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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Truppensammlung und Kampfart in Marokko ziemlich dieselbe, wie früher in
Algerien, nur daß in Marokko mehr Einheit und Zusammhaltung herrscht,
weil das Land schon seit Jahrhunderten sein politisches und militärisches Sy¬
stem hat, wahrend die algierischen Stämme unter der langen türkischen Herr¬
schaft vereinzelt und ohne ein gemeinschaftliches Band des Interesses geblieben
find. Zwar fehlt es. fährt unsre Quelle fort, auch in Marokko nicht an
Aufständen und Spaltungen, aber in einem Streit mit der Christenheit kann
die Regierung des einträchtigen Zusammenwirkens aller Kräfte des Reiches
sicher sein. Jeder Statthalter befehligt die Mannschaft seines Bezirkes und
laßt sie lagern, marschiren oder kämpfen nach den Anweisungen des Ober-
feldherrn. der eine Art Generalstab aus Talebs und Udajas oder ausgewähl¬
ten Reitern, die als Adjutanten und Ueberbringcr seiner Befehle dienen, um
sich hat. Unter den 15.000 Mann des stehenden Heeres befinden sich "000.
die stets marschfertig sind, und die man als die Leibgarde des Sultans an¬
sehen kann. Bricht irgendwo ein Aufruhr aus. so ruft der Sultan den Gnu
oder Heerbann der andern ruhigen Provinzen auf. und dasselbe ist bei einem
Kriege mit dem Ausland,der Fall. Weigert sich ein Bezirk oder Stamm der
Heerfolge. so wird er mit einer starken Abtheilung des Gnu. dem einige
tausend Almagasen beigegeben werden, überfallen und mit Feuer und Schwert
heimgesucht. In den empörten Strichen sieht man dann nichts als Razzias:
tauchende Dörfer, verbrannte Ernten, Neiterschaaren, denen auf Lanzen ge¬
spießte Köpfe vorangetragen werden.

Die Negerreiterci (Abid El Bocharie) und Udajas waren früher die Prä-
tonancr und Janitscharen Marokkos. Sie zwangen, stets zu Meutereien auf¬
gelegt, dem Sultan ihren Willen auf. setzten ihn nach Belieben ab und ge¬
erdeten sich überhaupt als die eigentlichen Herren im Lande. Jetzt sind sie
weniger gefährlich, indem die letzten Herrscher ihre.Macht gebrochen haben.
Als die tapfersten Krieger Marokkos gelten die Bergbewohner des Rif. zwi¬
schen der Mündung des Maluwijch und der Stadt Tetucm. Die Truppen sind
Fähnlein zu je hundert Manu eingetheilt, die von einem Hauptmann
<Kalb El Mijeh) und 4 Lieutenants, richtiger Unteroffizieren geführt werden.
Der Sold beträgt für den Gemeinen etwa 15 Piaster jährlich und wird sehr
unregelmäßig ausgezahlt. Selbst ein Pascka erhält nicht mehr als 300 Pia¬
ster das Jahr. Aber jeder Soldat treibt, wenn er nicht Dienst hat. sein Hand-
Werk und genießt, wie der größere Theil der Kaids (ein Titel, der verschiedene
Gode und eine Civil- und Militärbcdcutung hat) deu Ertrag eines Grund¬
stücks, das man in der Regel durch die Fellachin oder Bauern bearbeiten
^de. Was noch fehlt, pflegen die Soldaten durch Räuberei, die Offiziere
^res Erpressungen zu ersetzen. Gegen neun Zehntheile alles Grundes und
^"dens gehören dem Sultan, der als Haupt der musclmanischen Gemeinde


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Truppensammlung und Kampfart in Marokko ziemlich dieselbe, wie früher in
Algerien, nur daß in Marokko mehr Einheit und Zusammhaltung herrscht,
weil das Land schon seit Jahrhunderten sein politisches und militärisches Sy¬
stem hat, wahrend die algierischen Stämme unter der langen türkischen Herr¬
schaft vereinzelt und ohne ein gemeinschaftliches Band des Interesses geblieben
find. Zwar fehlt es. fährt unsre Quelle fort, auch in Marokko nicht an
Aufständen und Spaltungen, aber in einem Streit mit der Christenheit kann
die Regierung des einträchtigen Zusammenwirkens aller Kräfte des Reiches
sicher sein. Jeder Statthalter befehligt die Mannschaft seines Bezirkes und
laßt sie lagern, marschiren oder kämpfen nach den Anweisungen des Ober-
feldherrn. der eine Art Generalstab aus Talebs und Udajas oder ausgewähl¬
ten Reitern, die als Adjutanten und Ueberbringcr seiner Befehle dienen, um
sich hat. Unter den 15.000 Mann des stehenden Heeres befinden sich «000.
die stets marschfertig sind, und die man als die Leibgarde des Sultans an¬
sehen kann. Bricht irgendwo ein Aufruhr aus. so ruft der Sultan den Gnu
oder Heerbann der andern ruhigen Provinzen auf. und dasselbe ist bei einem
Kriege mit dem Ausland,der Fall. Weigert sich ein Bezirk oder Stamm der
Heerfolge. so wird er mit einer starken Abtheilung des Gnu. dem einige
tausend Almagasen beigegeben werden, überfallen und mit Feuer und Schwert
heimgesucht. In den empörten Strichen sieht man dann nichts als Razzias:
tauchende Dörfer, verbrannte Ernten, Neiterschaaren, denen auf Lanzen ge¬
spießte Köpfe vorangetragen werden.

Die Negerreiterci (Abid El Bocharie) und Udajas waren früher die Prä-
tonancr und Janitscharen Marokkos. Sie zwangen, stets zu Meutereien auf¬
gelegt, dem Sultan ihren Willen auf. setzten ihn nach Belieben ab und ge¬
erdeten sich überhaupt als die eigentlichen Herren im Lande. Jetzt sind sie
weniger gefährlich, indem die letzten Herrscher ihre.Macht gebrochen haben.
Als die tapfersten Krieger Marokkos gelten die Bergbewohner des Rif. zwi¬
schen der Mündung des Maluwijch und der Stadt Tetucm. Die Truppen sind
Fähnlein zu je hundert Manu eingetheilt, die von einem Hauptmann
<Kalb El Mijeh) und 4 Lieutenants, richtiger Unteroffizieren geführt werden.
Der Sold beträgt für den Gemeinen etwa 15 Piaster jährlich und wird sehr
unregelmäßig ausgezahlt. Selbst ein Pascka erhält nicht mehr als 300 Pia¬
ster das Jahr. Aber jeder Soldat treibt, wenn er nicht Dienst hat. sein Hand-
Werk und genießt, wie der größere Theil der Kaids (ein Titel, der verschiedene
Gode und eine Civil- und Militärbcdcutung hat) deu Ertrag eines Grund¬
stücks, das man in der Regel durch die Fellachin oder Bauern bearbeiten
^de. Was noch fehlt, pflegen die Soldaten durch Räuberei, die Offiziere
^res Erpressungen zu ersetzen. Gegen neun Zehntheile alles Grundes und
^»dens gehören dem Sultan, der als Haupt der musclmanischen Gemeinde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/471>, abgerufen am 26.06.2024.