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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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"Gern möchte ich dir Alles mittheilen, wenn es möglich wäre. Aber es ist
nicht möglich, und wenn es auch kein weiteres Hinderniß gäbe, als dieses,
daß es uns an einem Mittel zur Mittheilung fehlt. Selbst das einzige, das
wir besitzen, die Sprache taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen,
und was sie gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke. Daher habe ich jedesmal
eine Empfindung wie ein Grauen, wenn ich Jemandem mein Innerstes aufdecken
soll; nicht eben weil es sich vor der Blöße scheut, aber weil ich ihm nicht
Alles zeigen kann, nicht kann, und daher fürchten muß, aus den Bruch¬
stücken falsch verstanden zu werden." -- "Gern null ich immer thun, was
recht ist, aber was soll man thun, wenn man dies nicht weiß? Dieser innere
Zustand der Ungewißheit war mir unerträglich, und um ihr ein Ende zu ma¬
chen ... . beschloß ich. nicht aus dem Zimmer zu gehn, bis ich über einen
Lebensplan entschieden wäre; aber acht Tage vergingen, und ich mußte doch
am Ende das Zimmer unentschlossen wieder verlassen. -- Ach, du weißt nicht,
wie mein Innerstes oft erschüttert ist. -- Du verstehst dies doch nicht falsch-
-- Ach es gibt kein Mittel, sich Andern ganz verständlich zu machen, und
der Mensch hat von Natur keinen andern Vertrauten als sich selbst." -- "I"
Gesellschaften komme ich selten. . . Ich passe nicht unter die Menschen, es ist
eine traurige Wahrheit, aber eine Wahrheit; und wenn ich den Grund ohne
Umschweif angeben soll, so ist es dieser: sie gefallen mir nicht. Ich weiß
wohl, daß es bei dem Menschen wie bei dem Spiegel eigentlich auf die eigne
Beschaffenheit beider ankommt, wie die äußern Gegenstände darauf einwirkn
sollen; und mancher würde aufhören über die Berderbtheit der Sitten zu
schelten, wenn ihm der Gedanke einfiele, ob nicht vielleicht blos der Spiegel
in welchen das Licht der Welt fällt, schief und schmutzig ist. Indessen wen"
ich mich in Gesellschaften nicht wohl befinde, so geschieht dies weniger, weil
Andere, als vielmehr weil ich mich selbst nicht zeige, wie ich es wünsche
Die Nothwendigkeit, eine Rolle zu spielen, und ein innerer Widerwille dagegen
machen mir jede Gesellschaft lästig, und floh kann ich nur in meiner eignen
Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf. Das darf man unter
Menschen nicht sein, und keiner ist es. -- Ach es gibt eine traurige Klarheit'
mit welcher die Natur viele Menschen, die an dem Dinge nur die Oberfläche
sehen, zu ihrem Glücke verschont hat. Sie nennt mir zu jeder Miene den Ge¬
danken, zu jedem Wort den Sinn, zu jeder Handlung den Grund, -- sie
mir Alles, was mich umgibt und mich selbst in seiner ganzen armseligen Blöße,
und dem Herzen ekelt zuletzt vor dieser Nacktheit.*)--Dazu kommt bei nur



") Die Stelle steht mit denselben Worten in einem Brief an Wilhclmincl el" u
stand, der in diesen Briefen öfters vorkommt, wie schon Koverstein S. XXV anmerkt,
jedoch den Grund zu finden. -- Ich denke, es ist folgender, -- An dem tiefen, schmerzliche
Ernst jener Fragen ist nicht zu zweifeln: doch regte sich schon damals der Dichter -- der M)
"och in eigentlichen Schöpfungen keine Luft machte -- und freute sich an dein Rhythmus jeu

„Gern möchte ich dir Alles mittheilen, wenn es möglich wäre. Aber es ist
nicht möglich, und wenn es auch kein weiteres Hinderniß gäbe, als dieses,
daß es uns an einem Mittel zur Mittheilung fehlt. Selbst das einzige, das
wir besitzen, die Sprache taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen,
und was sie gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke. Daher habe ich jedesmal
eine Empfindung wie ein Grauen, wenn ich Jemandem mein Innerstes aufdecken
soll; nicht eben weil es sich vor der Blöße scheut, aber weil ich ihm nicht
Alles zeigen kann, nicht kann, und daher fürchten muß, aus den Bruch¬
stücken falsch verstanden zu werden." — „Gern null ich immer thun, was
recht ist, aber was soll man thun, wenn man dies nicht weiß? Dieser innere
Zustand der Ungewißheit war mir unerträglich, und um ihr ein Ende zu ma¬
chen ... . beschloß ich. nicht aus dem Zimmer zu gehn, bis ich über einen
Lebensplan entschieden wäre; aber acht Tage vergingen, und ich mußte doch
am Ende das Zimmer unentschlossen wieder verlassen. — Ach, du weißt nicht,
wie mein Innerstes oft erschüttert ist. — Du verstehst dies doch nicht falsch-
— Ach es gibt kein Mittel, sich Andern ganz verständlich zu machen, und
der Mensch hat von Natur keinen andern Vertrauten als sich selbst." — „I"
Gesellschaften komme ich selten. . . Ich passe nicht unter die Menschen, es ist
eine traurige Wahrheit, aber eine Wahrheit; und wenn ich den Grund ohne
Umschweif angeben soll, so ist es dieser: sie gefallen mir nicht. Ich weiß
wohl, daß es bei dem Menschen wie bei dem Spiegel eigentlich auf die eigne
Beschaffenheit beider ankommt, wie die äußern Gegenstände darauf einwirkn
sollen; und mancher würde aufhören über die Berderbtheit der Sitten zu
schelten, wenn ihm der Gedanke einfiele, ob nicht vielleicht blos der Spiegel
in welchen das Licht der Welt fällt, schief und schmutzig ist. Indessen wen»
ich mich in Gesellschaften nicht wohl befinde, so geschieht dies weniger, weil
Andere, als vielmehr weil ich mich selbst nicht zeige, wie ich es wünsche
Die Nothwendigkeit, eine Rolle zu spielen, und ein innerer Widerwille dagegen
machen mir jede Gesellschaft lästig, und floh kann ich nur in meiner eignen
Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf. Das darf man unter
Menschen nicht sein, und keiner ist es. — Ach es gibt eine traurige Klarheit'
mit welcher die Natur viele Menschen, die an dem Dinge nur die Oberfläche
sehen, zu ihrem Glücke verschont hat. Sie nennt mir zu jeder Miene den Ge¬
danken, zu jedem Wort den Sinn, zu jeder Handlung den Grund, — sie
mir Alles, was mich umgibt und mich selbst in seiner ganzen armseligen Blöße,
und dem Herzen ekelt zuletzt vor dieser Nacktheit.*)--Dazu kommt bei nur



") Die Stelle steht mit denselben Worten in einem Brief an Wilhclmincl el» u
stand, der in diesen Briefen öfters vorkommt, wie schon Koverstein S. XXV anmerkt,
jedoch den Grund zu finden. — Ich denke, es ist folgender, — An dem tiefen, schmerzliche
Ernst jener Fragen ist nicht zu zweifeln: doch regte sich schon damals der Dichter — der M)
»och in eigentlichen Schöpfungen keine Luft machte — und freute sich an dein Rhythmus jeu
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[0496] „Gern möchte ich dir Alles mittheilen, wenn es möglich wäre. Aber es ist nicht möglich, und wenn es auch kein weiteres Hinderniß gäbe, als dieses, daß es uns an einem Mittel zur Mittheilung fehlt. Selbst das einzige, das wir besitzen, die Sprache taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen, und was sie gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke. Daher habe ich jedesmal eine Empfindung wie ein Grauen, wenn ich Jemandem mein Innerstes aufdecken soll; nicht eben weil es sich vor der Blöße scheut, aber weil ich ihm nicht Alles zeigen kann, nicht kann, und daher fürchten muß, aus den Bruch¬ stücken falsch verstanden zu werden." — „Gern null ich immer thun, was recht ist, aber was soll man thun, wenn man dies nicht weiß? Dieser innere Zustand der Ungewißheit war mir unerträglich, und um ihr ein Ende zu ma¬ chen ... . beschloß ich. nicht aus dem Zimmer zu gehn, bis ich über einen Lebensplan entschieden wäre; aber acht Tage vergingen, und ich mußte doch am Ende das Zimmer unentschlossen wieder verlassen. — Ach, du weißt nicht, wie mein Innerstes oft erschüttert ist. — Du verstehst dies doch nicht falsch- — Ach es gibt kein Mittel, sich Andern ganz verständlich zu machen, und der Mensch hat von Natur keinen andern Vertrauten als sich selbst." — „I" Gesellschaften komme ich selten. . . Ich passe nicht unter die Menschen, es ist eine traurige Wahrheit, aber eine Wahrheit; und wenn ich den Grund ohne Umschweif angeben soll, so ist es dieser: sie gefallen mir nicht. Ich weiß wohl, daß es bei dem Menschen wie bei dem Spiegel eigentlich auf die eigne Beschaffenheit beider ankommt, wie die äußern Gegenstände darauf einwirkn sollen; und mancher würde aufhören über die Berderbtheit der Sitten zu schelten, wenn ihm der Gedanke einfiele, ob nicht vielleicht blos der Spiegel in welchen das Licht der Welt fällt, schief und schmutzig ist. Indessen wen» ich mich in Gesellschaften nicht wohl befinde, so geschieht dies weniger, weil Andere, als vielmehr weil ich mich selbst nicht zeige, wie ich es wünsche Die Nothwendigkeit, eine Rolle zu spielen, und ein innerer Widerwille dagegen machen mir jede Gesellschaft lästig, und floh kann ich nur in meiner eignen Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf. Das darf man unter Menschen nicht sein, und keiner ist es. — Ach es gibt eine traurige Klarheit' mit welcher die Natur viele Menschen, die an dem Dinge nur die Oberfläche sehen, zu ihrem Glücke verschont hat. Sie nennt mir zu jeder Miene den Ge¬ danken, zu jedem Wort den Sinn, zu jeder Handlung den Grund, — sie mir Alles, was mich umgibt und mich selbst in seiner ganzen armseligen Blöße, und dem Herzen ekelt zuletzt vor dieser Nacktheit.*)--Dazu kommt bei nur m¬ ") Die Stelle steht mit denselben Worten in einem Brief an Wilhclmincl el» u stand, der in diesen Briefen öfters vorkommt, wie schon Koverstein S. XXV anmerkt, jedoch den Grund zu finden. — Ich denke, es ist folgender, — An dem tiefen, schmerzliche Ernst jener Fragen ist nicht zu zweifeln: doch regte sich schon damals der Dichter — der M) »och in eigentlichen Schöpfungen keine Luft machte — und freute sich an dein Rhythmus jeu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/496>, abgerufen am 26.06.2024.