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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Heinrich von Kleist.

Heinrichs von Kleist Briefe an seine Schwester Ulrike, Herausgegeben von A. Köder¬
st ein, Berlin, Schweden ^

Schon im Nachtvag zu der neuen Ausgabe der Kleist'schen Schriften (Ber-
l'n, G. Reimer: III S, 420) habe ich auf das bevorstehende Erscheinen
dieser wichtigen Briefe aufmerksam gemacht, von denen ich leider erst erfuhr,
meine "Einleitung" schon ausgegeben war. Zwar werden durch sie die
Räthsel in dem Leben des Dichters nicht gelöst, es wird in dem Bilde sei-
'^s Charakters nichts Wesentliches geändert; aber über verschiedene Daten
turas Lebens, die bisher nur nach der Ueberlieferung mitgetheilt wurden,
haben wir nun urkundliche Zeugnisse; und zwar nicht der Grund seiner Stim-
Zungen, aber die Farbe derselben gewinnt ein volleres Licht. Nicht ohne die
^löste Rührung kann man diese Spuren einer tiefen, aber unklaren Natur
d"tthlesen.

Freilich machen sie, im Ganzen betrachtet, keinen erquickenden Eindruck;
k'n nicht kleiner Theil enthält Geldangelegenheiten. Ulrike hat ihren Bruder
"Ut einer Hingebung ohne Gleichen, mit Aufopferung ihres Vermögens (sie
"'übte zuletzt eine Pension halten) bis kurz vor seinem Ende unterstützt. Er
'^'te sie dankbar und innig, küßte ihre Hand, warf sich ihr zu Füßen, aber
7" läßt sich nicht an ihrem Busen rudert" -- Die wenigen Briefe an
-Annette Schlieben und eine geistreiche Freundin (offenbar Frau v, Kleist, die
bester des bekannten Major Gualtieri) haben einen viel seelenvol-
"ren Ton.

Die ersten Briefe sind gerade so pedantisch lehrhaft, als die an Wilhel-
N"ne.") dieser lehrhafte Ton findet sich schon in einem Brief, 25 Febr. 95,
" er als I8jähriger Junker aus einem westphälischen Standquartier schrieb
^uFe vor seinem Studium der Kantischen Philosophie. Am merkwürdigsten
I^ne lange Epistel, worin er sie tadelt, keinen bestimmten Lebenszweck zu



^ Die Schreibart ihres Namens Zcngg habe ich von Prof Wachsmuth, der mit ihr
sein verkehrte, als sie Professorin Krug in Leipzig war. Er schildert sie als eine sehr
Frau; ihre Schwester Luise (die "goldene Schwester"), die unverheirathet bei ihr lebte,
geistig bedeutender. Die Familie stammt aus Ungarn,
Grenzboten IV. 1LS9. öl
Heinrich von Kleist.

Heinrichs von Kleist Briefe an seine Schwester Ulrike, Herausgegeben von A. Köder¬
st ein, Berlin, Schweden ^

Schon im Nachtvag zu der neuen Ausgabe der Kleist'schen Schriften (Ber-
l'n, G. Reimer: III S, 420) habe ich auf das bevorstehende Erscheinen
dieser wichtigen Briefe aufmerksam gemacht, von denen ich leider erst erfuhr,
meine „Einleitung" schon ausgegeben war. Zwar werden durch sie die
Räthsel in dem Leben des Dichters nicht gelöst, es wird in dem Bilde sei-
'^s Charakters nichts Wesentliches geändert; aber über verschiedene Daten
turas Lebens, die bisher nur nach der Ueberlieferung mitgetheilt wurden,
haben wir nun urkundliche Zeugnisse; und zwar nicht der Grund seiner Stim-
Zungen, aber die Farbe derselben gewinnt ein volleres Licht. Nicht ohne die
^löste Rührung kann man diese Spuren einer tiefen, aber unklaren Natur
d"tthlesen.

Freilich machen sie, im Ganzen betrachtet, keinen erquickenden Eindruck;
k'n nicht kleiner Theil enthält Geldangelegenheiten. Ulrike hat ihren Bruder
"Ut einer Hingebung ohne Gleichen, mit Aufopferung ihres Vermögens (sie
"'übte zuletzt eine Pension halten) bis kurz vor seinem Ende unterstützt. Er
'^'te sie dankbar und innig, küßte ihre Hand, warf sich ihr zu Füßen, aber
7" läßt sich nicht an ihrem Busen rudert" — Die wenigen Briefe an
-Annette Schlieben und eine geistreiche Freundin (offenbar Frau v, Kleist, die
bester des bekannten Major Gualtieri) haben einen viel seelenvol-
"ren Ton.

Die ersten Briefe sind gerade so pedantisch lehrhaft, als die an Wilhel-
N"ne.») dieser lehrhafte Ton findet sich schon in einem Brief, 25 Febr. 95,
" er als I8jähriger Junker aus einem westphälischen Standquartier schrieb
^uFe vor seinem Studium der Kantischen Philosophie. Am merkwürdigsten
I^ne lange Epistel, worin er sie tadelt, keinen bestimmten Lebenszweck zu



^ Die Schreibart ihres Namens Zcngg habe ich von Prof Wachsmuth, der mit ihr
sein verkehrte, als sie Professorin Krug in Leipzig war. Er schildert sie als eine sehr
Frau; ihre Schwester Luise (die „goldene Schwester"), die unverheirathet bei ihr lebte,
geistig bedeutender. Die Familie stammt aus Ungarn,
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[0493] Heinrich von Kleist. Heinrichs von Kleist Briefe an seine Schwester Ulrike, Herausgegeben von A. Köder¬ st ein, Berlin, Schweden ^ Schon im Nachtvag zu der neuen Ausgabe der Kleist'schen Schriften (Ber- l'n, G. Reimer: III S, 420) habe ich auf das bevorstehende Erscheinen dieser wichtigen Briefe aufmerksam gemacht, von denen ich leider erst erfuhr, meine „Einleitung" schon ausgegeben war. Zwar werden durch sie die Räthsel in dem Leben des Dichters nicht gelöst, es wird in dem Bilde sei- '^s Charakters nichts Wesentliches geändert; aber über verschiedene Daten turas Lebens, die bisher nur nach der Ueberlieferung mitgetheilt wurden, haben wir nun urkundliche Zeugnisse; und zwar nicht der Grund seiner Stim- Zungen, aber die Farbe derselben gewinnt ein volleres Licht. Nicht ohne die ^löste Rührung kann man diese Spuren einer tiefen, aber unklaren Natur d"tthlesen. Freilich machen sie, im Ganzen betrachtet, keinen erquickenden Eindruck; k'n nicht kleiner Theil enthält Geldangelegenheiten. Ulrike hat ihren Bruder "Ut einer Hingebung ohne Gleichen, mit Aufopferung ihres Vermögens (sie "'übte zuletzt eine Pension halten) bis kurz vor seinem Ende unterstützt. Er '^'te sie dankbar und innig, küßte ihre Hand, warf sich ihr zu Füßen, aber 7" läßt sich nicht an ihrem Busen rudert" — Die wenigen Briefe an -Annette Schlieben und eine geistreiche Freundin (offenbar Frau v, Kleist, die bester des bekannten Major Gualtieri) haben einen viel seelenvol- "ren Ton. Die ersten Briefe sind gerade so pedantisch lehrhaft, als die an Wilhel- N"ne.») dieser lehrhafte Ton findet sich schon in einem Brief, 25 Febr. 95, " er als I8jähriger Junker aus einem westphälischen Standquartier schrieb ^uFe vor seinem Studium der Kantischen Philosophie. Am merkwürdigsten I^ne lange Epistel, worin er sie tadelt, keinen bestimmten Lebenszweck zu ^ Die Schreibart ihres Namens Zcngg habe ich von Prof Wachsmuth, der mit ihr sein verkehrte, als sie Professorin Krug in Leipzig war. Er schildert sie als eine sehr Frau; ihre Schwester Luise (die „goldene Schwester"), die unverheirathet bei ihr lebte, geistig bedeutender. Die Familie stammt aus Ungarn, Grenzboten IV. 1LS9. öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/493>, abgerufen am 26.06.2024.