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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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einer kleinen Provinzialstadt! Wie muß es in Rom in dieser Hinsicht ausge¬
ben haben! Welcher Handwerker ist im Stande heutigen Tages das zu lei¬
sten, was hier Sklavenhände geschaffen haben; welcher Künstler würde sich'
d"zu verstehen, so Etwas auszuführen und um welchen Preis! Hier ist eine
Kluft auszufüllen. Ich sollte meinen, es wäre ehrenvoller sür.den. welchen
wahre Liebe zur Sache beseelt, in der Arbeitsjacke sein Brod redlich und reich-
uch zu verdienen und dadurch den Kunstgeschmack verbessern zu helfen, als
un abgeschabten Sammtrock im thörichten Künstlerwahn vor der Staffelei zu
verhungern. Man fange nur erst an und wage es; die öffentliche Meinung
wird, wenn man Besseres leistet, bald sich ändern und die Nachfrage folgen,
^alt wird der geschmacklose Rokokoplunder verschwinden, der unsre Stu¬
benwände verstellt und entstellt, sobald nur Hände da sind, die Zierlicheres
Und Sinnreicheres zu leisten im Stande sind.

Noch schlechter als mit der Zimmermalerei ist es mit der Skulptur bestellt;
wie sie zur Zeit in den Händen der Stukaturarbeiter ist. ist sie vollkommen
unbrauchbar. Nur wenn uns die zeichnende Kunst wieder von allen Seiten
umgiebt, kann sich das moderne Auge wieder daran gewöhnen, kahle Flächen
überhaupt zu hassen und außer der Farbe auch die Form wieder zu lieben, zu
achten. Der sinnreiche Grieche und Römer verzierte Alles, was er im Besitze
hatte, figürlich und verzierte es passend und geschmackvoll. Die Darstellung
stand mit dem Zweck des Gegenstandes selbst in einer geistigen Verbindung,
^icht anders verfuhr man in der Blüthezeit des Mittelalters. Wie armselig
und dürftig nehmen sich dagegen unsre Hausgerüthe im Verhältniß zu denen
jener Zeiten aus!

So lange dieser Mangel moderner Anschauungsweise nicht beseitigt ist,
kann von einer wahren und volksthümlichen Kunst auch keine Rede sein,
^cum unsre Kunst auch gerade keine Hofkunst ist, wie wir uns überzeugt ha-"
ben. so ist sie bis zur Zeit wenigstens doch nur eine Kunst der höher Gebildeten,
^ne aristokratische Kunst gewesen. Der Beruf aber jeder wahren Kunst ist,
Volkskunst im weitesten Sinne des Wortes zu sein.

Soll die Kunst unsrer Zeit diesen Beruf erfüllen, so muß ein Entgegen¬
kommen von zwei Seiten stattfinden. Der Künstler muß sich dem Handwerker,
"us dem er hervorgegangen ist, der Handwerker dem Künstler wieder annähern,
^'e Hauptausgabe der folgenden Periode wird es sein, diesen Uebergang vor¬
zubereiten, eine Verbindung herbeizuführen, ohne eine Vermischung, die beiden
heilen gleich verderblich sein würde, zu Wege zu bringen.

Mag Jeder in seinem Kreise darnach streben. Die Regierungen mögen
Kunst von Staatswegen im Namen, auf Kosten und mit Bewilligung der
Kationen und ihrer Vertreter fördern; sie mögen sich aber hüten, die Kunst hof-
^sig und dadurch hoffärtig zu machen. Der moderne Künstler lege den mo-


Grcuzbotm IV. 1859. 55

einer kleinen Provinzialstadt! Wie muß es in Rom in dieser Hinsicht ausge¬
ben haben! Welcher Handwerker ist im Stande heutigen Tages das zu lei¬
sten, was hier Sklavenhände geschaffen haben; welcher Künstler würde sich'
d"zu verstehen, so Etwas auszuführen und um welchen Preis! Hier ist eine
Kluft auszufüllen. Ich sollte meinen, es wäre ehrenvoller sür.den. welchen
wahre Liebe zur Sache beseelt, in der Arbeitsjacke sein Brod redlich und reich-
uch zu verdienen und dadurch den Kunstgeschmack verbessern zu helfen, als
un abgeschabten Sammtrock im thörichten Künstlerwahn vor der Staffelei zu
verhungern. Man fange nur erst an und wage es; die öffentliche Meinung
wird, wenn man Besseres leistet, bald sich ändern und die Nachfrage folgen,
^alt wird der geschmacklose Rokokoplunder verschwinden, der unsre Stu¬
benwände verstellt und entstellt, sobald nur Hände da sind, die Zierlicheres
Und Sinnreicheres zu leisten im Stande sind.

Noch schlechter als mit der Zimmermalerei ist es mit der Skulptur bestellt;
wie sie zur Zeit in den Händen der Stukaturarbeiter ist. ist sie vollkommen
unbrauchbar. Nur wenn uns die zeichnende Kunst wieder von allen Seiten
umgiebt, kann sich das moderne Auge wieder daran gewöhnen, kahle Flächen
überhaupt zu hassen und außer der Farbe auch die Form wieder zu lieben, zu
achten. Der sinnreiche Grieche und Römer verzierte Alles, was er im Besitze
hatte, figürlich und verzierte es passend und geschmackvoll. Die Darstellung
stand mit dem Zweck des Gegenstandes selbst in einer geistigen Verbindung,
^icht anders verfuhr man in der Blüthezeit des Mittelalters. Wie armselig
und dürftig nehmen sich dagegen unsre Hausgerüthe im Verhältniß zu denen
jener Zeiten aus!

So lange dieser Mangel moderner Anschauungsweise nicht beseitigt ist,
kann von einer wahren und volksthümlichen Kunst auch keine Rede sein,
^cum unsre Kunst auch gerade keine Hofkunst ist, wie wir uns überzeugt ha-"
ben. so ist sie bis zur Zeit wenigstens doch nur eine Kunst der höher Gebildeten,
^ne aristokratische Kunst gewesen. Der Beruf aber jeder wahren Kunst ist,
Volkskunst im weitesten Sinne des Wortes zu sein.

Soll die Kunst unsrer Zeit diesen Beruf erfüllen, so muß ein Entgegen¬
kommen von zwei Seiten stattfinden. Der Künstler muß sich dem Handwerker,
"us dem er hervorgegangen ist, der Handwerker dem Künstler wieder annähern,
^'e Hauptausgabe der folgenden Periode wird es sein, diesen Uebergang vor¬
zubereiten, eine Verbindung herbeizuführen, ohne eine Vermischung, die beiden
heilen gleich verderblich sein würde, zu Wege zu bringen.

Mag Jeder in seinem Kreise darnach streben. Die Regierungen mögen
Kunst von Staatswegen im Namen, auf Kosten und mit Bewilligung der
Kationen und ihrer Vertreter fördern; sie mögen sich aber hüten, die Kunst hof-
^sig und dadurch hoffärtig zu machen. Der moderne Künstler lege den mo-


Grcuzbotm IV. 1859. 55
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[0445] einer kleinen Provinzialstadt! Wie muß es in Rom in dieser Hinsicht ausge¬ ben haben! Welcher Handwerker ist im Stande heutigen Tages das zu lei¬ sten, was hier Sklavenhände geschaffen haben; welcher Künstler würde sich' d"zu verstehen, so Etwas auszuführen und um welchen Preis! Hier ist eine Kluft auszufüllen. Ich sollte meinen, es wäre ehrenvoller sür.den. welchen wahre Liebe zur Sache beseelt, in der Arbeitsjacke sein Brod redlich und reich- uch zu verdienen und dadurch den Kunstgeschmack verbessern zu helfen, als un abgeschabten Sammtrock im thörichten Künstlerwahn vor der Staffelei zu verhungern. Man fange nur erst an und wage es; die öffentliche Meinung wird, wenn man Besseres leistet, bald sich ändern und die Nachfrage folgen, ^alt wird der geschmacklose Rokokoplunder verschwinden, der unsre Stu¬ benwände verstellt und entstellt, sobald nur Hände da sind, die Zierlicheres Und Sinnreicheres zu leisten im Stande sind. Noch schlechter als mit der Zimmermalerei ist es mit der Skulptur bestellt; wie sie zur Zeit in den Händen der Stukaturarbeiter ist. ist sie vollkommen unbrauchbar. Nur wenn uns die zeichnende Kunst wieder von allen Seiten umgiebt, kann sich das moderne Auge wieder daran gewöhnen, kahle Flächen überhaupt zu hassen und außer der Farbe auch die Form wieder zu lieben, zu achten. Der sinnreiche Grieche und Römer verzierte Alles, was er im Besitze hatte, figürlich und verzierte es passend und geschmackvoll. Die Darstellung stand mit dem Zweck des Gegenstandes selbst in einer geistigen Verbindung, ^icht anders verfuhr man in der Blüthezeit des Mittelalters. Wie armselig und dürftig nehmen sich dagegen unsre Hausgerüthe im Verhältniß zu denen jener Zeiten aus! So lange dieser Mangel moderner Anschauungsweise nicht beseitigt ist, kann von einer wahren und volksthümlichen Kunst auch keine Rede sein, ^cum unsre Kunst auch gerade keine Hofkunst ist, wie wir uns überzeugt ha-" ben. so ist sie bis zur Zeit wenigstens doch nur eine Kunst der höher Gebildeten, ^ne aristokratische Kunst gewesen. Der Beruf aber jeder wahren Kunst ist, Volkskunst im weitesten Sinne des Wortes zu sein. Soll die Kunst unsrer Zeit diesen Beruf erfüllen, so muß ein Entgegen¬ kommen von zwei Seiten stattfinden. Der Künstler muß sich dem Handwerker, "us dem er hervorgegangen ist, der Handwerker dem Künstler wieder annähern, ^'e Hauptausgabe der folgenden Periode wird es sein, diesen Uebergang vor¬ zubereiten, eine Verbindung herbeizuführen, ohne eine Vermischung, die beiden heilen gleich verderblich sein würde, zu Wege zu bringen. Mag Jeder in seinem Kreise darnach streben. Die Regierungen mögen Kunst von Staatswegen im Namen, auf Kosten und mit Bewilligung der Kationen und ihrer Vertreter fördern; sie mögen sich aber hüten, die Kunst hof- ^sig und dadurch hoffärtig zu machen. Der moderne Künstler lege den mo- Grcuzbotm IV. 1859. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/445>, abgerufen am 26.06.2024.