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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Herr kennt ja doch die Seinen --, und -- schneiden in das faule Fleisch der
Gegenwart, mögen auch einige gesunde Glieder mit verloren gehen, das ist
die alte Kurmethode des modernen kirchlichen Doktors Eisenbart.

Und doch ist Vilmar ein, wenn auch ungerathenes, Kind seiner Zeit. Das
wacht ihn aber nur um so boshafter. Denn wer erst einmal gegen das Fleisch
par seinem Fleische zu wüthen begonnen hat, der kann des Streitens kein Maß
und Ziel mehr finden. Vilmar eröffnete seine schriftstellerische Laufbahn mit
einem Angriff auf den im Anfange der zwanziger Jahre nach Marburg beru¬
fenen, kürzlich verstorbenen Professor E. Sartorius. Dieser Koryphäe der
Kreuzzcitungspartei zeichnete sich in Marburg damals in einer zweifachen Weise
ans; er warf sich als Vertheidiger des symbolischen Protestantismus und gleich¬
zeitig als -- in-Mi-o clös rMsii-s auf, so das, der alte Primarius Arnoldi seinen
Zuhörern wol die Frage vorlegte, wodurch sich die marburger Thcologenfacul-
tät vor allen übrigen Deutschlands auszeichne, und sie dahin beantwortete,
daß sie den besten Tänzer in ihrer Mitte habe. Gegen dieses nntheologische
Gebahren von Sartorius erhob sich nun Vilmar nicht. Er war ja selbst ein
lustiger Geselle, und noch vor zehn Jahren, wie seiner Zeit in der deutschen
Zeitung zu lesen war. spießte er seine Mrche auf einen Studentcncommers an
Und seine Thätigkeit auf dem Liebhabertheater zu Marburg aus der Zeit sei¬
ner Gymnasialdirectur soll dort noch, in gutem Andenken stehen. Nein, er cr-
lwb sich als Vertheidiger des r-rtionalisrnns vnlMris gegen den Ankömmling.
Doch nach einigen Jahren bekehrte er sich unter der Assistenz Hasscnpflugs
vom Nationalismus und lief dann die ganze Windrose theologischer Mei¬
nungen durch, welche die gläubige Theologie Deutschlands seit dreißig Jahren
"ut einer immer mehr sich beschleunigenden, wahrhaft Schwindel erregenden
Schnelligkeit durchmessen hat, bis daß er endlich als oberster Teufelsbanner
an, der Töte des ganzen gespenstigen Zugs figurirte. Als solcher hat er dann
"und die Pflicht und Schuldigkeit, aus den reichen Erfahrungen seines Lebens
die Welt, welcher das Unterscheidungsvermögen des Guten und Bösen durch
einen neuen, umgekehrten Sündenfall, gewöhnlich französische Revolution ge¬
nannt, verloren gegangen ist, wieder zu erwecken und die ersten Tropfen eines
wirksamen Gegengiftes in die durch Hader und Grimm vergiftete Welt aus-
zugießen. Dieses Gegengift aber kann nur empfangen werden aus den Hält-
^n einer reinen Hierarchie, die Gewalt hat im Himmel und auf Erden. Auf
Etablirung dieser im Lande Kurhessen. war Vilmars Thätigkeit gerichtet. Das
erklärt Alles. Darum der Haß gegen die "demokratische"^ reformirte Kirche,
^e durch ihre Abendmahlslehre alle priesterlichen Opfcrgcdanken ausschließt
und wegen ihres Zugs nach Union sich nicht zu einer "anstaltlichen" Kirche
^guet. '

Nachdem Vilmar im Anfange der Revolution von 1848 noch einmal die
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Herr kennt ja doch die Seinen —, und — schneiden in das faule Fleisch der
Gegenwart, mögen auch einige gesunde Glieder mit verloren gehen, das ist
die alte Kurmethode des modernen kirchlichen Doktors Eisenbart.

Und doch ist Vilmar ein, wenn auch ungerathenes, Kind seiner Zeit. Das
wacht ihn aber nur um so boshafter. Denn wer erst einmal gegen das Fleisch
par seinem Fleische zu wüthen begonnen hat, der kann des Streitens kein Maß
und Ziel mehr finden. Vilmar eröffnete seine schriftstellerische Laufbahn mit
einem Angriff auf den im Anfange der zwanziger Jahre nach Marburg beru¬
fenen, kürzlich verstorbenen Professor E. Sartorius. Dieser Koryphäe der
Kreuzzcitungspartei zeichnete sich in Marburg damals in einer zweifachen Weise
ans; er warf sich als Vertheidiger des symbolischen Protestantismus und gleich¬
zeitig als — in-Mi-o clös rMsii-s auf, so das, der alte Primarius Arnoldi seinen
Zuhörern wol die Frage vorlegte, wodurch sich die marburger Thcologenfacul-
tät vor allen übrigen Deutschlands auszeichne, und sie dahin beantwortete,
daß sie den besten Tänzer in ihrer Mitte habe. Gegen dieses nntheologische
Gebahren von Sartorius erhob sich nun Vilmar nicht. Er war ja selbst ein
lustiger Geselle, und noch vor zehn Jahren, wie seiner Zeit in der deutschen
Zeitung zu lesen war. spießte er seine Mrche auf einen Studentcncommers an
Und seine Thätigkeit auf dem Liebhabertheater zu Marburg aus der Zeit sei¬
ner Gymnasialdirectur soll dort noch, in gutem Andenken stehen. Nein, er cr-
lwb sich als Vertheidiger des r-rtionalisrnns vnlMris gegen den Ankömmling.
Doch nach einigen Jahren bekehrte er sich unter der Assistenz Hasscnpflugs
vom Nationalismus und lief dann die ganze Windrose theologischer Mei¬
nungen durch, welche die gläubige Theologie Deutschlands seit dreißig Jahren
"ut einer immer mehr sich beschleunigenden, wahrhaft Schwindel erregenden
Schnelligkeit durchmessen hat, bis daß er endlich als oberster Teufelsbanner
an, der Töte des ganzen gespenstigen Zugs figurirte. Als solcher hat er dann
"und die Pflicht und Schuldigkeit, aus den reichen Erfahrungen seines Lebens
die Welt, welcher das Unterscheidungsvermögen des Guten und Bösen durch
einen neuen, umgekehrten Sündenfall, gewöhnlich französische Revolution ge¬
nannt, verloren gegangen ist, wieder zu erwecken und die ersten Tropfen eines
wirksamen Gegengiftes in die durch Hader und Grimm vergiftete Welt aus-
zugießen. Dieses Gegengift aber kann nur empfangen werden aus den Hält-
^n einer reinen Hierarchie, die Gewalt hat im Himmel und auf Erden. Auf
Etablirung dieser im Lande Kurhessen. war Vilmars Thätigkeit gerichtet. Das
erklärt Alles. Darum der Haß gegen die „demokratische"^ reformirte Kirche,
^e durch ihre Abendmahlslehre alle priesterlichen Opfcrgcdanken ausschließt
und wegen ihres Zugs nach Union sich nicht zu einer „anstaltlichen" Kirche
^guet. '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/415>, abgerufen am 26.06.2024.