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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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müßte die verfügbare Streitmacht aus Antwerpen vorbrechen. Sie hätte da¬
bei zweierlei im Auge zu behalten: den Feind nicht zur Ruhe kommen zu lassen,
sein Zurückweichen durch wiederholte Ausfälle zu verzögern, und selbst die Ver¬
bindung mit der preußischen Entsatzarmcc so schnell als möglich herzustellen.
Beides läßt sich sehr gut durch dieselbe Operation erreichen. Die englisch-
niederländische Armee würde nämlich dem Feinde nun ein starkes Detachenient
direcr im Rücken folgen lassen; mit der Hauptmacht aber so manövriren, daß
sie östlich von dem zurückgehenden Feinde zu stehen käme, mit der Intention,
je nach der Haltung, welche der Feind zeigt, sich entweder der preußischen
Armee zu nähern oder, vor dem weichenden Feinde vorbeigehend (Verfolgung
der Russen 1812), sich seiner Spitze seitwärts in den Weg zu legen. Wenn der
zweite von uns erwähnte Fall einträte, daß nämlich die Belgier, statt "us
Antwerpen beim ersten Angriff der Franzose" von der Südgrenze her sich
auf Lüttich zurückzögen, um sofort die Vereinigung mit der preußischen
Armee zu suchen; so könnten die Franzosen ganz gleich operiren, wie es oben
entwickelt worden ist. Doch wäre dies nicht absolut nöthig. Antwerpen hat
nämlich nunmehr eine um Vieles geringere Besatzung als im vorigen Fall;
diese ließe sich von einem viel geringeren französischen Beobachtungscorps im
Schach halten als die frühere, und die Franzosen könnten nun theils darauf,
theils auf den Umstand speculiren. daß die preußische Armee noch nicht völlig
gesammelt und schlagfertig sei, um den Belgiern über die Maas hinaus z"
folgen und so den Krieg unmittelbar an die Rheinlinie zu tragen. Angenom¬
men, die preußische Armee wäre zu dieser Zeit noch nicht in der vollen Stärke
am Rhein versammelt, in welcher sie hier erscheinen soll und kann, so wäre
doch ein offensives Vorgehen derselben zur Aufnahme der Belgier rathsam. Ab¬
gesehen von dem Eindrucke, welchen immer ein unerwartet erscheinender Geg¬
ner hervorzubringen pflegt, wäre es auch gar nicht wahrscheinlich, daß die preu¬
ßische Armee wenigstens einen großen Einzelschlag gegen die Franzosen trotz
ihrer UnVollständigkeit gewänne, weil anzunehmen ist. daß die Franzosen theils
um den Belgiern schnell zu folgen und sie leichter aus dem Lande werfen zu kön¬
nen, theils zur Vorsicht gegen die Nahegegend hin in mehreren ziemlich weit
getrennten Colonnen vorgingen. Außerdem aber könnte selbst eine Schlappe
so wenig sie zum Anfang der Operationen wünschenswert!) ist. den auf In>'es
und Cöln nahe gestützten Preußen mindestens keinen erheblichen materiellen
Schaden bringen. Es ergibt sich aber hier recht deutlich aus den berührte"
Umständen für die Preußen die Nothwendigkeit ihre Armee von vornherein
auf einen Punkt zu concentriren. Denn die Fälle kann sich jeder leicht denken,
in denen es zwar thunlich ist, heute mit 100.000 M.. wenn man sie wirklich
unter der Hand hat. einen Schlag mit Aussicht auf Erfolg zu thun, aber
nicht mehr thunlich in acht Tagen diesen Schlag selbst mit 150,000 M- ^


müßte die verfügbare Streitmacht aus Antwerpen vorbrechen. Sie hätte da¬
bei zweierlei im Auge zu behalten: den Feind nicht zur Ruhe kommen zu lassen,
sein Zurückweichen durch wiederholte Ausfälle zu verzögern, und selbst die Ver¬
bindung mit der preußischen Entsatzarmcc so schnell als möglich herzustellen.
Beides läßt sich sehr gut durch dieselbe Operation erreichen. Die englisch-
niederländische Armee würde nämlich dem Feinde nun ein starkes Detachenient
direcr im Rücken folgen lassen; mit der Hauptmacht aber so manövriren, daß
sie östlich von dem zurückgehenden Feinde zu stehen käme, mit der Intention,
je nach der Haltung, welche der Feind zeigt, sich entweder der preußischen
Armee zu nähern oder, vor dem weichenden Feinde vorbeigehend (Verfolgung
der Russen 1812), sich seiner Spitze seitwärts in den Weg zu legen. Wenn der
zweite von uns erwähnte Fall einträte, daß nämlich die Belgier, statt »us
Antwerpen beim ersten Angriff der Franzose» von der Südgrenze her sich
auf Lüttich zurückzögen, um sofort die Vereinigung mit der preußischen
Armee zu suchen; so könnten die Franzosen ganz gleich operiren, wie es oben
entwickelt worden ist. Doch wäre dies nicht absolut nöthig. Antwerpen hat
nämlich nunmehr eine um Vieles geringere Besatzung als im vorigen Fall;
diese ließe sich von einem viel geringeren französischen Beobachtungscorps im
Schach halten als die frühere, und die Franzosen könnten nun theils darauf,
theils auf den Umstand speculiren. daß die preußische Armee noch nicht völlig
gesammelt und schlagfertig sei, um den Belgiern über die Maas hinaus z»
folgen und so den Krieg unmittelbar an die Rheinlinie zu tragen. Angenom¬
men, die preußische Armee wäre zu dieser Zeit noch nicht in der vollen Stärke
am Rhein versammelt, in welcher sie hier erscheinen soll und kann, so wäre
doch ein offensives Vorgehen derselben zur Aufnahme der Belgier rathsam. Ab¬
gesehen von dem Eindrucke, welchen immer ein unerwartet erscheinender Geg¬
ner hervorzubringen pflegt, wäre es auch gar nicht wahrscheinlich, daß die preu¬
ßische Armee wenigstens einen großen Einzelschlag gegen die Franzosen trotz
ihrer UnVollständigkeit gewänne, weil anzunehmen ist. daß die Franzosen theils
um den Belgiern schnell zu folgen und sie leichter aus dem Lande werfen zu kön¬
nen, theils zur Vorsicht gegen die Nahegegend hin in mehreren ziemlich weit
getrennten Colonnen vorgingen. Außerdem aber könnte selbst eine Schlappe
so wenig sie zum Anfang der Operationen wünschenswert!) ist. den auf In>'es
und Cöln nahe gestützten Preußen mindestens keinen erheblichen materiellen
Schaden bringen. Es ergibt sich aber hier recht deutlich aus den berührte»
Umständen für die Preußen die Nothwendigkeit ihre Armee von vornherein
auf einen Punkt zu concentriren. Denn die Fälle kann sich jeder leicht denken,
in denen es zwar thunlich ist, heute mit 100.000 M.. wenn man sie wirklich
unter der Hand hat. einen Schlag mit Aussicht auf Erfolg zu thun, aber
nicht mehr thunlich in acht Tagen diesen Schlag selbst mit 150,000 M- ^


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[0428] müßte die verfügbare Streitmacht aus Antwerpen vorbrechen. Sie hätte da¬ bei zweierlei im Auge zu behalten: den Feind nicht zur Ruhe kommen zu lassen, sein Zurückweichen durch wiederholte Ausfälle zu verzögern, und selbst die Ver¬ bindung mit der preußischen Entsatzarmcc so schnell als möglich herzustellen. Beides läßt sich sehr gut durch dieselbe Operation erreichen. Die englisch- niederländische Armee würde nämlich dem Feinde nun ein starkes Detachenient direcr im Rücken folgen lassen; mit der Hauptmacht aber so manövriren, daß sie östlich von dem zurückgehenden Feinde zu stehen käme, mit der Intention, je nach der Haltung, welche der Feind zeigt, sich entweder der preußischen Armee zu nähern oder, vor dem weichenden Feinde vorbeigehend (Verfolgung der Russen 1812), sich seiner Spitze seitwärts in den Weg zu legen. Wenn der zweite von uns erwähnte Fall einträte, daß nämlich die Belgier, statt »us Antwerpen beim ersten Angriff der Franzose» von der Südgrenze her sich auf Lüttich zurückzögen, um sofort die Vereinigung mit der preußischen Armee zu suchen; so könnten die Franzosen ganz gleich operiren, wie es oben entwickelt worden ist. Doch wäre dies nicht absolut nöthig. Antwerpen hat nämlich nunmehr eine um Vieles geringere Besatzung als im vorigen Fall; diese ließe sich von einem viel geringeren französischen Beobachtungscorps im Schach halten als die frühere, und die Franzosen könnten nun theils darauf, theils auf den Umstand speculiren. daß die preußische Armee noch nicht völlig gesammelt und schlagfertig sei, um den Belgiern über die Maas hinaus z» folgen und so den Krieg unmittelbar an die Rheinlinie zu tragen. Angenom¬ men, die preußische Armee wäre zu dieser Zeit noch nicht in der vollen Stärke am Rhein versammelt, in welcher sie hier erscheinen soll und kann, so wäre doch ein offensives Vorgehen derselben zur Aufnahme der Belgier rathsam. Ab¬ gesehen von dem Eindrucke, welchen immer ein unerwartet erscheinender Geg¬ ner hervorzubringen pflegt, wäre es auch gar nicht wahrscheinlich, daß die preu¬ ßische Armee wenigstens einen großen Einzelschlag gegen die Franzosen trotz ihrer UnVollständigkeit gewänne, weil anzunehmen ist. daß die Franzosen theils um den Belgiern schnell zu folgen und sie leichter aus dem Lande werfen zu kön¬ nen, theils zur Vorsicht gegen die Nahegegend hin in mehreren ziemlich weit getrennten Colonnen vorgingen. Außerdem aber könnte selbst eine Schlappe so wenig sie zum Anfang der Operationen wünschenswert!) ist. den auf In>'es und Cöln nahe gestützten Preußen mindestens keinen erheblichen materiellen Schaden bringen. Es ergibt sich aber hier recht deutlich aus den berührte» Umständen für die Preußen die Nothwendigkeit ihre Armee von vornherein auf einen Punkt zu concentriren. Denn die Fälle kann sich jeder leicht denken, in denen es zwar thunlich ist, heute mit 100.000 M.. wenn man sie wirklich unter der Hand hat. einen Schlag mit Aussicht auf Erfolg zu thun, aber nicht mehr thunlich in acht Tagen diesen Schlag selbst mit 150,000 M- ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/428>, abgerufen am 26.06.2024.