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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Fassen wir in wenigen Worten zusammen, was wir so eben im Einzelnen
erörtert haben, so müssen wir hageln Die Maler- und Bildnerkunst unsrer
Tage hat in dem höchsten ihrer Aufgabe, in Komposition, Zeichnung und
Naturwahrheit des Ausdrucks einen ungeahnt raschen Aufschwung genommen,
in dem Beiwerk hat sie noch vieles zu erreichen. Mag sie es thun, ohne den
höheren Vorwurf der Kunst deshalb aus dem Auge zu verlieren. Was man
ihr von Realismus und Idealismus der Auffassung vorredet, werfe sie, wie
unsre Zeit die philosophische Phrase überhaupt, bei Seite und für das bloße
Wort, suche sie nach den, Begriff und dem Wesen.

Weniger günstig dürste unser Urtheil über die Baukunst und die Bau¬
künstler ausfallen. Der Architektur klebt ihrem Wesen nach etwas Bodcnschwcre
an. Mit der Masse und durch die Masse selbst muß sie wirken. Hat sich die
Materie für den Maler zum bloßen Schein verflüchtigt und ist für den Bild¬
ner einzig und allein die Oberfläche derselben noch von Bedeutung; so kann
der Baumeister dagegen das Material mit allen seinen Forderungen nie los¬
werden. Die Linie, die Oberfläche macht ihm nicht weniger Sorge, als das
Gewicht der Massen; selbst die Farbe darf er nicht gänzlich aus dem Auge ver¬
lieren. Allem zusammen muß er genügen. Trägt er nur Einem oder dein
Andern Rechnung, so ist sein Werk trotz einzelner Schönheiten unvollendet
und unvollkommen.

Der Maler und der Bildhauer schaffen sich einen subjektiven Stil, wenn ihre
Zeit, wie die unsrige. Ursache hat über objektiven Stilmangel zu klagen; acht
so der Architekt. Er muß den Gedanken seiner Zeit veranschaulichen, sonst
versteht ihn Niemand. Die Baukunst bedarf daher Jahrhunderte langer Vor¬
arbeit, ehe sie fähig ist, sich irgend einer Stilvollkommenheit zu rühmen.

Aus dem willkürlichen Machwerk der Zopfzeit konnte der neuere Künstler
nicht fortbauen. Daher griff der eine Theil der Architekten, wie Schinkel und
Klenze, vorzugsweise nach den Formen des Altherthums, der eine mit. der
andre ohne Glück und Geist. Schinkels Bauten werden jedem nachkommen¬
den Geschlecht, es mag einschlagen welche Bahn es will, Achtung abgewinnen.
An Klenzes Bauten wird die Zukunft nur den guten Willen anzuerkennen
haben.

, Andere Künstler wiederum glaubten in der älteren christlichen Kunst den
Ausgangspunkt gefunden zu haben. Sie bauten daher im Rundbogenstile-
Wie Ziebland griffen sie nach der ältesten christlichen Bauweise oder ginge"
wie Gärtner von den späteren italienischen Formen dieses Stils aus, oder
vertieften sich wie Haase in die deutschmittelalterlichen Gestaltungen desselben-
¬

Die Uebrigen wandten sich lieber unmittelbar dem Höhepunkt der christ
lichen Baukunst, dein gothischen Stil, zu. Schon Schinkel that, voran wie
immer, den ersten Schritt, wenn auch dießmal mit entschiedenem Unglück-


Fassen wir in wenigen Worten zusammen, was wir so eben im Einzelnen
erörtert haben, so müssen wir hageln Die Maler- und Bildnerkunst unsrer
Tage hat in dem höchsten ihrer Aufgabe, in Komposition, Zeichnung und
Naturwahrheit des Ausdrucks einen ungeahnt raschen Aufschwung genommen,
in dem Beiwerk hat sie noch vieles zu erreichen. Mag sie es thun, ohne den
höheren Vorwurf der Kunst deshalb aus dem Auge zu verlieren. Was man
ihr von Realismus und Idealismus der Auffassung vorredet, werfe sie, wie
unsre Zeit die philosophische Phrase überhaupt, bei Seite und für das bloße
Wort, suche sie nach den, Begriff und dem Wesen.

Weniger günstig dürste unser Urtheil über die Baukunst und die Bau¬
künstler ausfallen. Der Architektur klebt ihrem Wesen nach etwas Bodcnschwcre
an. Mit der Masse und durch die Masse selbst muß sie wirken. Hat sich die
Materie für den Maler zum bloßen Schein verflüchtigt und ist für den Bild¬
ner einzig und allein die Oberfläche derselben noch von Bedeutung; so kann
der Baumeister dagegen das Material mit allen seinen Forderungen nie los¬
werden. Die Linie, die Oberfläche macht ihm nicht weniger Sorge, als das
Gewicht der Massen; selbst die Farbe darf er nicht gänzlich aus dem Auge ver¬
lieren. Allem zusammen muß er genügen. Trägt er nur Einem oder dein
Andern Rechnung, so ist sein Werk trotz einzelner Schönheiten unvollendet
und unvollkommen.

Der Maler und der Bildhauer schaffen sich einen subjektiven Stil, wenn ihre
Zeit, wie die unsrige. Ursache hat über objektiven Stilmangel zu klagen; acht
so der Architekt. Er muß den Gedanken seiner Zeit veranschaulichen, sonst
versteht ihn Niemand. Die Baukunst bedarf daher Jahrhunderte langer Vor¬
arbeit, ehe sie fähig ist, sich irgend einer Stilvollkommenheit zu rühmen.

Aus dem willkürlichen Machwerk der Zopfzeit konnte der neuere Künstler
nicht fortbauen. Daher griff der eine Theil der Architekten, wie Schinkel und
Klenze, vorzugsweise nach den Formen des Altherthums, der eine mit. der
andre ohne Glück und Geist. Schinkels Bauten werden jedem nachkommen¬
den Geschlecht, es mag einschlagen welche Bahn es will, Achtung abgewinnen.
An Klenzes Bauten wird die Zukunft nur den guten Willen anzuerkennen
haben.

, Andere Künstler wiederum glaubten in der älteren christlichen Kunst den
Ausgangspunkt gefunden zu haben. Sie bauten daher im Rundbogenstile-
Wie Ziebland griffen sie nach der ältesten christlichen Bauweise oder ginge"
wie Gärtner von den späteren italienischen Formen dieses Stils aus, oder
vertieften sich wie Haase in die deutschmittelalterlichen Gestaltungen desselben-
¬

Die Uebrigen wandten sich lieber unmittelbar dem Höhepunkt der christ
lichen Baukunst, dein gothischen Stil, zu. Schon Schinkel that, voran wie
immer, den ersten Schritt, wenn auch dießmal mit entschiedenem Unglück-


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[0438] Fassen wir in wenigen Worten zusammen, was wir so eben im Einzelnen erörtert haben, so müssen wir hageln Die Maler- und Bildnerkunst unsrer Tage hat in dem höchsten ihrer Aufgabe, in Komposition, Zeichnung und Naturwahrheit des Ausdrucks einen ungeahnt raschen Aufschwung genommen, in dem Beiwerk hat sie noch vieles zu erreichen. Mag sie es thun, ohne den höheren Vorwurf der Kunst deshalb aus dem Auge zu verlieren. Was man ihr von Realismus und Idealismus der Auffassung vorredet, werfe sie, wie unsre Zeit die philosophische Phrase überhaupt, bei Seite und für das bloße Wort, suche sie nach den, Begriff und dem Wesen. Weniger günstig dürste unser Urtheil über die Baukunst und die Bau¬ künstler ausfallen. Der Architektur klebt ihrem Wesen nach etwas Bodcnschwcre an. Mit der Masse und durch die Masse selbst muß sie wirken. Hat sich die Materie für den Maler zum bloßen Schein verflüchtigt und ist für den Bild¬ ner einzig und allein die Oberfläche derselben noch von Bedeutung; so kann der Baumeister dagegen das Material mit allen seinen Forderungen nie los¬ werden. Die Linie, die Oberfläche macht ihm nicht weniger Sorge, als das Gewicht der Massen; selbst die Farbe darf er nicht gänzlich aus dem Auge ver¬ lieren. Allem zusammen muß er genügen. Trägt er nur Einem oder dein Andern Rechnung, so ist sein Werk trotz einzelner Schönheiten unvollendet und unvollkommen. Der Maler und der Bildhauer schaffen sich einen subjektiven Stil, wenn ihre Zeit, wie die unsrige. Ursache hat über objektiven Stilmangel zu klagen; acht so der Architekt. Er muß den Gedanken seiner Zeit veranschaulichen, sonst versteht ihn Niemand. Die Baukunst bedarf daher Jahrhunderte langer Vor¬ arbeit, ehe sie fähig ist, sich irgend einer Stilvollkommenheit zu rühmen. Aus dem willkürlichen Machwerk der Zopfzeit konnte der neuere Künstler nicht fortbauen. Daher griff der eine Theil der Architekten, wie Schinkel und Klenze, vorzugsweise nach den Formen des Altherthums, der eine mit. der andre ohne Glück und Geist. Schinkels Bauten werden jedem nachkommen¬ den Geschlecht, es mag einschlagen welche Bahn es will, Achtung abgewinnen. An Klenzes Bauten wird die Zukunft nur den guten Willen anzuerkennen haben. , Andere Künstler wiederum glaubten in der älteren christlichen Kunst den Ausgangspunkt gefunden zu haben. Sie bauten daher im Rundbogenstile- Wie Ziebland griffen sie nach der ältesten christlichen Bauweise oder ginge" wie Gärtner von den späteren italienischen Formen dieses Stils aus, oder vertieften sich wie Haase in die deutschmittelalterlichen Gestaltungen desselben- ¬ Die Uebrigen wandten sich lieber unmittelbar dem Höhepunkt der christ lichen Baukunst, dein gothischen Stil, zu. Schon Schinkel that, voran wie immer, den ersten Schritt, wenn auch dießmal mit entschiedenem Unglück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/438>, abgerufen am 26.06.2024.