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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Stellung und Ausgabe der bildenden Kunst der Gegenwart.

Mag man von dem Höhepunkt, welchen die bildende Kunst in unserm Jahr¬
hundert erstiegen hat, denken wie man will, gewiß ist, daß die Erzeugnisse
^'s vorigen Jahrhunderts mit denen des unsrigen sich in keiner Hinsicht mes¬
se" können. Selbst das Aeußerlichste, die Technik, welche jeder sinkenden
Kunst noch am längsten treu bleibt, ja, nicht selten ihre höchste Ausbildung
erst dann erreicht, wenn es bereits bergab geht, hat wenigstens bei den klei-
"erer Meistern unsrer Tage eine Vollkommenheit gewonnen, wie sie die vor¬
hergehende Periode nicht kannte.

Wer kann, um von den allgemein zugestandenen Vorzügen der Zeichnung
und Komposition der bildenden Künstler unsrer Tage im Verhältniß zu denen
des vorigen Jahrhunderts zu schweigen, die Maler der Düsseldorfer Schule
der Vernachlässigung des Kolorits zeihen? Wer nicht in die gleißnerische Glätte
belgisch-französischer Pinselführung vernarrt ist, gewiß nicht! Den Düsscl-
dvrfern stehen hierin, so weit sie in andern Dingen dieselben noch übertreffen,
die heutigen Landschaftsmaler Münchens kaum nach.

Was thut es nun, daß die Färbung unsres Altmeisters Cornelius uns ab¬
stößt und die seines großen Schülers Kaulbach uns wenigstens nicht anzieht?
wissen wir doch Alle' daß dafür bei dem ersteren der Born der Erfindungs¬
gabe unerschöpflich fließt und daß der Witz und Geist des letztern uns für
d>e Vernachlässigung des Pinsels hinlänglich entschädigen. War doch selbst
^nplmcl eben nichts weniger als ein glücklicher Kolorist und hat Michel-Angelos
Geißel bekanntlich so manchen Marmorblock verdorben, der, unter zahmeren
"ud geübteren Händen vollendet, uns doch um kein Haar mehr erfreut haben
^urbe, als seine unvollendete Madonna und seine Pieta.

So sehr wir überdies; Ursache haben den Mangel in technischer Hinsicht
^i manchen Künstlern unsrer Tage zuzugestehen, so vergesse man doch nicht,
daß wir auch Meister besitzen, die selbst darin Unübertreffliches leisteten. Ein
^"k wie Nosenseiders Uebergabe der Marienburg gehört nicht nur in Kom¬
position und Zeichnung, sondern auch in der Ausführung zu dem Bedeutend¬
en, was je geschaffen worden ist; ja, letztere dürste für ein historisches Bild
vielleicht schon zu vollendet, d. h. zu glatt für die Würde des Gegenstandes
>°in. Was Piloty in München in der Farbe vermag, darf ich als bekannt
^'aussetzen.

Wer kann ferner gegen Rauchs und seiner bedeutenderen Schüler Meißel-
führung irgend begründete Einwendungen erheben, wenn er auch nut Recht
^ älteren Werke der Münchner noch einer gewissen Schwerfälligkeit zeihen darf?


Grenzboten IV. 1859. ^
Stellung und Ausgabe der bildenden Kunst der Gegenwart.

Mag man von dem Höhepunkt, welchen die bildende Kunst in unserm Jahr¬
hundert erstiegen hat, denken wie man will, gewiß ist, daß die Erzeugnisse
^'s vorigen Jahrhunderts mit denen des unsrigen sich in keiner Hinsicht mes¬
se" können. Selbst das Aeußerlichste, die Technik, welche jeder sinkenden
Kunst noch am längsten treu bleibt, ja, nicht selten ihre höchste Ausbildung
erst dann erreicht, wenn es bereits bergab geht, hat wenigstens bei den klei-
"erer Meistern unsrer Tage eine Vollkommenheit gewonnen, wie sie die vor¬
hergehende Periode nicht kannte.

Wer kann, um von den allgemein zugestandenen Vorzügen der Zeichnung
und Komposition der bildenden Künstler unsrer Tage im Verhältniß zu denen
des vorigen Jahrhunderts zu schweigen, die Maler der Düsseldorfer Schule
der Vernachlässigung des Kolorits zeihen? Wer nicht in die gleißnerische Glätte
belgisch-französischer Pinselführung vernarrt ist, gewiß nicht! Den Düsscl-
dvrfern stehen hierin, so weit sie in andern Dingen dieselben noch übertreffen,
die heutigen Landschaftsmaler Münchens kaum nach.

Was thut es nun, daß die Färbung unsres Altmeisters Cornelius uns ab¬
stößt und die seines großen Schülers Kaulbach uns wenigstens nicht anzieht?
wissen wir doch Alle' daß dafür bei dem ersteren der Born der Erfindungs¬
gabe unerschöpflich fließt und daß der Witz und Geist des letztern uns für
d>e Vernachlässigung des Pinsels hinlänglich entschädigen. War doch selbst
^nplmcl eben nichts weniger als ein glücklicher Kolorist und hat Michel-Angelos
Geißel bekanntlich so manchen Marmorblock verdorben, der, unter zahmeren
"ud geübteren Händen vollendet, uns doch um kein Haar mehr erfreut haben
^urbe, als seine unvollendete Madonna und seine Pieta.

So sehr wir überdies; Ursache haben den Mangel in technischer Hinsicht
^i manchen Künstlern unsrer Tage zuzugestehen, so vergesse man doch nicht,
daß wir auch Meister besitzen, die selbst darin Unübertreffliches leisteten. Ein
^"k wie Nosenseiders Uebergabe der Marienburg gehört nicht nur in Kom¬
position und Zeichnung, sondern auch in der Ausführung zu dem Bedeutend¬
en, was je geschaffen worden ist; ja, letztere dürste für ein historisches Bild
vielleicht schon zu vollendet, d. h. zu glatt für die Würde des Gegenstandes
>°in. Was Piloty in München in der Farbe vermag, darf ich als bekannt
^'aussetzen.

Wer kann ferner gegen Rauchs und seiner bedeutenderen Schüler Meißel-
führung irgend begründete Einwendungen erheben, wenn er auch nut Recht
^ älteren Werke der Münchner noch einer gewissen Schwerfälligkeit zeihen darf?


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[0437] Stellung und Ausgabe der bildenden Kunst der Gegenwart. Mag man von dem Höhepunkt, welchen die bildende Kunst in unserm Jahr¬ hundert erstiegen hat, denken wie man will, gewiß ist, daß die Erzeugnisse ^'s vorigen Jahrhunderts mit denen des unsrigen sich in keiner Hinsicht mes¬ se" können. Selbst das Aeußerlichste, die Technik, welche jeder sinkenden Kunst noch am längsten treu bleibt, ja, nicht selten ihre höchste Ausbildung erst dann erreicht, wenn es bereits bergab geht, hat wenigstens bei den klei- "erer Meistern unsrer Tage eine Vollkommenheit gewonnen, wie sie die vor¬ hergehende Periode nicht kannte. Wer kann, um von den allgemein zugestandenen Vorzügen der Zeichnung und Komposition der bildenden Künstler unsrer Tage im Verhältniß zu denen des vorigen Jahrhunderts zu schweigen, die Maler der Düsseldorfer Schule der Vernachlässigung des Kolorits zeihen? Wer nicht in die gleißnerische Glätte belgisch-französischer Pinselführung vernarrt ist, gewiß nicht! Den Düsscl- dvrfern stehen hierin, so weit sie in andern Dingen dieselben noch übertreffen, die heutigen Landschaftsmaler Münchens kaum nach. Was thut es nun, daß die Färbung unsres Altmeisters Cornelius uns ab¬ stößt und die seines großen Schülers Kaulbach uns wenigstens nicht anzieht? wissen wir doch Alle' daß dafür bei dem ersteren der Born der Erfindungs¬ gabe unerschöpflich fließt und daß der Witz und Geist des letztern uns für d>e Vernachlässigung des Pinsels hinlänglich entschädigen. War doch selbst ^nplmcl eben nichts weniger als ein glücklicher Kolorist und hat Michel-Angelos Geißel bekanntlich so manchen Marmorblock verdorben, der, unter zahmeren "ud geübteren Händen vollendet, uns doch um kein Haar mehr erfreut haben ^urbe, als seine unvollendete Madonna und seine Pieta. So sehr wir überdies; Ursache haben den Mangel in technischer Hinsicht ^i manchen Künstlern unsrer Tage zuzugestehen, so vergesse man doch nicht, daß wir auch Meister besitzen, die selbst darin Unübertreffliches leisteten. Ein ^"k wie Nosenseiders Uebergabe der Marienburg gehört nicht nur in Kom¬ position und Zeichnung, sondern auch in der Ausführung zu dem Bedeutend¬ en, was je geschaffen worden ist; ja, letztere dürste für ein historisches Bild vielleicht schon zu vollendet, d. h. zu glatt für die Würde des Gegenstandes >°in. Was Piloty in München in der Farbe vermag, darf ich als bekannt ^'aussetzen. Wer kann ferner gegen Rauchs und seiner bedeutenderen Schüler Meißel- führung irgend begründete Einwendungen erheben, wenn er auch nut Recht ^ älteren Werke der Münchner noch einer gewissen Schwerfälligkeit zeihen darf? Grenzboten IV. 1859. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/437>, abgerufen am 26.06.2024.