Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.sah ich klar in einer Tracht, die jetzt veraltet war. mich sorgsam lösen aus
sah ich klar in einer Tracht, die jetzt veraltet war. mich sorgsam lösen aus
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108592"/> <p xml:id="ID_1440" prev="#ID_1439"> sah ich klar in einer Tracht, die jetzt veraltet war. mich sorgsam lösen aus<lb/> verblichnen Hüllen; Löckchen, vermorscht, zu Staub verfallen" u. s. w. ^<lb/> Sie schaut in den Bodensee (S. 100). und lobt die Treue der alten frommen<lb/> Wasserfey, die nicht losläßt, was sie einmal umschlungen hat: „O schau mich<lb/> an! ich zergeh wie Schaum; wenn aus dem Grabe die Distel quillt, dann<lb/> zuckt mein längst zerfallenes Bild wol einmal durch deinen Traum!" (Auch<lb/> in diesem tollen Gedicht ist beiläufig eine wunderbare Melodie.) Ja einmal<lb/> spricht sie gradezu zu den Todten (I. S. 219): „Kalt ist der Druck von eurer<lb/> Hand, erloschen eures Blickes Brand, und euer Laut der Oede Odem. Doch<lb/> keine andre Rechte drückt so traut, so hat kein Aug geblickt, so spricht kein<lb/> Wort wie Grabesbrodem!" Da vergehen einem doch gradezu alle Sinne! ^<lb/> In einem wilden fast unverständlichen Gedicht (II. S. 18), „der Doppelgänger"<lb/> hat sie die' Vision eines Kindes, das sie „so ernst ansah, als quelle ihm die<lb/> Seele aus den Blicken" und dann zerfließt; sie setzt hinzu: „o warens Geister¬<lb/> stimmen . . . wär' Grabesbrodem nur der leise Duft, der mich umscufztc aus<lb/> verschollnen Zeiten. Doch nur mein Herz ist eure stille Gruft, und meine<lb/> Heil'gen. meine einst geweihten, sie leben alle, wandeln allzumal — vielleicht<lb/> zum Segen sich, doch mir zur Quai." Etwas Aufklärung scheinen die „Goten"<lb/> zu geben (II. S. 22): ihre einst Geliebten sind lederne Philister geworden,<lb/> leblose Goten, sie haben die Bilder ihrer frühern Liebe zu Lügen gemacht!<lb/> der Goten haucht die alte Liebe „mit der Verwesung Schrecken an"; „weh<lb/> ihm. der lebt in des Vergangnen Schau! nicht was gebrochen macht das<lb/> Haar ihm grau, was Tod gekränkt in seiner Schöne: doch sie. die Monumente<lb/> ohne Todten, die wandernden Gebilde ohne Blut . . . Was nicht des Lebens,<lb/> nicht des Todes Art. nicht hier und nicht im Himmel ist zu finden." — Sind<lb/> das nun Spuren wirklicher Erlebnisse? oder ist es auch hier Hallucination,<lb/> die an den Todten hängt, nicht weil sie treu geblieben, sondern weil sie todt<lb/> sind? — Selbst wenn sie ihre Sehnsucht nach der Heimat messen will, sah^<lb/> dert sie dieselbe (II. S. 10) als so stark, daß sie die Todten in ihren Särge»<lb/> recken könnte! Auch der Spiegel (I. S. 199) zeigt ihr nur das Phantom eines<lb/> Todtengesichts. — Noch ein Lied aus den „letzten Gaben": „Im Grase"; die<lb/> Vorstellung ist unklar, aber der Klang äußerst lieblich.<lb/> ''</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> ..><lb/> Süße Ruh, süßer Taumel im Gras,<lb/> Von des Krautes Arom umhaucht;<lb/> Tiefe Fluth, tief, ticftrunkne Fluth,<lb/> Wenn die Woll' am Azur verraucht,<lb/> Wenn aufs müde schwimmende Haupt<lb/> Süßes Lachen gauckett herab,<lb/> Liebe Stimme säuselt, und traust<lb/> Wie die Lindcnblüth auf ein Grab.</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
sah ich klar in einer Tracht, die jetzt veraltet war. mich sorgsam lösen aus
verblichnen Hüllen; Löckchen, vermorscht, zu Staub verfallen" u. s. w. ^
Sie schaut in den Bodensee (S. 100). und lobt die Treue der alten frommen
Wasserfey, die nicht losläßt, was sie einmal umschlungen hat: „O schau mich
an! ich zergeh wie Schaum; wenn aus dem Grabe die Distel quillt, dann
zuckt mein längst zerfallenes Bild wol einmal durch deinen Traum!" (Auch
in diesem tollen Gedicht ist beiläufig eine wunderbare Melodie.) Ja einmal
spricht sie gradezu zu den Todten (I. S. 219): „Kalt ist der Druck von eurer
Hand, erloschen eures Blickes Brand, und euer Laut der Oede Odem. Doch
keine andre Rechte drückt so traut, so hat kein Aug geblickt, so spricht kein
Wort wie Grabesbrodem!" Da vergehen einem doch gradezu alle Sinne! ^
In einem wilden fast unverständlichen Gedicht (II. S. 18), „der Doppelgänger"
hat sie die' Vision eines Kindes, das sie „so ernst ansah, als quelle ihm die
Seele aus den Blicken" und dann zerfließt; sie setzt hinzu: „o warens Geister¬
stimmen . . . wär' Grabesbrodem nur der leise Duft, der mich umscufztc aus
verschollnen Zeiten. Doch nur mein Herz ist eure stille Gruft, und meine
Heil'gen. meine einst geweihten, sie leben alle, wandeln allzumal — vielleicht
zum Segen sich, doch mir zur Quai." Etwas Aufklärung scheinen die „Goten"
zu geben (II. S. 22): ihre einst Geliebten sind lederne Philister geworden,
leblose Goten, sie haben die Bilder ihrer frühern Liebe zu Lügen gemacht!
der Goten haucht die alte Liebe „mit der Verwesung Schrecken an"; „weh
ihm. der lebt in des Vergangnen Schau! nicht was gebrochen macht das
Haar ihm grau, was Tod gekränkt in seiner Schöne: doch sie. die Monumente
ohne Todten, die wandernden Gebilde ohne Blut . . . Was nicht des Lebens,
nicht des Todes Art. nicht hier und nicht im Himmel ist zu finden." — Sind
das nun Spuren wirklicher Erlebnisse? oder ist es auch hier Hallucination,
die an den Todten hängt, nicht weil sie treu geblieben, sondern weil sie todt
sind? — Selbst wenn sie ihre Sehnsucht nach der Heimat messen will, sah^
dert sie dieselbe (II. S. 10) als so stark, daß sie die Todten in ihren Särge»
recken könnte! Auch der Spiegel (I. S. 199) zeigt ihr nur das Phantom eines
Todtengesichts. — Noch ein Lied aus den „letzten Gaben": „Im Grase"; die
Vorstellung ist unklar, aber der Klang äußerst lieblich.
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Süße Ruh, süßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arom umhaucht;
Tiefe Fluth, tief, ticftrunkne Fluth,
Wenn die Woll' am Azur verraucht,
Wenn aufs müde schwimmende Haupt
Süßes Lachen gauckett herab,
Liebe Stimme säuselt, und traust
Wie die Lindcnblüth auf ein Grab.
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