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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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werden, die sich der bloßen Heiligenmalerei und der Kirche in die Arme ge-
worfen haben, weil sie den Anforderungen derselben noch am ehesten genügen
zu können vermeinten. Tausende von Madonnen sind gemalt worden, sie
haben daher um so mehr Hoffnung, mit Hilfe jeuer noch eine oder die andere
zu Stande zu bringen. Geistreicher Motive bedarf es hier ja am wenigsten;
denn selig sind die geistig arm sind, sagt die Kirche, und was der Maler nicht
auszudrücken vermag durch seine Kunst, das interpretiren dem Gläubigen die
Symbole, die er täglich sieht und deshalb zur Noth uoch versteht; wir Un¬
gläubigen mögen zu dem Behuf dem Künstler zu Liebe Ikonographie treiben.
Schlimm genug, daß bedeutende Männer wie Overbeck. Heß, Schraudolvb
den Neigen dieser armseligen fanatischen Seelen anzuführen sich nicht ent¬
blödet haben. Bilder und Künstler der Art kann das Zeitalter des Verstandes
nicht weiter brauchen, so sehr es die Werke der Borzeit, welche diese Type"
schuf, nicht nachäffte, wie unsre Nazarener thu", zu schützen wissen wird.

Man befürchte deshalb nicht, daß die religiöse Malerei untergehen muß-
Was die heutige Kirche braucht, kann auch der heutige Künstler noch liefern;
nur soll er im Geiste der Neuzeit schaffen. Nur wo er restaurirt, soll und
muß er sich bemühen, in den Geist der Vorzeit sich zu vertiefen.

Der religiöse Geist der Neuzeit legt das Hauptgewicht auf das Wort und
die Erbauung durch das Wort; das unbestimmte religiöse Gefühl des Mittel-
alters ist ihm fremd geworden. Die religiöse Malerei der Neuzeit wird daher
etwa auf die Principien der altchristlichen zurückzugehen haben, die das Bild
zum Zweck der Belehrung, nicht zum Behuf der Anbetung in die Kirche auf¬
nahm, d. h. sie wird wieder Handlung und Verständniß in die Kirchenmalerei
zu bringen, die hergebrachten Stellungen, die Symbolik, die architektonische
Anordnung, zu entfernen haben. Die Archäologie und die Geschichte der Ma¬
lerei, nicht die Malerei selbst, hat die Pflicht den historischen Werth dieser
Dinge zu erforschen und zu erhalten. Die ganze biblische Geschichte, die Legcnden-
geschichte mit ihren sinnreichen Erfindungen, die Reformationsgeschichte der
einzelnen christlichen Bekenntnisse bieten dem Maler unserer Tage reichen und
dankbaren Stoff, durch dessen Bearbeitung er auch das Auge der s. g- Un¬
gläubigen noch fesseln und das Herz dieser verlorenen Seelen noch erbauen kann.

Ein Gebiet, das wir bis jetzt gänzlich übergangen haben, und dem eine
große Zukunft noch bevorsteht, ist die Dekorationsmalerei und DekorationZ-
stulptur. Beide befinden sich bis jetzt in einer wahrhaft unglaublichen Ro¬
heit und Vernachlässigung. Leer und kahl gähnen uns theilweise wenigstens
deshalb die Znmnerwände selbst der reicheren Leute entgegen. Das war in
Zeiten einer wahren Kunstblüthe anders. Man durchwandre die Zimmer und
BerathungMIe unsrer Vorfahren im Mittelalter oder versetze sich im Aelst
in die Ruinen Pompejis. Welche künstlerische Pracht hier in den Wohnstätten


werden, die sich der bloßen Heiligenmalerei und der Kirche in die Arme ge-
worfen haben, weil sie den Anforderungen derselben noch am ehesten genügen
zu können vermeinten. Tausende von Madonnen sind gemalt worden, sie
haben daher um so mehr Hoffnung, mit Hilfe jeuer noch eine oder die andere
zu Stande zu bringen. Geistreicher Motive bedarf es hier ja am wenigsten;
denn selig sind die geistig arm sind, sagt die Kirche, und was der Maler nicht
auszudrücken vermag durch seine Kunst, das interpretiren dem Gläubigen die
Symbole, die er täglich sieht und deshalb zur Noth uoch versteht; wir Un¬
gläubigen mögen zu dem Behuf dem Künstler zu Liebe Ikonographie treiben.
Schlimm genug, daß bedeutende Männer wie Overbeck. Heß, Schraudolvb
den Neigen dieser armseligen fanatischen Seelen anzuführen sich nicht ent¬
blödet haben. Bilder und Künstler der Art kann das Zeitalter des Verstandes
nicht weiter brauchen, so sehr es die Werke der Borzeit, welche diese Type"
schuf, nicht nachäffte, wie unsre Nazarener thu», zu schützen wissen wird.

Man befürchte deshalb nicht, daß die religiöse Malerei untergehen muß-
Was die heutige Kirche braucht, kann auch der heutige Künstler noch liefern;
nur soll er im Geiste der Neuzeit schaffen. Nur wo er restaurirt, soll und
muß er sich bemühen, in den Geist der Vorzeit sich zu vertiefen.

Der religiöse Geist der Neuzeit legt das Hauptgewicht auf das Wort und
die Erbauung durch das Wort; das unbestimmte religiöse Gefühl des Mittel-
alters ist ihm fremd geworden. Die religiöse Malerei der Neuzeit wird daher
etwa auf die Principien der altchristlichen zurückzugehen haben, die das Bild
zum Zweck der Belehrung, nicht zum Behuf der Anbetung in die Kirche auf¬
nahm, d. h. sie wird wieder Handlung und Verständniß in die Kirchenmalerei
zu bringen, die hergebrachten Stellungen, die Symbolik, die architektonische
Anordnung, zu entfernen haben. Die Archäologie und die Geschichte der Ma¬
lerei, nicht die Malerei selbst, hat die Pflicht den historischen Werth dieser
Dinge zu erforschen und zu erhalten. Die ganze biblische Geschichte, die Legcnden-
geschichte mit ihren sinnreichen Erfindungen, die Reformationsgeschichte der
einzelnen christlichen Bekenntnisse bieten dem Maler unserer Tage reichen und
dankbaren Stoff, durch dessen Bearbeitung er auch das Auge der s. g- Un¬
gläubigen noch fesseln und das Herz dieser verlorenen Seelen noch erbauen kann.

Ein Gebiet, das wir bis jetzt gänzlich übergangen haben, und dem eine
große Zukunft noch bevorsteht, ist die Dekorationsmalerei und DekorationZ-
stulptur. Beide befinden sich bis jetzt in einer wahrhaft unglaublichen Ro¬
heit und Vernachlässigung. Leer und kahl gähnen uns theilweise wenigstens
deshalb die Znmnerwände selbst der reicheren Leute entgegen. Das war in
Zeiten einer wahren Kunstblüthe anders. Man durchwandre die Zimmer und
BerathungMIe unsrer Vorfahren im Mittelalter oder versetze sich im Aelst
in die Ruinen Pompejis. Welche künstlerische Pracht hier in den Wohnstätten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/444>, abgerufen am 26.06.2024.