Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Nutznießung davon nach Gutdünken bewilligen kann. Nur was über¬
baut oder mit Mauern eingeschossen ist, darf der Besitzer wirklich als sein
volles Eigenthum ansehen.

Die Heere begleitet ein ungeheurer Troß von Maulthier- und Kameel-
treibern. Greisen und Kindern mit Pferdefutter. Mnndvorräthen und Hand'
Mühlen, ferner von Thieren mit den Zelten und dem Gepäck des Gnu, von
Sklaven und Negerköchinnen, welche das marokkanische Nationalgericht, den
Kuskussu. bereiten. Man pflegt sich nur mit Lebensmitteln auf zehn Tage
zu versehen. Ist der mitgenommene Vorrath erschöpft, so werden die Silos
(Lebensmittelmagazine der Fellachin) in der Umgegend ausgeleert und man
läßt die Pferde das Getreide auf dem Halm abweiden. Bald bietet in
Folge dessen die Gegend, wo ein solches Heer haust, keine Hülfsquelle mehr,
und nach vier bis sechs Wochen ist dasselbe genöthigt, entweder auseinander
zu gehen oder sich nach einem andern Strich des Landes zurückzuziehen. Eine
europäische Armee hat sich deshalb hier wohl mit allerlei Borräthen zu ver-
sehen, da die Verfolgung der Gegner, wenn sie nicht im ersten Anlauf ge>
worfen werden, durch vollkommen ausgesogene Geg-enden führen würde.

Da jeder Muselman Soldat ist. so kann der Sultan von Marokko,
namentlich wo es einen Kampf gilt, der sich als Glaubenskrieg darstellen läßt,
ohne große Schwierigkeit ein Heer non 6" bis 80.000 Mann auf die Beine
bringen; wenn man aber aufrechnet, daß das ganze Reich zu seiner Ber-
theidigung an 300,000 Krieger stellen könnte, so mag das begründet sein!
allein man läßt dann außer Betracht, daß diese Streitmacht über sehr weit¬
gehende, von Wüsten und wilden Gebirgen durchzogene Landstrecken vertheilt
ist, und daß, gesetzt auch den Fall, dieselbe wäre auf einen Punkt zusammen¬
zuziehen, von einer Erhaltung dieser Massen mit ihrem ungeheuren Troß
auch nur auf acht Tage nicht die Rede sein könnte. Wenn das Heer lagert,
so ist es stets mehr ein bequemer, als ein militärischer Platz, den es wählt!
denn die Rücksicht auf Wasser und Weide entscheidet. Jeder Stamm bildet
ein Viereck für sich, des Nachts kommen Pferde, Maulthiere und Kameele
in die Mitte. Das Zelt des Sultans oder des Oberfeldherrn wird im Cen¬
trum des ganzen Lagers aufgeschlagen und es ist von den Zelten seiner
Dienerschaft und seiner Garden umgeben. Der Stand dieses Zeltes, welches
stets von grüner Farbe ist. da die Sultane ihre Abstammung von Mohammed
ableiten, bestimmt den Stand der andern, die in hierarchischer Abstufung.
nach dem Adel der Stämme oder der Bedeutung der Gnu, ihm näher oder
entfernter sich niederlassen. Ein solches Lager hat keine eigentliche Lager¬
front und keine abgesteckte Schlachtlinie. Es nimmt einen kreisförmigen un¬
gewöhnlich weiten Raum ein, so daß 30.000 Mann den Raum einer Stadt
besetzen können, welche doppelt so viele Einwohner hat. Im Anblick einer


die Nutznießung davon nach Gutdünken bewilligen kann. Nur was über¬
baut oder mit Mauern eingeschossen ist, darf der Besitzer wirklich als sein
volles Eigenthum ansehen.

Die Heere begleitet ein ungeheurer Troß von Maulthier- und Kameel-
treibern. Greisen und Kindern mit Pferdefutter. Mnndvorräthen und Hand'
Mühlen, ferner von Thieren mit den Zelten und dem Gepäck des Gnu, von
Sklaven und Negerköchinnen, welche das marokkanische Nationalgericht, den
Kuskussu. bereiten. Man pflegt sich nur mit Lebensmitteln auf zehn Tage
zu versehen. Ist der mitgenommene Vorrath erschöpft, so werden die Silos
(Lebensmittelmagazine der Fellachin) in der Umgegend ausgeleert und man
läßt die Pferde das Getreide auf dem Halm abweiden. Bald bietet in
Folge dessen die Gegend, wo ein solches Heer haust, keine Hülfsquelle mehr,
und nach vier bis sechs Wochen ist dasselbe genöthigt, entweder auseinander
zu gehen oder sich nach einem andern Strich des Landes zurückzuziehen. Eine
europäische Armee hat sich deshalb hier wohl mit allerlei Borräthen zu ver-
sehen, da die Verfolgung der Gegner, wenn sie nicht im ersten Anlauf ge>
worfen werden, durch vollkommen ausgesogene Geg-enden führen würde.

Da jeder Muselman Soldat ist. so kann der Sultan von Marokko,
namentlich wo es einen Kampf gilt, der sich als Glaubenskrieg darstellen läßt,
ohne große Schwierigkeit ein Heer non 6» bis 80.000 Mann auf die Beine
bringen; wenn man aber aufrechnet, daß das ganze Reich zu seiner Ber-
theidigung an 300,000 Krieger stellen könnte, so mag das begründet sein!
allein man läßt dann außer Betracht, daß diese Streitmacht über sehr weit¬
gehende, von Wüsten und wilden Gebirgen durchzogene Landstrecken vertheilt
ist, und daß, gesetzt auch den Fall, dieselbe wäre auf einen Punkt zusammen¬
zuziehen, von einer Erhaltung dieser Massen mit ihrem ungeheuren Troß
auch nur auf acht Tage nicht die Rede sein könnte. Wenn das Heer lagert,
so ist es stets mehr ein bequemer, als ein militärischer Platz, den es wählt!
denn die Rücksicht auf Wasser und Weide entscheidet. Jeder Stamm bildet
ein Viereck für sich, des Nachts kommen Pferde, Maulthiere und Kameele
in die Mitte. Das Zelt des Sultans oder des Oberfeldherrn wird im Cen¬
trum des ganzen Lagers aufgeschlagen und es ist von den Zelten seiner
Dienerschaft und seiner Garden umgeben. Der Stand dieses Zeltes, welches
stets von grüner Farbe ist. da die Sultane ihre Abstammung von Mohammed
ableiten, bestimmt den Stand der andern, die in hierarchischer Abstufung.
nach dem Adel der Stämme oder der Bedeutung der Gnu, ihm näher oder
entfernter sich niederlassen. Ein solches Lager hat keine eigentliche Lager¬
front und keine abgesteckte Schlachtlinie. Es nimmt einen kreisförmigen un¬
gewöhnlich weiten Raum ein, so daß 30.000 Mann den Raum einer Stadt
besetzen können, welche doppelt so viele Einwohner hat. Im Anblick einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108602"/>
            <p xml:id="ID_1461" prev="#ID_1460"> die Nutznießung davon nach Gutdünken bewilligen kann. Nur was über¬<lb/>
baut oder mit Mauern eingeschossen ist, darf der Besitzer wirklich als sein<lb/>
volles Eigenthum ansehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1462"> Die Heere begleitet ein ungeheurer Troß von Maulthier- und Kameel-<lb/>
treibern. Greisen und Kindern mit Pferdefutter. Mnndvorräthen und Hand'<lb/>
Mühlen, ferner von Thieren mit den Zelten und dem Gepäck des Gnu, von<lb/>
Sklaven und Negerköchinnen, welche das marokkanische Nationalgericht, den<lb/>
Kuskussu. bereiten. Man pflegt sich nur mit Lebensmitteln auf zehn Tage<lb/>
zu versehen. Ist der mitgenommene Vorrath erschöpft, so werden die Silos<lb/>
(Lebensmittelmagazine der Fellachin) in der Umgegend ausgeleert und man<lb/>
läßt die Pferde das Getreide auf dem Halm abweiden. Bald bietet in<lb/>
Folge dessen die Gegend, wo ein solches Heer haust, keine Hülfsquelle mehr,<lb/>
und nach vier bis sechs Wochen ist dasselbe genöthigt, entweder auseinander<lb/>
zu gehen oder sich nach einem andern Strich des Landes zurückzuziehen. Eine<lb/>
europäische Armee hat sich deshalb hier wohl mit allerlei Borräthen zu ver-<lb/>
sehen, da die Verfolgung der Gegner, wenn sie nicht im ersten Anlauf ge&gt;<lb/>
worfen werden, durch vollkommen ausgesogene Geg-enden führen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1463" next="#ID_1464"> Da jeder Muselman Soldat ist. so kann der Sultan von Marokko,<lb/>
namentlich wo es einen Kampf gilt, der sich als Glaubenskrieg darstellen läßt,<lb/>
ohne große Schwierigkeit ein Heer non 6» bis 80.000 Mann auf die Beine<lb/>
bringen; wenn man aber aufrechnet, daß das ganze Reich zu seiner Ber-<lb/>
theidigung an 300,000 Krieger stellen könnte, so mag das begründet sein!<lb/>
allein man läßt dann außer Betracht, daß diese Streitmacht über sehr weit¬<lb/>
gehende, von Wüsten und wilden Gebirgen durchzogene Landstrecken vertheilt<lb/>
ist, und daß, gesetzt auch den Fall, dieselbe wäre auf einen Punkt zusammen¬<lb/>
zuziehen, von einer Erhaltung dieser Massen mit ihrem ungeheuren Troß<lb/>
auch nur auf acht Tage nicht die Rede sein könnte. Wenn das Heer lagert,<lb/>
so ist es stets mehr ein bequemer, als ein militärischer Platz, den es wählt!<lb/>
denn die Rücksicht auf Wasser und Weide entscheidet. Jeder Stamm bildet<lb/>
ein Viereck für sich, des Nachts kommen Pferde, Maulthiere und Kameele<lb/>
in die Mitte. Das Zelt des Sultans oder des Oberfeldherrn wird im Cen¬<lb/>
trum des ganzen Lagers aufgeschlagen und es ist von den Zelten seiner<lb/>
Dienerschaft und seiner Garden umgeben. Der Stand dieses Zeltes, welches<lb/>
stets von grüner Farbe ist. da die Sultane ihre Abstammung von Mohammed<lb/>
ableiten, bestimmt den Stand der andern, die in hierarchischer Abstufung.<lb/>
nach dem Adel der Stämme oder der Bedeutung der Gnu, ihm näher oder<lb/>
entfernter sich niederlassen. Ein solches Lager hat keine eigentliche Lager¬<lb/>
front und keine abgesteckte Schlachtlinie. Es nimmt einen kreisförmigen un¬<lb/>
gewöhnlich weiten Raum ein, so daß 30.000 Mann den Raum einer Stadt<lb/>
besetzen können, welche doppelt so viele Einwohner hat. Im Anblick einer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] die Nutznießung davon nach Gutdünken bewilligen kann. Nur was über¬ baut oder mit Mauern eingeschossen ist, darf der Besitzer wirklich als sein volles Eigenthum ansehen. Die Heere begleitet ein ungeheurer Troß von Maulthier- und Kameel- treibern. Greisen und Kindern mit Pferdefutter. Mnndvorräthen und Hand' Mühlen, ferner von Thieren mit den Zelten und dem Gepäck des Gnu, von Sklaven und Negerköchinnen, welche das marokkanische Nationalgericht, den Kuskussu. bereiten. Man pflegt sich nur mit Lebensmitteln auf zehn Tage zu versehen. Ist der mitgenommene Vorrath erschöpft, so werden die Silos (Lebensmittelmagazine der Fellachin) in der Umgegend ausgeleert und man läßt die Pferde das Getreide auf dem Halm abweiden. Bald bietet in Folge dessen die Gegend, wo ein solches Heer haust, keine Hülfsquelle mehr, und nach vier bis sechs Wochen ist dasselbe genöthigt, entweder auseinander zu gehen oder sich nach einem andern Strich des Landes zurückzuziehen. Eine europäische Armee hat sich deshalb hier wohl mit allerlei Borräthen zu ver- sehen, da die Verfolgung der Gegner, wenn sie nicht im ersten Anlauf ge> worfen werden, durch vollkommen ausgesogene Geg-enden führen würde. Da jeder Muselman Soldat ist. so kann der Sultan von Marokko, namentlich wo es einen Kampf gilt, der sich als Glaubenskrieg darstellen läßt, ohne große Schwierigkeit ein Heer non 6» bis 80.000 Mann auf die Beine bringen; wenn man aber aufrechnet, daß das ganze Reich zu seiner Ber- theidigung an 300,000 Krieger stellen könnte, so mag das begründet sein! allein man läßt dann außer Betracht, daß diese Streitmacht über sehr weit¬ gehende, von Wüsten und wilden Gebirgen durchzogene Landstrecken vertheilt ist, und daß, gesetzt auch den Fall, dieselbe wäre auf einen Punkt zusammen¬ zuziehen, von einer Erhaltung dieser Massen mit ihrem ungeheuren Troß auch nur auf acht Tage nicht die Rede sein könnte. Wenn das Heer lagert, so ist es stets mehr ein bequemer, als ein militärischer Platz, den es wählt! denn die Rücksicht auf Wasser und Weide entscheidet. Jeder Stamm bildet ein Viereck für sich, des Nachts kommen Pferde, Maulthiere und Kameele in die Mitte. Das Zelt des Sultans oder des Oberfeldherrn wird im Cen¬ trum des ganzen Lagers aufgeschlagen und es ist von den Zelten seiner Dienerschaft und seiner Garden umgeben. Der Stand dieses Zeltes, welches stets von grüner Farbe ist. da die Sultane ihre Abstammung von Mohammed ableiten, bestimmt den Stand der andern, die in hierarchischer Abstufung. nach dem Adel der Stämme oder der Bedeutung der Gnu, ihm näher oder entfernter sich niederlassen. Ein solches Lager hat keine eigentliche Lager¬ front und keine abgesteckte Schlachtlinie. Es nimmt einen kreisförmigen un¬ gewöhnlich weiten Raum ein, so daß 30.000 Mann den Raum einer Stadt besetzen können, welche doppelt so viele Einwohner hat. Im Anblick einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/472>, abgerufen am 26.06.2024.