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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Bei diesen und andern Erzählungen könnte man fragen, ob der Vers
den Eindruck fördert oder schwächt. Und in der That verräth eine prosaische
Erzählung des Nachlasses, die Judenbuche, was die einzelnen Scenen be¬
trifft, ein Talent, das die Dichterin unsern besten Erzählern an die Seite
stellt. Die schwere Aufgabe, das Entsetzliche und Humoristische, Grauen und
Ironie, so ineinander zu verweben, daß das eine vom andern nicht aufgehoben
wird, ist ihr vollkommen gelungen. Die Naturwahrheit zeugt von einer Mei¬
sterhand; sämmtliche Figuren reden, denken und handeln, wie sie in der
Wirklichkeit reden, denken und handeln, und es ist um so merkwürdiger, da
die Geschichte sich durchweg in den niedrigen Volkskreisen bewegt: wo die
vornehme, kränkliche Dame das beobachtet haben mag. ist räthselhaft; gerade¬
zu erfinden läßt sich so etwas nicht. (Die gleiche Schärfe der Beobachtung
Zeigen auch die "Bilder aus Westphalen" 1340.) Noch wunderbarer zeigt sich
ihr Talent, die beabsichtigte Stimmung wirklich hervorzubringen, blos durch
das grelle Licht, das sie auf die nackten Thatsachen zu werfen weiß. Die
Scene, wo der todte Mergel nach Hause gebracht wird, erinnert an die besten
Stellen Heinrichs von Kleist. Etwas von diesem Talent, aber nicht in dem
Zeichen Grade, besitzt Edmund Höfer. -- Der gute Eindruck der Novelle
schwindet freilich sehr, wenn man das Ganze ins Auge saßt. Von Zusam¬
menhang ist fast garnicht die Rede. Etwas mag es zur Romantik beitragen,
wenn mancher Umstand im Dunkeln bleibt; aber wenn man bei vier Mord¬
taten, die hier vorfallen (abgesehn von einigen Nebengeschichten) nur bei
einer (und auch da nicht sicher) erfährt, wer sie ausgeübt hat. so ist das doch
"was zu viel. Was aber die Hauptsache ist: wir ahnen keine leitende Idee,
keine Nothwendigkeit des Schicksals, die uns mit den zahlreichen Greueln
versöhnte. Und das ist doch eine gerechte Forderung an den Dichter: wir
Wollen das Aergste, was er uns bietet, ertragen, wir wollen das Grauen
und den Schmerz nicht scheuen, aber wir wollen wissen, warum er uns denne
überhäuft. -- Zum Schluß hängt ein der Judenbuche wieder eine Leiche (wer
ste hingehängt, erführe man nicht), an der bereits die Würmer nagen. --
Die Vorstellung, wie die Todten in den Gräbern sich recken und dehnen, ver¬
folgt die Dichterin beständig, und da man in ihren Mährchen nicht immer
unterscheidet, wer todt und wer lebendig ist. so haben ihre Gestalten nicht
selten etwas vom Vampnr. Man möchte sagen, diesem starken Leben, das
°och fortwährend ins Traumhafte spielt, sei das Brandmal des Todes auf-
^Prägt.

Nicht blos die Bilder, auch die Empfindungen und Gedanken münden
in das. was das Grab verschließt. Woran sie auch denken mag. stets
gleichen sich Staub und Würmer in ihre Gedanken ein. So liegt sie un
Moose und erinnert sich an ihre Kindheit (1. S. 98): ..die Bilder meiner Lieben


Grenzboten IV. 1869. ^

Bei diesen und andern Erzählungen könnte man fragen, ob der Vers
den Eindruck fördert oder schwächt. Und in der That verräth eine prosaische
Erzählung des Nachlasses, die Judenbuche, was die einzelnen Scenen be¬
trifft, ein Talent, das die Dichterin unsern besten Erzählern an die Seite
stellt. Die schwere Aufgabe, das Entsetzliche und Humoristische, Grauen und
Ironie, so ineinander zu verweben, daß das eine vom andern nicht aufgehoben
wird, ist ihr vollkommen gelungen. Die Naturwahrheit zeugt von einer Mei¬
sterhand; sämmtliche Figuren reden, denken und handeln, wie sie in der
Wirklichkeit reden, denken und handeln, und es ist um so merkwürdiger, da
die Geschichte sich durchweg in den niedrigen Volkskreisen bewegt: wo die
vornehme, kränkliche Dame das beobachtet haben mag. ist räthselhaft; gerade¬
zu erfinden läßt sich so etwas nicht. (Die gleiche Schärfe der Beobachtung
Zeigen auch die „Bilder aus Westphalen" 1340.) Noch wunderbarer zeigt sich
ihr Talent, die beabsichtigte Stimmung wirklich hervorzubringen, blos durch
das grelle Licht, das sie auf die nackten Thatsachen zu werfen weiß. Die
Scene, wo der todte Mergel nach Hause gebracht wird, erinnert an die besten
Stellen Heinrichs von Kleist. Etwas von diesem Talent, aber nicht in dem
Zeichen Grade, besitzt Edmund Höfer. — Der gute Eindruck der Novelle
schwindet freilich sehr, wenn man das Ganze ins Auge saßt. Von Zusam¬
menhang ist fast garnicht die Rede. Etwas mag es zur Romantik beitragen,
wenn mancher Umstand im Dunkeln bleibt; aber wenn man bei vier Mord¬
taten, die hier vorfallen (abgesehn von einigen Nebengeschichten) nur bei
einer (und auch da nicht sicher) erfährt, wer sie ausgeübt hat. so ist das doch
"was zu viel. Was aber die Hauptsache ist: wir ahnen keine leitende Idee,
keine Nothwendigkeit des Schicksals, die uns mit den zahlreichen Greueln
versöhnte. Und das ist doch eine gerechte Forderung an den Dichter: wir
Wollen das Aergste, was er uns bietet, ertragen, wir wollen das Grauen
und den Schmerz nicht scheuen, aber wir wollen wissen, warum er uns denne
überhäuft. — Zum Schluß hängt ein der Judenbuche wieder eine Leiche (wer
ste hingehängt, erführe man nicht), an der bereits die Würmer nagen. —
Die Vorstellung, wie die Todten in den Gräbern sich recken und dehnen, ver¬
folgt die Dichterin beständig, und da man in ihren Mährchen nicht immer
unterscheidet, wer todt und wer lebendig ist. so haben ihre Gestalten nicht
selten etwas vom Vampnr. Man möchte sagen, diesem starken Leben, das
°och fortwährend ins Traumhafte spielt, sei das Brandmal des Todes auf-
^Prägt.

Nicht blos die Bilder, auch die Empfindungen und Gedanken münden
in das. was das Grab verschließt. Woran sie auch denken mag. stets
gleichen sich Staub und Würmer in ihre Gedanken ein. So liegt sie un
Moose und erinnert sich an ihre Kindheit (1. S. 98): ..die Bilder meiner Lieben


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[0461] Bei diesen und andern Erzählungen könnte man fragen, ob der Vers den Eindruck fördert oder schwächt. Und in der That verräth eine prosaische Erzählung des Nachlasses, die Judenbuche, was die einzelnen Scenen be¬ trifft, ein Talent, das die Dichterin unsern besten Erzählern an die Seite stellt. Die schwere Aufgabe, das Entsetzliche und Humoristische, Grauen und Ironie, so ineinander zu verweben, daß das eine vom andern nicht aufgehoben wird, ist ihr vollkommen gelungen. Die Naturwahrheit zeugt von einer Mei¬ sterhand; sämmtliche Figuren reden, denken und handeln, wie sie in der Wirklichkeit reden, denken und handeln, und es ist um so merkwürdiger, da die Geschichte sich durchweg in den niedrigen Volkskreisen bewegt: wo die vornehme, kränkliche Dame das beobachtet haben mag. ist räthselhaft; gerade¬ zu erfinden läßt sich so etwas nicht. (Die gleiche Schärfe der Beobachtung Zeigen auch die „Bilder aus Westphalen" 1340.) Noch wunderbarer zeigt sich ihr Talent, die beabsichtigte Stimmung wirklich hervorzubringen, blos durch das grelle Licht, das sie auf die nackten Thatsachen zu werfen weiß. Die Scene, wo der todte Mergel nach Hause gebracht wird, erinnert an die besten Stellen Heinrichs von Kleist. Etwas von diesem Talent, aber nicht in dem Zeichen Grade, besitzt Edmund Höfer. — Der gute Eindruck der Novelle schwindet freilich sehr, wenn man das Ganze ins Auge saßt. Von Zusam¬ menhang ist fast garnicht die Rede. Etwas mag es zur Romantik beitragen, wenn mancher Umstand im Dunkeln bleibt; aber wenn man bei vier Mord¬ taten, die hier vorfallen (abgesehn von einigen Nebengeschichten) nur bei einer (und auch da nicht sicher) erfährt, wer sie ausgeübt hat. so ist das doch "was zu viel. Was aber die Hauptsache ist: wir ahnen keine leitende Idee, keine Nothwendigkeit des Schicksals, die uns mit den zahlreichen Greueln versöhnte. Und das ist doch eine gerechte Forderung an den Dichter: wir Wollen das Aergste, was er uns bietet, ertragen, wir wollen das Grauen und den Schmerz nicht scheuen, aber wir wollen wissen, warum er uns denne überhäuft. — Zum Schluß hängt ein der Judenbuche wieder eine Leiche (wer ste hingehängt, erführe man nicht), an der bereits die Würmer nagen. — Die Vorstellung, wie die Todten in den Gräbern sich recken und dehnen, ver¬ folgt die Dichterin beständig, und da man in ihren Mährchen nicht immer unterscheidet, wer todt und wer lebendig ist. so haben ihre Gestalten nicht selten etwas vom Vampnr. Man möchte sagen, diesem starken Leben, das °och fortwährend ins Traumhafte spielt, sei das Brandmal des Todes auf- ^Prägt. Nicht blos die Bilder, auch die Empfindungen und Gedanken münden in das. was das Grab verschließt. Woran sie auch denken mag. stets gleichen sich Staub und Würmer in ihre Gedanken ein. So liegt sie un Moose und erinnert sich an ihre Kindheit (1. S. 98): ..die Bilder meiner Lieben Grenzboten IV. 1869. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/461>, abgerufen am 26.06.2024.