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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ficht haben, ihren Consistorialis anzugrunzen (nach der Sitte des parlamenta¬
rischen Englands), ihre Gründe, weshalb sie den Ausführungen des Gutachtens
gegenüber die Kirchenordnung von 1566 für lutherisch halten. Es sind meist
die schon vorgebrachten, doch auch mit einigen neuen vermehrt, und der aus¬
fallenden Erscheinung zu Ehren, daß alle 23. gewiß ohne fremde Hilfe, in
ihren Studien zu einem so übereinstimmenden Resultat gelangt sind, da doch
die Gelehrsamkeit sonst nicht unter die Eigenschaften geHort, durch die sie im
Lande bekannt sind, wollen wir darauf im Einzelnen eingehen. Sie sind zu¬
nächst auf den großartigen Einfall gerathen, dem Hyperius die Verfasserschaft
der Kirchenordnung von 1566 zu bestreiten .... ja unsere Gelehrten zu Specks¬
winkel u. s. w. versteigen sich noch höher: sie machen sogar einen bestimmten
Verfasser der Agende ausfindig; sie geben zu verstehen, es sei Pistorius, denn
"der Styl der Agende erinnert an Pistorius." Es bildet eine der schwierigsten
Aufgaben der Kritik, für ein namenloses Werk blos aus dem Styl den Ver¬
sasser zu ermitteln, vor allen Dingen für liturgische Formulare, deren Styl
sich überall ähnlich ist; um eine solche Ausgabe zu lösen, ist außer der kriti¬
schen Befähigung eine vollständige Vertrautheit mit den Eigenthümlichkeiten
des Styls des fraglichen Buchs und des zu errathenden Verfassers. wie sie
uns das sorgfältigste Studium gibt, erforderlich; eine solche Kritik läßt sich
Nicht in Compagniecolonnen ausüben. Die 23 Aristarche aber werden sämmt¬
lich durch die ihnen gewiß sehr genau bekannte alte Agende an den Styl des
Pistorius erinnert. Gesetzt nun wir fragten sie auf ihr Gewissen, ob sie die
Werke des Pistorius, an die sie die Agende erinnert, nicht blos gelesen, ob
sie sie auch gründlich genug studirt. um eine solche Behauptung wagen zu
können, und es schallte uns aus den 23 Kehlen unisono ein glaubcnsfreudiges
Ja entgegen, so würden wir ihnen sagen müssen, daß außer einigen hin und
wieder gedruckten Briefen Pistorius -- gar keine Werke hinterlassen hat."
S. 59 und 61.

Allein was hilft das Alles? Mag die historische Wahrheit durch Gilde-
Geister noch so unwiderleglich dargethan sein, ist die Lauge, mit der er ihre
Gegner Übergossen hat. noch so ätzend, mögen die Gemeinden in Kassel mit ihren
Geistlichen noch so überworfen sein und eine Bittschrift um die andere für Ent¬
fernung derselben einreichen, -- es bleibt alles beim Alten. Denn noch im-
'ner sind die Leute, die Vilmar um die Spitze des Eonsistorimns gestellt hat,
Amt und Würde und das Ministerium Ab6e vou Vilmar in kirchlichen
Gingen noch abhängiger als, man möchte fast sagen, Hassenpflug selbst. So
^'ird denn die hessische Kirche von Leuten fortregiert, welche deren mit vielem
^inde erkaufte rechtliche Grundlage fortwährend in Frage zu stellen geneigt
f'ut und auf ihre Pfründen ein Recht zu haben glauben, nicht weil sie sie
ihren historischen Grundlagen schützen, sondern sie verleugnen.


ficht haben, ihren Consistorialis anzugrunzen (nach der Sitte des parlamenta¬
rischen Englands), ihre Gründe, weshalb sie den Ausführungen des Gutachtens
gegenüber die Kirchenordnung von 1566 für lutherisch halten. Es sind meist
die schon vorgebrachten, doch auch mit einigen neuen vermehrt, und der aus¬
fallenden Erscheinung zu Ehren, daß alle 23. gewiß ohne fremde Hilfe, in
ihren Studien zu einem so übereinstimmenden Resultat gelangt sind, da doch
die Gelehrsamkeit sonst nicht unter die Eigenschaften geHort, durch die sie im
Lande bekannt sind, wollen wir darauf im Einzelnen eingehen. Sie sind zu¬
nächst auf den großartigen Einfall gerathen, dem Hyperius die Verfasserschaft
der Kirchenordnung von 1566 zu bestreiten .... ja unsere Gelehrten zu Specks¬
winkel u. s. w. versteigen sich noch höher: sie machen sogar einen bestimmten
Verfasser der Agende ausfindig; sie geben zu verstehen, es sei Pistorius, denn
„der Styl der Agende erinnert an Pistorius." Es bildet eine der schwierigsten
Aufgaben der Kritik, für ein namenloses Werk blos aus dem Styl den Ver¬
sasser zu ermitteln, vor allen Dingen für liturgische Formulare, deren Styl
sich überall ähnlich ist; um eine solche Ausgabe zu lösen, ist außer der kriti¬
schen Befähigung eine vollständige Vertrautheit mit den Eigenthümlichkeiten
des Styls des fraglichen Buchs und des zu errathenden Verfassers. wie sie
uns das sorgfältigste Studium gibt, erforderlich; eine solche Kritik läßt sich
Nicht in Compagniecolonnen ausüben. Die 23 Aristarche aber werden sämmt¬
lich durch die ihnen gewiß sehr genau bekannte alte Agende an den Styl des
Pistorius erinnert. Gesetzt nun wir fragten sie auf ihr Gewissen, ob sie die
Werke des Pistorius, an die sie die Agende erinnert, nicht blos gelesen, ob
sie sie auch gründlich genug studirt. um eine solche Behauptung wagen zu
können, und es schallte uns aus den 23 Kehlen unisono ein glaubcnsfreudiges
Ja entgegen, so würden wir ihnen sagen müssen, daß außer einigen hin und
wieder gedruckten Briefen Pistorius — gar keine Werke hinterlassen hat."
S. 59 und 61.

Allein was hilft das Alles? Mag die historische Wahrheit durch Gilde-
Geister noch so unwiderleglich dargethan sein, ist die Lauge, mit der er ihre
Gegner Übergossen hat. noch so ätzend, mögen die Gemeinden in Kassel mit ihren
Geistlichen noch so überworfen sein und eine Bittschrift um die andere für Ent¬
fernung derselben einreichen, — es bleibt alles beim Alten. Denn noch im-
'ner sind die Leute, die Vilmar um die Spitze des Eonsistorimns gestellt hat,
Amt und Würde und das Ministerium Ab6e vou Vilmar in kirchlichen
Gingen noch abhängiger als, man möchte fast sagen, Hassenpflug selbst. So
^'ird denn die hessische Kirche von Leuten fortregiert, welche deren mit vielem
^inde erkaufte rechtliche Grundlage fortwährend in Frage zu stellen geneigt
f'ut und auf ihre Pfründen ein Recht zu haben glauben, nicht weil sie sie
ihren historischen Grundlagen schützen, sondern sie verleugnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/419>, abgerufen am 26.06.2024.