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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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so großen Menge von Zelten, Menschen und Pferden sind Feldherr und Sol¬
dat des Sieges gewiß; man kennt, da man seit Jahren nur unter sich Krieg
geführt hat (die Schlacht am Jsly dürfte bereits wieder vergessen sein)
eben nur die Ueberlegenheit der Zahl und hat keinen Begriff davon, wie man
einen Angriff wagen könne, ohne dieser Ueberlegenheit gewiß zu sein, oder
wie man Stand zu halten vermöge, wenn man nicht gleich stark ist oder
wenigstens eine dem Gegner ungünstige Gestaltung des Bodens für sich hat.

Die Reiterei ist die Hauptstärke des marokkanischen Heeres, das Fußvolk
gilt für nichts, außer im Gebirge. Daß es auf der Ebne einen Reiterangriff
aushalten könne, hätte vor dem Kriege von 1844 kein Marokkaner geglaubt.
In der Artillerie sind die Marokkaner sehr zurück. Sie besitzen eine ziemliche
Anzahl von Feldgeschützen, Sechs- und Achtpfünder, auch einige Haubitzen,
aber die Bedienung derselben taugt wenig. Renegaten, die man verachtet
und denen man mißtraut, sind ihre Kanoniere, und vergeblich hat man bis¬
her Versuche gemacht, die Eingebornen selbst in einer gehörigen Handhabung
der Kanonen zu unterrichten. Sie sind nichts weniger als ungeschickt, den¬
ken aber zu gering von der Artillerie, als daß sie sich Mühe geben möchten.
Der Reiter ist mit einer langen Beduinenstinte, einem krumcn Säbel und
einem Uataghan bewaffnet. Die Udajas tragen auf ihrer Flinte ein kurzes,
sehr breites Bayonnet. Die meisten Gewehre sind von einheimischer Fabrika¬
tion, ohne Visir und ohne Gleichförmigkeit des Kalibers. Auch haben sie
keine Patronen. So kommt es. daß ein Reiter wenigstens zwei Minuten
braucht, um sein abgeschossenes Gewehr von Neuem zu laden, während ein
europäischer Soldat in der Minute zweimal, ja dreimal feuern kann. Die
Marokkanische Schlachtordnung dehnt die Flügel im Halbkreis aus soweit sie
kann, ohne jedoch zu große Zwischenräume zwischen den verschiedenen Gun, zu
lassen. Die Kerntruppen und die Artillerie kommen ins Centrum zu steheu,
hinter welchem die Flügel sich, im Fall der Angriff abgeschlagen wird
und die Ntitcrgeschwader in Unordnung gerathen, sich wieder aufstellen
können. Die ganze, aus uraltem Herkommen beruhende Taktik besteht darin,
daß man den Feind zu umringen und mit einem überlegnen Gewehrfeuer
SU überschütten sucht. Hat man ihn völlig umringt, so hält man sich
des Sieges gewiß. Die Reiterei ist -- wenn auch ohne strenge Ord¬
nung in mehren Schlachtreihen von je hundert Pferden aufgestellt. Die
verschiedenen Gnu auf derselben halbkreisförmigen Linie geben sehr genau
aufeinander Acht, so daß sie mit ihren Bewegungen vortrefflich zusammen¬
stimmen. Plänkler. auf der Front des Heeres zerstreut. eröffnen den Kampf,
'"dem sie den Feind durch die Raschheit ihrer Manöver zu blenden und zu
^'streuen suchen. Glauben sie dies erreicht zu haben, so bricht plötzlich die
^'ste Schlachtreihe hinter ihnen los. Jeder Reiter sprengt, mit verhängtem


so großen Menge von Zelten, Menschen und Pferden sind Feldherr und Sol¬
dat des Sieges gewiß; man kennt, da man seit Jahren nur unter sich Krieg
geführt hat (die Schlacht am Jsly dürfte bereits wieder vergessen sein)
eben nur die Ueberlegenheit der Zahl und hat keinen Begriff davon, wie man
einen Angriff wagen könne, ohne dieser Ueberlegenheit gewiß zu sein, oder
wie man Stand zu halten vermöge, wenn man nicht gleich stark ist oder
wenigstens eine dem Gegner ungünstige Gestaltung des Bodens für sich hat.

Die Reiterei ist die Hauptstärke des marokkanischen Heeres, das Fußvolk
gilt für nichts, außer im Gebirge. Daß es auf der Ebne einen Reiterangriff
aushalten könne, hätte vor dem Kriege von 1844 kein Marokkaner geglaubt.
In der Artillerie sind die Marokkaner sehr zurück. Sie besitzen eine ziemliche
Anzahl von Feldgeschützen, Sechs- und Achtpfünder, auch einige Haubitzen,
aber die Bedienung derselben taugt wenig. Renegaten, die man verachtet
und denen man mißtraut, sind ihre Kanoniere, und vergeblich hat man bis¬
her Versuche gemacht, die Eingebornen selbst in einer gehörigen Handhabung
der Kanonen zu unterrichten. Sie sind nichts weniger als ungeschickt, den¬
ken aber zu gering von der Artillerie, als daß sie sich Mühe geben möchten.
Der Reiter ist mit einer langen Beduinenstinte, einem krumcn Säbel und
einem Uataghan bewaffnet. Die Udajas tragen auf ihrer Flinte ein kurzes,
sehr breites Bayonnet. Die meisten Gewehre sind von einheimischer Fabrika¬
tion, ohne Visir und ohne Gleichförmigkeit des Kalibers. Auch haben sie
keine Patronen. So kommt es. daß ein Reiter wenigstens zwei Minuten
braucht, um sein abgeschossenes Gewehr von Neuem zu laden, während ein
europäischer Soldat in der Minute zweimal, ja dreimal feuern kann. Die
Marokkanische Schlachtordnung dehnt die Flügel im Halbkreis aus soweit sie
kann, ohne jedoch zu große Zwischenräume zwischen den verschiedenen Gun, zu
lassen. Die Kerntruppen und die Artillerie kommen ins Centrum zu steheu,
hinter welchem die Flügel sich, im Fall der Angriff abgeschlagen wird
und die Ntitcrgeschwader in Unordnung gerathen, sich wieder aufstellen
können. Die ganze, aus uraltem Herkommen beruhende Taktik besteht darin,
daß man den Feind zu umringen und mit einem überlegnen Gewehrfeuer
SU überschütten sucht. Hat man ihn völlig umringt, so hält man sich
des Sieges gewiß. Die Reiterei ist — wenn auch ohne strenge Ord¬
nung in mehren Schlachtreihen von je hundert Pferden aufgestellt. Die
verschiedenen Gnu auf derselben halbkreisförmigen Linie geben sehr genau
aufeinander Acht, so daß sie mit ihren Bewegungen vortrefflich zusammen¬
stimmen. Plänkler. auf der Front des Heeres zerstreut. eröffnen den Kampf,
'"dem sie den Feind durch die Raschheit ihrer Manöver zu blenden und zu
^'streuen suchen. Glauben sie dies erreicht zu haben, so bricht plötzlich die
^'ste Schlachtreihe hinter ihnen los. Jeder Reiter sprengt, mit verhängtem


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[0473] so großen Menge von Zelten, Menschen und Pferden sind Feldherr und Sol¬ dat des Sieges gewiß; man kennt, da man seit Jahren nur unter sich Krieg geführt hat (die Schlacht am Jsly dürfte bereits wieder vergessen sein) eben nur die Ueberlegenheit der Zahl und hat keinen Begriff davon, wie man einen Angriff wagen könne, ohne dieser Ueberlegenheit gewiß zu sein, oder wie man Stand zu halten vermöge, wenn man nicht gleich stark ist oder wenigstens eine dem Gegner ungünstige Gestaltung des Bodens für sich hat. Die Reiterei ist die Hauptstärke des marokkanischen Heeres, das Fußvolk gilt für nichts, außer im Gebirge. Daß es auf der Ebne einen Reiterangriff aushalten könne, hätte vor dem Kriege von 1844 kein Marokkaner geglaubt. In der Artillerie sind die Marokkaner sehr zurück. Sie besitzen eine ziemliche Anzahl von Feldgeschützen, Sechs- und Achtpfünder, auch einige Haubitzen, aber die Bedienung derselben taugt wenig. Renegaten, die man verachtet und denen man mißtraut, sind ihre Kanoniere, und vergeblich hat man bis¬ her Versuche gemacht, die Eingebornen selbst in einer gehörigen Handhabung der Kanonen zu unterrichten. Sie sind nichts weniger als ungeschickt, den¬ ken aber zu gering von der Artillerie, als daß sie sich Mühe geben möchten. Der Reiter ist mit einer langen Beduinenstinte, einem krumcn Säbel und einem Uataghan bewaffnet. Die Udajas tragen auf ihrer Flinte ein kurzes, sehr breites Bayonnet. Die meisten Gewehre sind von einheimischer Fabrika¬ tion, ohne Visir und ohne Gleichförmigkeit des Kalibers. Auch haben sie keine Patronen. So kommt es. daß ein Reiter wenigstens zwei Minuten braucht, um sein abgeschossenes Gewehr von Neuem zu laden, während ein europäischer Soldat in der Minute zweimal, ja dreimal feuern kann. Die Marokkanische Schlachtordnung dehnt die Flügel im Halbkreis aus soweit sie kann, ohne jedoch zu große Zwischenräume zwischen den verschiedenen Gun, zu lassen. Die Kerntruppen und die Artillerie kommen ins Centrum zu steheu, hinter welchem die Flügel sich, im Fall der Angriff abgeschlagen wird und die Ntitcrgeschwader in Unordnung gerathen, sich wieder aufstellen können. Die ganze, aus uraltem Herkommen beruhende Taktik besteht darin, daß man den Feind zu umringen und mit einem überlegnen Gewehrfeuer SU überschütten sucht. Hat man ihn völlig umringt, so hält man sich des Sieges gewiß. Die Reiterei ist — wenn auch ohne strenge Ord¬ nung in mehren Schlachtreihen von je hundert Pferden aufgestellt. Die verschiedenen Gnu auf derselben halbkreisförmigen Linie geben sehr genau aufeinander Acht, so daß sie mit ihren Bewegungen vortrefflich zusammen¬ stimmen. Plänkler. auf der Front des Heeres zerstreut. eröffnen den Kampf, '"dem sie den Feind durch die Raschheit ihrer Manöver zu blenden und zu ^'streuen suchen. Glauben sie dies erreicht zu haben, so bricht plötzlich die ^'ste Schlachtreihe hinter ihnen los. Jeder Reiter sprengt, mit verhängtem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/473>, abgerufen am 26.06.2024.