Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Anfechtungen des bösen Geistes zu Ibekämpfen gehabt und in seinem Blatte
die Erklärung abgegeben hatte, er werde "aufrichtig, ehrlich und entschieden
mit der Richtung gehen, welche unsern hessischen Verhältnissen durch die landes¬
herrliche Erklärung. Verheißungen und Anordnungen vom 6. und it. März
d. I. gegeben ist", ermannte er sich gar bald wieder und trat an die Spitze
der reaktionären Partei in Kurhessen. Zunächst entwickelte er seine Thätigkeit
auf dem kirchlichen Gebiete. Es wurde gegen die Berufung Zelters agitirt.
dann aber durch Pastorenconfcrenzen dahin zu wirken gesucht, daß der Kurfürst
die oberste Kirchenleitung, die er bisher ausgeübt hatte, der Kirche selbst
zurückgebe. Denn das Haupt eines "religionslosen" Staates könne doch un¬
möglich Landesbischof sein. Die zu diesem Zwecke angeregte Bewegung
wurde aber gar bald wieder zur Ruhe gebracht, als durch den Eintritt
Hassenpflugs ins Ministerium der Kurfürst wieder ein Christ geworden war.
Allmülig und gemach wollte man die Kirche, ohne viel Aufsehen zu erregen,
unter den Gehorsam eines protestantischen Papstes bringen. Vorerst absor-
birte jedoch die politische Noth des Ministeriums alle hierzu erforderliche"
Kräfte. Man bemühte sich der Gewissenhaftigkeit der Staatsdiener, die ihren
Eid auf die Verfassung nicht brechen wollten, durch theologische Argumenta¬
tionen entgegenzuwirken, indem ihnen Vilmar in seinem Volksfreunde (es5v
No. 18) demonstrirte. daß man nur einer Person einen Eidschwur leisten könne,
"dagegen wenn es heiße, es solle eine Verfassung beschworen werden.
sei das einmal ein erbärmlicher Unsinn und zweitens Leichtfertigkeit im Eid¬
schwur, Unehrlichkeit. Spott und Hohn auf Gott und also erklärte und offne
Gottlosigkeit." Als diese Mittel aber nicht anschlagen wollten, lockte man den
Landesherrn von Cassel weg. führte die Strafbaiern ins Land und machte
tabula, rasa,. Jetzt konnte man auch daran denken, die bessernde Hand an die
reformirte Kirche zu legen. Hatte Vilmar früher erklärt, man bilde sich >n
Niederhessen nur fest ein, refornürt zu sein u, tgi. mehr, hatte einer seiner Ge¬
sellen es auf eurer kirchlichen Versammlung eine "Schmach" genannt, wenn
man sie so bezeichne, so ging man jetzt daran, den Worten die Thaten folge"
zu lassen. Der Heidelberger Katechismus wurde für die Schulen, die ihn seit
Alters zum Religionsunterricht brauchten, als Lehrbuch verboten, den Kandida¬
ten bei den Prüfungen bedeutet, daß der hessische Katechismus die lutherische
Abendmahlslehrs vortrage, die Schullehrerseminarien mit zuverlässigen Jnstruc-
torcn besetzt, die Pastoren dahin unterrichtet, daß es bei Ertheilung des Con-
firmandenunterrichtes "weniger auf die Erweckung s. g. guter Vorsätze ankomme,
als auf Mittheilung des h. Geistes," jede Gelegenheit bei Einführung von
Geistlichen benutzt, den Gemeinden die abenteuerlichsten Vorstellungen von
der Schlüsselgewalt der Kirche beizubringen, und die Pastoren von den übrige"
Staatsdienern möglichst abgesondert. Man hielt zwar nicht mehr, wo es der


Anfechtungen des bösen Geistes zu Ibekämpfen gehabt und in seinem Blatte
die Erklärung abgegeben hatte, er werde „aufrichtig, ehrlich und entschieden
mit der Richtung gehen, welche unsern hessischen Verhältnissen durch die landes¬
herrliche Erklärung. Verheißungen und Anordnungen vom 6. und it. März
d. I. gegeben ist", ermannte er sich gar bald wieder und trat an die Spitze
der reaktionären Partei in Kurhessen. Zunächst entwickelte er seine Thätigkeit
auf dem kirchlichen Gebiete. Es wurde gegen die Berufung Zelters agitirt.
dann aber durch Pastorenconfcrenzen dahin zu wirken gesucht, daß der Kurfürst
die oberste Kirchenleitung, die er bisher ausgeübt hatte, der Kirche selbst
zurückgebe. Denn das Haupt eines „religionslosen" Staates könne doch un¬
möglich Landesbischof sein. Die zu diesem Zwecke angeregte Bewegung
wurde aber gar bald wieder zur Ruhe gebracht, als durch den Eintritt
Hassenpflugs ins Ministerium der Kurfürst wieder ein Christ geworden war.
Allmülig und gemach wollte man die Kirche, ohne viel Aufsehen zu erregen,
unter den Gehorsam eines protestantischen Papstes bringen. Vorerst absor-
birte jedoch die politische Noth des Ministeriums alle hierzu erforderliche"
Kräfte. Man bemühte sich der Gewissenhaftigkeit der Staatsdiener, die ihren
Eid auf die Verfassung nicht brechen wollten, durch theologische Argumenta¬
tionen entgegenzuwirken, indem ihnen Vilmar in seinem Volksfreunde (es5v
No. 18) demonstrirte. daß man nur einer Person einen Eidschwur leisten könne,
„dagegen wenn es heiße, es solle eine Verfassung beschworen werden.
sei das einmal ein erbärmlicher Unsinn und zweitens Leichtfertigkeit im Eid¬
schwur, Unehrlichkeit. Spott und Hohn auf Gott und also erklärte und offne
Gottlosigkeit." Als diese Mittel aber nicht anschlagen wollten, lockte man den
Landesherrn von Cassel weg. führte die Strafbaiern ins Land und machte
tabula, rasa,. Jetzt konnte man auch daran denken, die bessernde Hand an die
reformirte Kirche zu legen. Hatte Vilmar früher erklärt, man bilde sich >n
Niederhessen nur fest ein, refornürt zu sein u, tgi. mehr, hatte einer seiner Ge¬
sellen es auf eurer kirchlichen Versammlung eine „Schmach" genannt, wenn
man sie so bezeichne, so ging man jetzt daran, den Worten die Thaten folge"
zu lassen. Der Heidelberger Katechismus wurde für die Schulen, die ihn seit
Alters zum Religionsunterricht brauchten, als Lehrbuch verboten, den Kandida¬
ten bei den Prüfungen bedeutet, daß der hessische Katechismus die lutherische
Abendmahlslehrs vortrage, die Schullehrerseminarien mit zuverlässigen Jnstruc-
torcn besetzt, die Pastoren dahin unterrichtet, daß es bei Ertheilung des Con-
firmandenunterrichtes „weniger auf die Erweckung s. g. guter Vorsätze ankomme,
als auf Mittheilung des h. Geistes," jede Gelegenheit bei Einführung von
Geistlichen benutzt, den Gemeinden die abenteuerlichsten Vorstellungen von
der Schlüsselgewalt der Kirche beizubringen, und die Pastoren von den übrige«
Staatsdienern möglichst abgesondert. Man hielt zwar nicht mehr, wo es der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108546"/>
          <p xml:id="ID_1308" prev="#ID_1307" next="#ID_1309"> Anfechtungen des bösen Geistes zu Ibekämpfen gehabt und in seinem Blatte<lb/>
die Erklärung abgegeben hatte, er werde &#x201E;aufrichtig, ehrlich und entschieden<lb/>
mit der Richtung gehen, welche unsern hessischen Verhältnissen durch die landes¬<lb/>
herrliche Erklärung. Verheißungen und Anordnungen vom 6. und it. März<lb/>
d. I. gegeben ist", ermannte er sich gar bald wieder und trat an die Spitze<lb/>
der reaktionären Partei in Kurhessen. Zunächst entwickelte er seine Thätigkeit<lb/>
auf dem kirchlichen Gebiete. Es wurde gegen die Berufung Zelters agitirt.<lb/>
dann aber durch Pastorenconfcrenzen dahin zu wirken gesucht, daß der Kurfürst<lb/>
die oberste Kirchenleitung, die er bisher ausgeübt hatte, der Kirche selbst<lb/>
zurückgebe. Denn das Haupt eines &#x201E;religionslosen" Staates könne doch un¬<lb/>
möglich Landesbischof sein. Die zu diesem Zwecke angeregte Bewegung<lb/>
wurde aber gar bald wieder zur Ruhe gebracht, als durch den Eintritt<lb/>
Hassenpflugs ins Ministerium der Kurfürst wieder ein Christ geworden war.<lb/>
Allmülig und gemach wollte man die Kirche, ohne viel Aufsehen zu erregen,<lb/>
unter den Gehorsam eines protestantischen Papstes bringen. Vorerst absor-<lb/>
birte jedoch die politische Noth des Ministeriums alle hierzu erforderliche"<lb/>
Kräfte. Man bemühte sich der Gewissenhaftigkeit der Staatsdiener, die ihren<lb/>
Eid auf die Verfassung nicht brechen wollten, durch theologische Argumenta¬<lb/>
tionen entgegenzuwirken, indem ihnen Vilmar in seinem Volksfreunde (es5v<lb/>
No. 18) demonstrirte. daß man nur einer Person einen Eidschwur leisten könne,<lb/>
&#x201E;dagegen wenn es heiße, es solle eine Verfassung beschworen werden.<lb/>
sei das einmal ein erbärmlicher Unsinn und zweitens Leichtfertigkeit im Eid¬<lb/>
schwur, Unehrlichkeit. Spott und Hohn auf Gott und also erklärte und offne<lb/>
Gottlosigkeit." Als diese Mittel aber nicht anschlagen wollten, lockte man den<lb/>
Landesherrn von Cassel weg. führte die Strafbaiern ins Land und machte<lb/>
tabula, rasa,. Jetzt konnte man auch daran denken, die bessernde Hand an die<lb/>
reformirte Kirche zu legen. Hatte Vilmar früher erklärt, man bilde sich &gt;n<lb/>
Niederhessen nur fest ein, refornürt zu sein u, tgi. mehr, hatte einer seiner Ge¬<lb/>
sellen es auf eurer kirchlichen Versammlung eine &#x201E;Schmach" genannt, wenn<lb/>
man sie so bezeichne, so ging man jetzt daran, den Worten die Thaten folge"<lb/>
zu lassen. Der Heidelberger Katechismus wurde für die Schulen, die ihn seit<lb/>
Alters zum Religionsunterricht brauchten, als Lehrbuch verboten, den Kandida¬<lb/>
ten bei den Prüfungen bedeutet, daß der hessische Katechismus die lutherische<lb/>
Abendmahlslehrs vortrage, die Schullehrerseminarien mit zuverlässigen Jnstruc-<lb/>
torcn besetzt, die Pastoren dahin unterrichtet, daß es bei Ertheilung des Con-<lb/>
firmandenunterrichtes &#x201E;weniger auf die Erweckung s. g. guter Vorsätze ankomme,<lb/>
als auf Mittheilung des h. Geistes," jede Gelegenheit bei Einführung von<lb/>
Geistlichen benutzt, den Gemeinden die abenteuerlichsten Vorstellungen von<lb/>
der Schlüsselgewalt der Kirche beizubringen, und die Pastoren von den übrige«<lb/>
Staatsdienern möglichst abgesondert.  Man hielt zwar nicht mehr, wo es der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] Anfechtungen des bösen Geistes zu Ibekämpfen gehabt und in seinem Blatte die Erklärung abgegeben hatte, er werde „aufrichtig, ehrlich und entschieden mit der Richtung gehen, welche unsern hessischen Verhältnissen durch die landes¬ herrliche Erklärung. Verheißungen und Anordnungen vom 6. und it. März d. I. gegeben ist", ermannte er sich gar bald wieder und trat an die Spitze der reaktionären Partei in Kurhessen. Zunächst entwickelte er seine Thätigkeit auf dem kirchlichen Gebiete. Es wurde gegen die Berufung Zelters agitirt. dann aber durch Pastorenconfcrenzen dahin zu wirken gesucht, daß der Kurfürst die oberste Kirchenleitung, die er bisher ausgeübt hatte, der Kirche selbst zurückgebe. Denn das Haupt eines „religionslosen" Staates könne doch un¬ möglich Landesbischof sein. Die zu diesem Zwecke angeregte Bewegung wurde aber gar bald wieder zur Ruhe gebracht, als durch den Eintritt Hassenpflugs ins Ministerium der Kurfürst wieder ein Christ geworden war. Allmülig und gemach wollte man die Kirche, ohne viel Aufsehen zu erregen, unter den Gehorsam eines protestantischen Papstes bringen. Vorerst absor- birte jedoch die politische Noth des Ministeriums alle hierzu erforderliche" Kräfte. Man bemühte sich der Gewissenhaftigkeit der Staatsdiener, die ihren Eid auf die Verfassung nicht brechen wollten, durch theologische Argumenta¬ tionen entgegenzuwirken, indem ihnen Vilmar in seinem Volksfreunde (es5v No. 18) demonstrirte. daß man nur einer Person einen Eidschwur leisten könne, „dagegen wenn es heiße, es solle eine Verfassung beschworen werden. sei das einmal ein erbärmlicher Unsinn und zweitens Leichtfertigkeit im Eid¬ schwur, Unehrlichkeit. Spott und Hohn auf Gott und also erklärte und offne Gottlosigkeit." Als diese Mittel aber nicht anschlagen wollten, lockte man den Landesherrn von Cassel weg. führte die Strafbaiern ins Land und machte tabula, rasa,. Jetzt konnte man auch daran denken, die bessernde Hand an die reformirte Kirche zu legen. Hatte Vilmar früher erklärt, man bilde sich >n Niederhessen nur fest ein, refornürt zu sein u, tgi. mehr, hatte einer seiner Ge¬ sellen es auf eurer kirchlichen Versammlung eine „Schmach" genannt, wenn man sie so bezeichne, so ging man jetzt daran, den Worten die Thaten folge" zu lassen. Der Heidelberger Katechismus wurde für die Schulen, die ihn seit Alters zum Religionsunterricht brauchten, als Lehrbuch verboten, den Kandida¬ ten bei den Prüfungen bedeutet, daß der hessische Katechismus die lutherische Abendmahlslehrs vortrage, die Schullehrerseminarien mit zuverlässigen Jnstruc- torcn besetzt, die Pastoren dahin unterrichtet, daß es bei Ertheilung des Con- firmandenunterrichtes „weniger auf die Erweckung s. g. guter Vorsätze ankomme, als auf Mittheilung des h. Geistes," jede Gelegenheit bei Einführung von Geistlichen benutzt, den Gemeinden die abenteuerlichsten Vorstellungen von der Schlüsselgewalt der Kirche beizubringen, und die Pastoren von den übrige« Staatsdienern möglichst abgesondert. Man hielt zwar nicht mehr, wo es der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/416>, abgerufen am 26.06.2024.