe freilich einen Vorrath von Gedanken zur Antwort
""f alle diese Zweifel. Indessen reif ist noch keiner." — Anderthalb Monate
^mus, 22. März 1801: „Es scheint, als ob ich eines von den Opfern der
Thorheit werden würde, deren die Kantische Philosophie soviele auf dem Ge¬
wissen hat. Mich ekelt vor dieser Gesellschaft und doch kann ich mich nicht
kreißen aus diesen Banden." Und nun folgt eine fast wörtliche Wieder-
bvwng des an demselben Tage an Wilhelmine geschriebenen Briefs: der Ent-
'


^".erzen, an dn» Klang jenes leidenschaftlichen Denkens. Es waren verhaltene Gedichte,
^"un nach allen Seiten versandt wurden; freilich dnrch tiefe Herzensangst gewomu.^
/" F. H, Jacobi's Briefen finden wir es ebenso; im Grnnde auch be. Werther. ^ Uelugens
^°ich„et die oben angeführte Stelle von der Klarheit im Wesentlichen ""^ a "
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/497>, abgerufen am 26.06.2024.