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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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gehends feste Wohnsitze und nähren sich gröstentheils Von Ackerbau. Die
Schillak, welche die Südprovinzen inne haben, sind ein schlanker Menschen¬
schlag von sehr dunkler Hautfarbe, der den Charakter der Berbern reiner
bewahrt hat, als die Amazirg. die. wie man von den unter ihnen häufig vor¬
kommenden blauen Augen und blonden Haaren geschlossen hat. sich wahr¬
scheinlich mit den Resten von Genserichs und Gelimers Wandalen vermischt
haben. Letztere wohnen in den nördlichen Theilen des Reiches, vorzüglich in
den Gebirgsgegenden des Atlas und seinen Seitcnketten, zu ihnen gehören die
oft genannten Nifpiraten, deren Unfug den Anlaß zu dem jetzt entbrannten
Kriege gab. Araber reinen Blutes finden sich in Marokko nur etwa 600.000,
U"d zwar ziehen sie meist als Nomaden umher. Die Juden sind meist Nach¬
kommen der unter Ferdinand dem Katholischen aus Spanien vertriebenen Kinder
Israel. Eigentliche Neger wohnen ungefähr 200,000 im Lande, und liefern
s'e hauptsächlich die Rekruten zur regelmäßigen Armee des Sultans.

Unter dieser Bevölkerung herrscht die größte Spaltung nach Abstammung
und Glauben. Die Intoleranz gegen einander ist die charakteristische Eigen¬
schaft der Stämme, der Bürgerkrieg infolge dessen der Normalzustand des
Reiches. In dieser wilden Gesellschaft kennt man nur zwei Formen des po¬
litischen Lebens: Anarchie und den rohesten Despotismus. So weit der Arm
des Sultans reicht, wird das Volk ausgesaugt und ist keiner seines Kopfes
°>nen Tag lang sicher. Die Amazirg und zum Theil auch die Schillak er¬
kennen, in kleinen Dorfrepubliten oder unter Stammhäuptlingen lebend, die
Autorität des Sultans nur ganz oberflächlich an. Jedermann verbirgt seinen
besitz so weit er kann, um nicht von den Beamten geplündert zu werden.
Nur in einem Punkt ist Alles einig, in dem wüthenden Haß gegen die Christen
Und der Verachtung aller Nichtmoslcmin überhaupt.

Das Land ist an den Küsten, welche sandige Flächen bieten, nur wenig
^gebaut, desto mehr aber im Innern, wo Getreide. Oel. Mandeln. Datteln
und Gummi die Hauptprodukte sind. Zahlreiche Schafheerden liefern eine sehr
KUte Wolle. Rinderheerden sind häufig. und die Pferde Marokkos gelten für
^e besten in den Barbarcskenländern. Von Mineralien findet man Kupfer
Menge, etwas Gold. Silber und Eisen. Von den Erzeugnissen des Ge-
^rbfleißes sind nur die seinen Ledcrsortcn und die Seidenstoffe zu erwähnen,
welche hauptsächlich im Südwesten gefertigt werden. Die Einkünfte des Reiches
^'stehen aus dem Ertrag der Zölle, der Kopfsteuer der Juden, dem Zehnten
Vermögen der übrigen Einwohner, dem-Tribut einiger Vasallenfursten.
"ud sollen sich auf etwa sechs Millionen Thaler belaufen. Die Ausgaben be¬
rgen unter dem letzten Sultan kaum die Hälfte dieser Summe. Der Ueber¬
schuß wanderte, soweit er sich nicht unterwegs in unberechtigte Taschen verlor
das Schatzhaus (Mejt El Mei) des Sultans in Mcquinez. Der Handel


Grenzboten IV. 135S. ' ^

gehends feste Wohnsitze und nähren sich gröstentheils Von Ackerbau. Die
Schillak, welche die Südprovinzen inne haben, sind ein schlanker Menschen¬
schlag von sehr dunkler Hautfarbe, der den Charakter der Berbern reiner
bewahrt hat, als die Amazirg. die. wie man von den unter ihnen häufig vor¬
kommenden blauen Augen und blonden Haaren geschlossen hat. sich wahr¬
scheinlich mit den Resten von Genserichs und Gelimers Wandalen vermischt
haben. Letztere wohnen in den nördlichen Theilen des Reiches, vorzüglich in
den Gebirgsgegenden des Atlas und seinen Seitcnketten, zu ihnen gehören die
oft genannten Nifpiraten, deren Unfug den Anlaß zu dem jetzt entbrannten
Kriege gab. Araber reinen Blutes finden sich in Marokko nur etwa 600.000,
U"d zwar ziehen sie meist als Nomaden umher. Die Juden sind meist Nach¬
kommen der unter Ferdinand dem Katholischen aus Spanien vertriebenen Kinder
Israel. Eigentliche Neger wohnen ungefähr 200,000 im Lande, und liefern
s'e hauptsächlich die Rekruten zur regelmäßigen Armee des Sultans.

Unter dieser Bevölkerung herrscht die größte Spaltung nach Abstammung
und Glauben. Die Intoleranz gegen einander ist die charakteristische Eigen¬
schaft der Stämme, der Bürgerkrieg infolge dessen der Normalzustand des
Reiches. In dieser wilden Gesellschaft kennt man nur zwei Formen des po¬
litischen Lebens: Anarchie und den rohesten Despotismus. So weit der Arm
des Sultans reicht, wird das Volk ausgesaugt und ist keiner seines Kopfes
°>nen Tag lang sicher. Die Amazirg und zum Theil auch die Schillak er¬
kennen, in kleinen Dorfrepubliten oder unter Stammhäuptlingen lebend, die
Autorität des Sultans nur ganz oberflächlich an. Jedermann verbirgt seinen
besitz so weit er kann, um nicht von den Beamten geplündert zu werden.
Nur in einem Punkt ist Alles einig, in dem wüthenden Haß gegen die Christen
Und der Verachtung aller Nichtmoslcmin überhaupt.

Das Land ist an den Küsten, welche sandige Flächen bieten, nur wenig
^gebaut, desto mehr aber im Innern, wo Getreide. Oel. Mandeln. Datteln
und Gummi die Hauptprodukte sind. Zahlreiche Schafheerden liefern eine sehr
KUte Wolle. Rinderheerden sind häufig. und die Pferde Marokkos gelten für
^e besten in den Barbarcskenländern. Von Mineralien findet man Kupfer
Menge, etwas Gold. Silber und Eisen. Von den Erzeugnissen des Ge-
^rbfleißes sind nur die seinen Ledcrsortcn und die Seidenstoffe zu erwähnen,
welche hauptsächlich im Südwesten gefertigt werden. Die Einkünfte des Reiches
^'stehen aus dem Ertrag der Zölle, der Kopfsteuer der Juden, dem Zehnten
Vermögen der übrigen Einwohner, dem-Tribut einiger Vasallenfursten.
"ud sollen sich auf etwa sechs Millionen Thaler belaufen. Die Ausgaben be¬
rgen unter dem letzten Sultan kaum die Hälfte dieser Summe. Der Ueber¬
schuß wanderte, soweit er sich nicht unterwegs in unberechtigte Taschen verlor
das Schatzhaus (Mejt El Mei) des Sultans in Mcquinez. Der Handel


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[0469] gehends feste Wohnsitze und nähren sich gröstentheils Von Ackerbau. Die Schillak, welche die Südprovinzen inne haben, sind ein schlanker Menschen¬ schlag von sehr dunkler Hautfarbe, der den Charakter der Berbern reiner bewahrt hat, als die Amazirg. die. wie man von den unter ihnen häufig vor¬ kommenden blauen Augen und blonden Haaren geschlossen hat. sich wahr¬ scheinlich mit den Resten von Genserichs und Gelimers Wandalen vermischt haben. Letztere wohnen in den nördlichen Theilen des Reiches, vorzüglich in den Gebirgsgegenden des Atlas und seinen Seitcnketten, zu ihnen gehören die oft genannten Nifpiraten, deren Unfug den Anlaß zu dem jetzt entbrannten Kriege gab. Araber reinen Blutes finden sich in Marokko nur etwa 600.000, U"d zwar ziehen sie meist als Nomaden umher. Die Juden sind meist Nach¬ kommen der unter Ferdinand dem Katholischen aus Spanien vertriebenen Kinder Israel. Eigentliche Neger wohnen ungefähr 200,000 im Lande, und liefern s'e hauptsächlich die Rekruten zur regelmäßigen Armee des Sultans. Unter dieser Bevölkerung herrscht die größte Spaltung nach Abstammung und Glauben. Die Intoleranz gegen einander ist die charakteristische Eigen¬ schaft der Stämme, der Bürgerkrieg infolge dessen der Normalzustand des Reiches. In dieser wilden Gesellschaft kennt man nur zwei Formen des po¬ litischen Lebens: Anarchie und den rohesten Despotismus. So weit der Arm des Sultans reicht, wird das Volk ausgesaugt und ist keiner seines Kopfes °>nen Tag lang sicher. Die Amazirg und zum Theil auch die Schillak er¬ kennen, in kleinen Dorfrepubliten oder unter Stammhäuptlingen lebend, die Autorität des Sultans nur ganz oberflächlich an. Jedermann verbirgt seinen besitz so weit er kann, um nicht von den Beamten geplündert zu werden. Nur in einem Punkt ist Alles einig, in dem wüthenden Haß gegen die Christen Und der Verachtung aller Nichtmoslcmin überhaupt. Das Land ist an den Küsten, welche sandige Flächen bieten, nur wenig ^gebaut, desto mehr aber im Innern, wo Getreide. Oel. Mandeln. Datteln und Gummi die Hauptprodukte sind. Zahlreiche Schafheerden liefern eine sehr KUte Wolle. Rinderheerden sind häufig. und die Pferde Marokkos gelten für ^e besten in den Barbarcskenländern. Von Mineralien findet man Kupfer Menge, etwas Gold. Silber und Eisen. Von den Erzeugnissen des Ge- ^rbfleißes sind nur die seinen Ledcrsortcn und die Seidenstoffe zu erwähnen, welche hauptsächlich im Südwesten gefertigt werden. Die Einkünfte des Reiches ^'stehen aus dem Ertrag der Zölle, der Kopfsteuer der Juden, dem Zehnten Vermögen der übrigen Einwohner, dem-Tribut einiger Vasallenfursten. "ud sollen sich auf etwa sechs Millionen Thaler belaufen. Die Ausgaben be¬ rgen unter dem letzten Sultan kaum die Hälfte dieser Summe. Der Ueber¬ schuß wanderte, soweit er sich nicht unterwegs in unberechtigte Taschen verlor das Schatzhaus (Mejt El Mei) des Sultans in Mcquinez. Der Handel Grenzboten IV. 135S. ' ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/469>, abgerufen am 26.06.2024.