Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wo keine Gespenster im Spiel sind, z. B. die Neujahrsnacht I S. 201; die
Verbannten S. 11. u. s. w.

Daß die Dichterin ein diesem Grauen ein krankhaftes Behagen findet,
gesteht sie selbst Is. 50 bei der Schilderung eines Hünengrabes: "und fester
drückt' ich meine Stirn hinab, w oliüstig saugend an des Grauens Süße,
bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt, bis wie ein Glctscherborn des Blutes
Takt aufquoll und hämmert'" u. s. w.: eben weil sie der Geister nicht Herr
ist. Sie sucht sich dann wohl, wie auch hier, durch eine komische Wendung
ZU retten. Am freiesten athmen wir auf (I S. 254), als der alte Seemann
bei dem Anblick des fliegenden Holländers ausruft: "Mag die ehrliche deutsche
See vom Schleim der Molluske sich rothen . . . Drunten ists klar und licht,
wie droben die Wellen gelmhren. Mögen wir nur vor dein fremden Gezücht,
vor dem Geisterjanhagel uns wahren!" -- Ja wohl! dem fremden und
einheimischen.

Wir haben öfters Gelegenheit gehabt, gegen die durch Freiligrath u. A.
verbreitete Ansicht zu polemisiren, die Dichtung sei ein Fluch, ein Kainsstempcl;
wir nehmen diese Polemik auch nicht zurück, aber in dieser Umgebung ver¬
stehen wir wenigstens, was es heißen soll, wenn (II S. 43) versichert wird,
der Dichter müsse mit schrecklichen Qualen seine Schätze bezahlen: "eine Lamp'
hat er entfacht, die nur das Mark ihm sieden macht; ja Perlen fischt er und
Juwele. die kosten nichts als -- seine Seele." Die Hallucination hat sich
nicht zur freien poetischen Schöpfung geläutert, die deu Geist befreit. Damit
hängt ein andrer Irrthum Anuetteus zusammen (II S. 23), wo sie die Dilettanten
glücklich preist, die "Hall'gesegneten. wo scheu ins Herz der Genius gcflohu
und öde ließ die Phantasei; ihr die ihr möchtet flügellos euch schwingen mit
des Sehnens Hauch, und wieder in der Erde Schooß sinkt, wie ein kranker
Nebelrauch;" sie glücklich preist, weil "nur der Träume Land reich ist." Das
Dichter-Unglück gilt vielmehr nur von denen, die nicht ganz geben können,
was sie wollen. In andern Stellen spricht sich eine höhere Ansicht von der
Poesie aus (I S. Ki7): "Poesie gleicht dem Pokale aus venedischem Krystall;
Gift hinein -- und er klirrt in tausend Trümmern, und hin ist die Poesie!"
Sollten jene spinncnsüßigen Gespenster nicht auch zu dem Gift gehören, das
vcnedisches Glas sprengt?

Nur ist in Anschlag zu bringen, daß dem Leiden, jenem Zustand der
Hallucination, eine active Virtuosität entspricht. Jede Empfindung knMllchrt
A) Anuctten zu einem ausgeführten Bilde, und in diesem Sinn könnte man
die Mehrzahl ihrer Lieder Balladen nennen. Man betrachte "das öde Hans"
a S. .)4), ein düstres unheimliches Bild ohne Pointe; aber wie wahr und
andringend in allen Theilen ist die Schilderung! Ein malerisches Auge hat
es gesehen. -- Eines der reinsten Bilder. "Mondesaufgang". wo durch die


wo keine Gespenster im Spiel sind, z. B. die Neujahrsnacht I S. 201; die
Verbannten S. 11. u. s. w.

Daß die Dichterin ein diesem Grauen ein krankhaftes Behagen findet,
gesteht sie selbst Is. 50 bei der Schilderung eines Hünengrabes: „und fester
drückt' ich meine Stirn hinab, w oliüstig saugend an des Grauens Süße,
bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt, bis wie ein Glctscherborn des Blutes
Takt aufquoll und hämmert'" u. s. w.: eben weil sie der Geister nicht Herr
ist. Sie sucht sich dann wohl, wie auch hier, durch eine komische Wendung
ZU retten. Am freiesten athmen wir auf (I S. 254), als der alte Seemann
bei dem Anblick des fliegenden Holländers ausruft: „Mag die ehrliche deutsche
See vom Schleim der Molluske sich rothen . . . Drunten ists klar und licht,
wie droben die Wellen gelmhren. Mögen wir nur vor dein fremden Gezücht,
vor dem Geisterjanhagel uns wahren!" — Ja wohl! dem fremden und
einheimischen.

Wir haben öfters Gelegenheit gehabt, gegen die durch Freiligrath u. A.
verbreitete Ansicht zu polemisiren, die Dichtung sei ein Fluch, ein Kainsstempcl;
wir nehmen diese Polemik auch nicht zurück, aber in dieser Umgebung ver¬
stehen wir wenigstens, was es heißen soll, wenn (II S. 43) versichert wird,
der Dichter müsse mit schrecklichen Qualen seine Schätze bezahlen: „eine Lamp'
hat er entfacht, die nur das Mark ihm sieden macht; ja Perlen fischt er und
Juwele. die kosten nichts als — seine Seele." Die Hallucination hat sich
nicht zur freien poetischen Schöpfung geläutert, die deu Geist befreit. Damit
hängt ein andrer Irrthum Anuetteus zusammen (II S. 23), wo sie die Dilettanten
glücklich preist, die „Hall'gesegneten. wo scheu ins Herz der Genius gcflohu
und öde ließ die Phantasei; ihr die ihr möchtet flügellos euch schwingen mit
des Sehnens Hauch, und wieder in der Erde Schooß sinkt, wie ein kranker
Nebelrauch;" sie glücklich preist, weil „nur der Träume Land reich ist." Das
Dichter-Unglück gilt vielmehr nur von denen, die nicht ganz geben können,
was sie wollen. In andern Stellen spricht sich eine höhere Ansicht von der
Poesie aus (I S. Ki7): „Poesie gleicht dem Pokale aus venedischem Krystall;
Gift hinein — und er klirrt in tausend Trümmern, und hin ist die Poesie!"
Sollten jene spinncnsüßigen Gespenster nicht auch zu dem Gift gehören, das
vcnedisches Glas sprengt?

Nur ist in Anschlag zu bringen, daß dem Leiden, jenem Zustand der
Hallucination, eine active Virtuosität entspricht. Jede Empfindung knMllchrt
A) Anuctten zu einem ausgeführten Bilde, und in diesem Sinn könnte man
die Mehrzahl ihrer Lieder Balladen nennen. Man betrachte „das öde Hans"
a S. .)4), ein düstres unheimliches Bild ohne Pointe; aber wie wahr und
andringend in allen Theilen ist die Schilderung! Ein malerisches Auge hat
es gesehen. — Eines der reinsten Bilder. „Mondesaufgang". wo durch die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108587"/>
          <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427"> wo keine Gespenster im Spiel sind, z. B. die Neujahrsnacht I S. 201; die<lb/>
Verbannten S. 11. u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1429"> Daß die Dichterin ein diesem Grauen ein krankhaftes Behagen findet,<lb/>
gesteht sie selbst Is. 50 bei der Schilderung eines Hünengrabes: &#x201E;und fester<lb/>
drückt' ich meine Stirn hinab, w oliüstig saugend an des Grauens Süße,<lb/>
bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt, bis wie ein Glctscherborn des Blutes<lb/>
Takt aufquoll und hämmert'" u. s. w.: eben weil sie der Geister nicht Herr<lb/>
ist. Sie sucht sich dann wohl, wie auch hier, durch eine komische Wendung<lb/>
ZU retten. Am freiesten athmen wir auf (I S. 254), als der alte Seemann<lb/>
bei dem Anblick des fliegenden Holländers ausruft: &#x201E;Mag die ehrliche deutsche<lb/>
See vom Schleim der Molluske sich rothen . . . Drunten ists klar und licht,<lb/>
wie droben die Wellen gelmhren. Mögen wir nur vor dein fremden Gezücht,<lb/>
vor dem Geisterjanhagel uns wahren!" &#x2014; Ja wohl! dem fremden und<lb/>
einheimischen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1430"> Wir haben öfters Gelegenheit gehabt, gegen die durch Freiligrath u. A.<lb/>
verbreitete Ansicht zu polemisiren, die Dichtung sei ein Fluch, ein Kainsstempcl;<lb/>
wir nehmen diese Polemik auch nicht zurück, aber in dieser Umgebung ver¬<lb/>
stehen wir wenigstens, was es heißen soll, wenn (II S. 43) versichert wird,<lb/>
der Dichter müsse mit schrecklichen Qualen seine Schätze bezahlen: &#x201E;eine Lamp'<lb/>
hat er entfacht, die nur das Mark ihm sieden macht; ja Perlen fischt er und<lb/>
Juwele. die kosten nichts als &#x2014; seine Seele." Die Hallucination hat sich<lb/>
nicht zur freien poetischen Schöpfung geläutert, die deu Geist befreit. Damit<lb/>
hängt ein andrer Irrthum Anuetteus zusammen (II S. 23), wo sie die Dilettanten<lb/>
glücklich preist, die &#x201E;Hall'gesegneten. wo scheu ins Herz der Genius gcflohu<lb/>
und öde ließ die Phantasei; ihr die ihr möchtet flügellos euch schwingen mit<lb/>
des Sehnens Hauch, und wieder in der Erde Schooß sinkt, wie ein kranker<lb/>
Nebelrauch;" sie glücklich preist, weil &#x201E;nur der Träume Land reich ist." Das<lb/>
Dichter-Unglück gilt vielmehr nur von denen, die nicht ganz geben können,<lb/>
was sie wollen. In andern Stellen spricht sich eine höhere Ansicht von der<lb/>
Poesie aus (I S. Ki7): &#x201E;Poesie gleicht dem Pokale aus venedischem Krystall;<lb/>
Gift hinein &#x2014; und er klirrt in tausend Trümmern, und hin ist die Poesie!"<lb/>
Sollten jene spinncnsüßigen Gespenster nicht auch zu dem Gift gehören, das<lb/>
vcnedisches Glas sprengt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1431" next="#ID_1432"> Nur ist in Anschlag zu bringen, daß dem Leiden, jenem Zustand der<lb/>
Hallucination, eine active Virtuosität entspricht. Jede Empfindung knMllchrt<lb/>
A) Anuctten zu einem ausgeführten Bilde, und in diesem Sinn könnte man<lb/>
die Mehrzahl ihrer Lieder Balladen nennen. Man betrachte &#x201E;das öde Hans"<lb/>
a S. .)4), ein düstres unheimliches Bild ohne Pointe; aber wie wahr und<lb/>
andringend in allen Theilen ist die Schilderung! Ein malerisches Auge hat<lb/>
es gesehen. &#x2014; Eines der reinsten Bilder. &#x201E;Mondesaufgang". wo durch die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] wo keine Gespenster im Spiel sind, z. B. die Neujahrsnacht I S. 201; die Verbannten S. 11. u. s. w. Daß die Dichterin ein diesem Grauen ein krankhaftes Behagen findet, gesteht sie selbst Is. 50 bei der Schilderung eines Hünengrabes: „und fester drückt' ich meine Stirn hinab, w oliüstig saugend an des Grauens Süße, bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt, bis wie ein Glctscherborn des Blutes Takt aufquoll und hämmert'" u. s. w.: eben weil sie der Geister nicht Herr ist. Sie sucht sich dann wohl, wie auch hier, durch eine komische Wendung ZU retten. Am freiesten athmen wir auf (I S. 254), als der alte Seemann bei dem Anblick des fliegenden Holländers ausruft: „Mag die ehrliche deutsche See vom Schleim der Molluske sich rothen . . . Drunten ists klar und licht, wie droben die Wellen gelmhren. Mögen wir nur vor dein fremden Gezücht, vor dem Geisterjanhagel uns wahren!" — Ja wohl! dem fremden und einheimischen. Wir haben öfters Gelegenheit gehabt, gegen die durch Freiligrath u. A. verbreitete Ansicht zu polemisiren, die Dichtung sei ein Fluch, ein Kainsstempcl; wir nehmen diese Polemik auch nicht zurück, aber in dieser Umgebung ver¬ stehen wir wenigstens, was es heißen soll, wenn (II S. 43) versichert wird, der Dichter müsse mit schrecklichen Qualen seine Schätze bezahlen: „eine Lamp' hat er entfacht, die nur das Mark ihm sieden macht; ja Perlen fischt er und Juwele. die kosten nichts als — seine Seele." Die Hallucination hat sich nicht zur freien poetischen Schöpfung geläutert, die deu Geist befreit. Damit hängt ein andrer Irrthum Anuetteus zusammen (II S. 23), wo sie die Dilettanten glücklich preist, die „Hall'gesegneten. wo scheu ins Herz der Genius gcflohu und öde ließ die Phantasei; ihr die ihr möchtet flügellos euch schwingen mit des Sehnens Hauch, und wieder in der Erde Schooß sinkt, wie ein kranker Nebelrauch;" sie glücklich preist, weil „nur der Träume Land reich ist." Das Dichter-Unglück gilt vielmehr nur von denen, die nicht ganz geben können, was sie wollen. In andern Stellen spricht sich eine höhere Ansicht von der Poesie aus (I S. Ki7): „Poesie gleicht dem Pokale aus venedischem Krystall; Gift hinein — und er klirrt in tausend Trümmern, und hin ist die Poesie!" Sollten jene spinncnsüßigen Gespenster nicht auch zu dem Gift gehören, das vcnedisches Glas sprengt? Nur ist in Anschlag zu bringen, daß dem Leiden, jenem Zustand der Hallucination, eine active Virtuosität entspricht. Jede Empfindung knMllchrt A) Anuctten zu einem ausgeführten Bilde, und in diesem Sinn könnte man die Mehrzahl ihrer Lieder Balladen nennen. Man betrachte „das öde Hans" a S. .)4), ein düstres unheimliches Bild ohne Pointe; aber wie wahr und andringend in allen Theilen ist die Schilderung! Ein malerisches Auge hat es gesehen. — Eines der reinsten Bilder. „Mondesaufgang". wo durch die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/457>, abgerufen am 26.06.2024.