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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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augenblickliche Vortheil zu erheischen schien, daran fest, daß ein Geistlicher
nicht ohne seinen Willen von einer Stelle auf die andere versetzt werden könne,
aber Vilmar nahm es sich heraus, unter Beistimmung einer Anzahl Metro¬
politane einen Geistlichen einfach seines Amtes für verlustig zu erklären, und
nachdem dieses Synodaldecret die landesherrliche Bestätigung erhalten hatte,
denselben ohne irgend welche Pension zu entlassen. Als dieser seine Ent¬
lassung bei den ordentlichen Gerichten als eine widerrechtliche anfocht, wurde
er von dem Competenzhosc, einem Beglückungsinstitute, das Hessen auch Hasscn-
pflug verdankt, abgewiesen, "weil kein neueres Gesetz beabsichtigt habe, in
Fällen der Kirchendisciplin die höchste Entscheidung von dem Landesherrn auf
. ein Gericht zu übertragen."

Wenn Jemand über diese Entscheidung stutzen und meinen sollte, daß
doch durch sie dem Episcopat des Landesherrn Rechte zugesprochen würden,
die mit den Vilmarischen Bestrebungen, der hierarchisch geleiteten Kirche mög¬
lichst viel Selbstständigkeit dem Staate gegenüber zu erringen, schwer in Ein¬
klang zu bringen seien; so muß man sich erinnern, daß dieser Spruch gefällt
wurde, als Vilmar nicht mehr die kirchlichen Angelegenheiten in seiner Hand
hatte, sondern schon seit Jahren die Studirenden zu Marburg seine "Theologie
der Thatsachen erleben" ließ. Denn was Hassenpflug und Vilmar auf dem
politischen Gebiet erreicht hatten, die Vernichtung des Nechtsznstands. das
sollte ihnen auf dem kirchlichen wenigstens äußerlich nicht gelingen.

Eine Brochüre nach der andern sandte der unermüdliche Professor Heppe
gegen Vilmars Treiben in die Welt; und als Vilmar dennoch von den allzu¬
treuen Hütern des kirchlichen Bekenntnisses zum Superintendenten von Nieder¬
hessen gewählt worden war. so wurde derselbe an entscheidender Stelle nicht bestä¬
tigt. Hier hatte man noch die Traditionen der alten Landgrafen. ..sich die Pfaffen
nicht auf den Kopf steigen zu lassen." nicht vergessen. Mitgewirkt zu dieser
Entscheidung hatte das Gutachten der theologischen Facultnt zu Marburg, in
dem das gute Recht der reformirten Kirche eben so scharfsinnig und gelehrt,
als streng objectiv nachgewiesen war, und ein Votum des Kirchenrcchtslehrcrs
Richter in Berlin. Als Hassenpflug mit der Ernennung des Freundes nicht
durchdringen konnte, nahm er seine Entlassung und Vilmar wurde Professor
der Theologie in Marburg. Die Treubundspartei erging sich jetzt in Anklagen
über Fürstenundank, und die Allgemeine Zeitung glaubte sie damit trösten zu
'Nüssen, daß eine eoelesia xressa immer die besten Früchte gezeitigt habe.
Freilich war die hessische Kirche eine eoelssia, xrWsa. aber ihre Bedrücker ha¬
ben sich seit 1850 wahrlich nicht zu beschweren gehabt. Denn das Ministerium
Scheffer. das dem abgedankter folgte, war zwar weniger geneigt der Vilmar-
schin Partei bei ihren Reformplänen energischen Vorschub zu leisten, aber die
^Hänger des alten blieben doch in ihren einflußreichsten kirchlichen Aemtern.


augenblickliche Vortheil zu erheischen schien, daran fest, daß ein Geistlicher
nicht ohne seinen Willen von einer Stelle auf die andere versetzt werden könne,
aber Vilmar nahm es sich heraus, unter Beistimmung einer Anzahl Metro¬
politane einen Geistlichen einfach seines Amtes für verlustig zu erklären, und
nachdem dieses Synodaldecret die landesherrliche Bestätigung erhalten hatte,
denselben ohne irgend welche Pension zu entlassen. Als dieser seine Ent¬
lassung bei den ordentlichen Gerichten als eine widerrechtliche anfocht, wurde
er von dem Competenzhosc, einem Beglückungsinstitute, das Hessen auch Hasscn-
pflug verdankt, abgewiesen, „weil kein neueres Gesetz beabsichtigt habe, in
Fällen der Kirchendisciplin die höchste Entscheidung von dem Landesherrn auf
. ein Gericht zu übertragen."

Wenn Jemand über diese Entscheidung stutzen und meinen sollte, daß
doch durch sie dem Episcopat des Landesherrn Rechte zugesprochen würden,
die mit den Vilmarischen Bestrebungen, der hierarchisch geleiteten Kirche mög¬
lichst viel Selbstständigkeit dem Staate gegenüber zu erringen, schwer in Ein¬
klang zu bringen seien; so muß man sich erinnern, daß dieser Spruch gefällt
wurde, als Vilmar nicht mehr die kirchlichen Angelegenheiten in seiner Hand
hatte, sondern schon seit Jahren die Studirenden zu Marburg seine „Theologie
der Thatsachen erleben" ließ. Denn was Hassenpflug und Vilmar auf dem
politischen Gebiet erreicht hatten, die Vernichtung des Nechtsznstands. das
sollte ihnen auf dem kirchlichen wenigstens äußerlich nicht gelingen.

Eine Brochüre nach der andern sandte der unermüdliche Professor Heppe
gegen Vilmars Treiben in die Welt; und als Vilmar dennoch von den allzu¬
treuen Hütern des kirchlichen Bekenntnisses zum Superintendenten von Nieder¬
hessen gewählt worden war. so wurde derselbe an entscheidender Stelle nicht bestä¬
tigt. Hier hatte man noch die Traditionen der alten Landgrafen. ..sich die Pfaffen
nicht auf den Kopf steigen zu lassen." nicht vergessen. Mitgewirkt zu dieser
Entscheidung hatte das Gutachten der theologischen Facultnt zu Marburg, in
dem das gute Recht der reformirten Kirche eben so scharfsinnig und gelehrt,
als streng objectiv nachgewiesen war, und ein Votum des Kirchenrcchtslehrcrs
Richter in Berlin. Als Hassenpflug mit der Ernennung des Freundes nicht
durchdringen konnte, nahm er seine Entlassung und Vilmar wurde Professor
der Theologie in Marburg. Die Treubundspartei erging sich jetzt in Anklagen
über Fürstenundank, und die Allgemeine Zeitung glaubte sie damit trösten zu
'Nüssen, daß eine eoelesia xressa immer die besten Früchte gezeitigt habe.
Freilich war die hessische Kirche eine eoelssia, xrWsa. aber ihre Bedrücker ha¬
ben sich seit 1850 wahrlich nicht zu beschweren gehabt. Denn das Ministerium
Scheffer. das dem abgedankter folgte, war zwar weniger geneigt der Vilmar-
schin Partei bei ihren Reformplänen energischen Vorschub zu leisten, aber die
^Hänger des alten blieben doch in ihren einflußreichsten kirchlichen Aemtern.


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[0417] augenblickliche Vortheil zu erheischen schien, daran fest, daß ein Geistlicher nicht ohne seinen Willen von einer Stelle auf die andere versetzt werden könne, aber Vilmar nahm es sich heraus, unter Beistimmung einer Anzahl Metro¬ politane einen Geistlichen einfach seines Amtes für verlustig zu erklären, und nachdem dieses Synodaldecret die landesherrliche Bestätigung erhalten hatte, denselben ohne irgend welche Pension zu entlassen. Als dieser seine Ent¬ lassung bei den ordentlichen Gerichten als eine widerrechtliche anfocht, wurde er von dem Competenzhosc, einem Beglückungsinstitute, das Hessen auch Hasscn- pflug verdankt, abgewiesen, „weil kein neueres Gesetz beabsichtigt habe, in Fällen der Kirchendisciplin die höchste Entscheidung von dem Landesherrn auf . ein Gericht zu übertragen." Wenn Jemand über diese Entscheidung stutzen und meinen sollte, daß doch durch sie dem Episcopat des Landesherrn Rechte zugesprochen würden, die mit den Vilmarischen Bestrebungen, der hierarchisch geleiteten Kirche mög¬ lichst viel Selbstständigkeit dem Staate gegenüber zu erringen, schwer in Ein¬ klang zu bringen seien; so muß man sich erinnern, daß dieser Spruch gefällt wurde, als Vilmar nicht mehr die kirchlichen Angelegenheiten in seiner Hand hatte, sondern schon seit Jahren die Studirenden zu Marburg seine „Theologie der Thatsachen erleben" ließ. Denn was Hassenpflug und Vilmar auf dem politischen Gebiet erreicht hatten, die Vernichtung des Nechtsznstands. das sollte ihnen auf dem kirchlichen wenigstens äußerlich nicht gelingen. Eine Brochüre nach der andern sandte der unermüdliche Professor Heppe gegen Vilmars Treiben in die Welt; und als Vilmar dennoch von den allzu¬ treuen Hütern des kirchlichen Bekenntnisses zum Superintendenten von Nieder¬ hessen gewählt worden war. so wurde derselbe an entscheidender Stelle nicht bestä¬ tigt. Hier hatte man noch die Traditionen der alten Landgrafen. ..sich die Pfaffen nicht auf den Kopf steigen zu lassen." nicht vergessen. Mitgewirkt zu dieser Entscheidung hatte das Gutachten der theologischen Facultnt zu Marburg, in dem das gute Recht der reformirten Kirche eben so scharfsinnig und gelehrt, als streng objectiv nachgewiesen war, und ein Votum des Kirchenrcchtslehrcrs Richter in Berlin. Als Hassenpflug mit der Ernennung des Freundes nicht durchdringen konnte, nahm er seine Entlassung und Vilmar wurde Professor der Theologie in Marburg. Die Treubundspartei erging sich jetzt in Anklagen über Fürstenundank, und die Allgemeine Zeitung glaubte sie damit trösten zu 'Nüssen, daß eine eoelesia xressa immer die besten Früchte gezeitigt habe. Freilich war die hessische Kirche eine eoelssia, xrWsa. aber ihre Bedrücker ha¬ ben sich seit 1850 wahrlich nicht zu beschweren gehabt. Denn das Ministerium Scheffer. das dem abgedankter folgte, war zwar weniger geneigt der Vilmar- schin Partei bei ihren Reformplänen energischen Vorschub zu leisten, aber die ^Hänger des alten blieben doch in ihren einflußreichsten kirchlichen Aemtern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/417>, abgerufen am 26.06.2024.