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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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haben. Das Poetische in seiner Natur entwickelte sich verhältnißmäßig sehr
spät. -- Doch sind einige Aeußerungen sehr wichtig für das Verständniß
seines Innern. -- 12 Nov. 99. -- "Vorsähe und Entschlüsse wie die meinigen
(ausschließlich den Wissenschaften zu leben) bedürfen der Aufmunterung und
der Unterstützung mehr als andere vielleicht, um nicht zu sinken. Verse ander
wenigstens mochte ich gern zuweilen sein, wenn auch nicht gelobt; von einer
Seele wenigstens" u. s. w. -- "Nenne es immerhin Schwäche von mir, daß
ich mich so innig hier nach Mittheilung sehne, wo sie mir so ganz fehlt-
Große Entwürfe mit schweren Aufopferungen auszuführen, ohne selbst auf den
Lohn, verstanden zu werden. Anspruch zu machen, ist eine Tugend, die
wir wohl bewundern, aber nicht verlangen dürfen... Meine Absichten und
meine Entschlüsse sind solche Schaumünzen, die aus dem Gebrauch gekommen sind
und nicht mehr gelten; daher zeige ich sie gern zuweilen einem Kenner der
Kunst, damit er sie prüfe und mich überzeuge, ob. was ich so emsig u"d
eifrig sanimle und aufbewahre, auch wohl echte Stücke sind oder nicht.---
Mit Recht kann man ein Mißtrauen in solche Vorsähe sehen, die unter so
vielen Menschen keinen finden, der sie verstände und billigte. Aber doch ist
es mit den meinigen so" u. s. w. -- Der Drang nach Mittheilung wird
aber durch eine gewisse Beklommenheit gehemmt, die ihn immer öfter er-
greift. Er findet das sehr natürlich. "Wenn ein Anderer z, V. . . einen Ro¬
man gelesen hat, der einen starken Eindruck auf ihn machte und ihm die
Seele füllte, wenn er nun mit diesem Eindruck in eine Gesellschaft tritt, er
sei nun froh oder schwermüthig gestimmt, er kann sich mittheilen, und man
versteht ihn. Aber wenn ich meinen mathematischen Lehrsah ergründet habe,
dessen Erhabenheit und Größe mir auch die Seele füllt, wenn ich nun >">t
diesem Eindruck in eine Gesellschaft trete, wem darf ich mich mittheilen, wer
versteht mich? Nicht einmal ahnden darf ich lassen, was mich zur Bewunder-
r,ng hinriß, nicht einen von allen Gedanken darf ich mittheilen, die mir
die Seelen füllen. Und so muß man denn freilich zuweilen leer und gedanken¬
los erscheinen, ob man es gleichwohl nicht ist."

Psychologisch ist in diesen Aeußerungen vieles interessant. Kleist ist des'
lig, ungestüm in seinen Entschlüssen, er ist von unendlichem Eifer im ersten
Versuch ihrer Durchführung; aber diese Hast ist die Reaction gegen das dunkle
Gefühl seines Wantelmulhs, und dieser Eifer läßt nach, sobald er zu lange
mit dem Widerwillen oder der Gleichgültigkeit der Andern zu kämpfen hat-
Er bedarf der Anerkennung; die Heftigkeit des Räsonnements, womit er seine
Entschlüsse vertheidigt, verdeckt eine innere Unsicherheit. Noch irrt er in
seinem Lebensberuf; er ist nicht zum Gelehrten bestimmt. Einem Mathema¬
tiker von Profession ist es ganz gleichgültig, ob sich die Damen seines Umgangs
für den pythagoreischen Lehrsah interessiren oder nicht; sein geselliges Lebe"


haben. Das Poetische in seiner Natur entwickelte sich verhältnißmäßig sehr
spät. — Doch sind einige Aeußerungen sehr wichtig für das Verständniß
seines Innern. — 12 Nov. 99. — „Vorsähe und Entschlüsse wie die meinigen
(ausschließlich den Wissenschaften zu leben) bedürfen der Aufmunterung und
der Unterstützung mehr als andere vielleicht, um nicht zu sinken. Verse ander
wenigstens mochte ich gern zuweilen sein, wenn auch nicht gelobt; von einer
Seele wenigstens" u. s. w. — „Nenne es immerhin Schwäche von mir, daß
ich mich so innig hier nach Mittheilung sehne, wo sie mir so ganz fehlt-
Große Entwürfe mit schweren Aufopferungen auszuführen, ohne selbst auf den
Lohn, verstanden zu werden. Anspruch zu machen, ist eine Tugend, die
wir wohl bewundern, aber nicht verlangen dürfen... Meine Absichten und
meine Entschlüsse sind solche Schaumünzen, die aus dem Gebrauch gekommen sind
und nicht mehr gelten; daher zeige ich sie gern zuweilen einem Kenner der
Kunst, damit er sie prüfe und mich überzeuge, ob. was ich so emsig u»d
eifrig sanimle und aufbewahre, auch wohl echte Stücke sind oder nicht.---
Mit Recht kann man ein Mißtrauen in solche Vorsähe sehen, die unter so
vielen Menschen keinen finden, der sie verstände und billigte. Aber doch ist
es mit den meinigen so" u. s. w. — Der Drang nach Mittheilung wird
aber durch eine gewisse Beklommenheit gehemmt, die ihn immer öfter er-
greift. Er findet das sehr natürlich. „Wenn ein Anderer z, V. . . einen Ro¬
man gelesen hat, der einen starken Eindruck auf ihn machte und ihm die
Seele füllte, wenn er nun mit diesem Eindruck in eine Gesellschaft tritt, er
sei nun froh oder schwermüthig gestimmt, er kann sich mittheilen, und man
versteht ihn. Aber wenn ich meinen mathematischen Lehrsah ergründet habe,
dessen Erhabenheit und Größe mir auch die Seele füllt, wenn ich nun >»>t
diesem Eindruck in eine Gesellschaft trete, wem darf ich mich mittheilen, wer
versteht mich? Nicht einmal ahnden darf ich lassen, was mich zur Bewunder-
r,ng hinriß, nicht einen von allen Gedanken darf ich mittheilen, die mir
die Seelen füllen. Und so muß man denn freilich zuweilen leer und gedanken¬
los erscheinen, ob man es gleichwohl nicht ist."

Psychologisch ist in diesen Aeußerungen vieles interessant. Kleist ist des'
lig, ungestüm in seinen Entschlüssen, er ist von unendlichem Eifer im ersten
Versuch ihrer Durchführung; aber diese Hast ist die Reaction gegen das dunkle
Gefühl seines Wantelmulhs, und dieser Eifer läßt nach, sobald er zu lange
mit dem Widerwillen oder der Gleichgültigkeit der Andern zu kämpfen hat-
Er bedarf der Anerkennung; die Heftigkeit des Räsonnements, womit er seine
Entschlüsse vertheidigt, verdeckt eine innere Unsicherheit. Noch irrt er in
seinem Lebensberuf; er ist nicht zum Gelehrten bestimmt. Einem Mathema¬
tiker von Profession ist es ganz gleichgültig, ob sich die Damen seines Umgangs
für den pythagoreischen Lehrsah interessiren oder nicht; sein geselliges Lebe»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/494>, abgerufen am 26.06.2024.