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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ein Mann auftritt, der sich durch seine historischen Schriften, durch Vertheidigung
des formulirten protestantischen Kirchenbekenntnisses gegen alle rationalistische"
Neuerungen und durch seine rhetorischen Ergüsse über die Aufgaben der Gymna¬
sien als der Pflegestütte einer acht conservativ-historischen Bildung und Erziehung
bei seinen Parteigenossen einen großen Namen erworben hat; wenn ein solcher
Mann in hoher kirchlicher Stellung, freilich sich gleichzeitig auch als Prophet
und Exorcist gcbährdend. auftritt und verkündet, daß die Kirche, deren Leiter
er ist, nicht, wie sich dieselbe bis auf ihn fälschlich "fest eingebildet" habe-
der einen der beiden großen Parteien des Protestantismus zuzuzählen sei. son¬
dern gerade der andern, von der sie seit Jahrhunderten als eine treulose
'Schwester behandelt worden ist: so wird man hiervon nicht sagen können,
daß dieses consequent gedacht sei, wenn man auch einem solchen Fündlein das
Prädicat eines zweckmäßig ersonnenen und pfiffig erdachten beilegen mag>
Das aber hat Vilmar, der sich auf seine historische Bildung und conservative
Gesinnung und Lebensrichtung so viel zugute weiß, gethan, als er die refor-
mirte niederhcssische Kirche für eine lutherische ausgab und dieser Unwahrheit
zu Liebe der niederhessischcn Kirche reformirte Vekenntnißschriften, die im Schul¬
gebrauche waren, wegnehmen ließ, und lutherische um ihre Stelle einschob.
Wenn das nicht für die ächt geschichtliche, conservative Richtung des Herr"
Vilmar ein gutes Zeugniß ist, so kann es kein besseres geben!

Man begreift eS nicht, wie ein Mann sich und seinen oft genug wieder¬
holten Phrasen von dem guten Recht der Kirche an ihren symbolischen Büchern
so ins Gesicht schlagen konnte, wenn man nicht den Grundgedanken seines
kirchlichen Systems fest ins Auge saßt, und dann sieht, wie zu dessen Durch¬
führung alle Mittel dienen müssen und alles, was Widerstand leisten konnte,
mit brutaler Gewalt bei Seite geworfen wird. Hierzu kommt, daß Vilmar
ein gutes Erbtheil um schwer zu bändigender, roher Naturkraft von Hanse a"S
mitbekommen hat, und sich von den zähmenden und sänftigcnden Fesseln eines
evangelischen Christenthums frei zuhalten weiß. Dasselbe wüste Pathos, das
thu früher zu dem enragirtesten Burschenschaftler machte, entladet sich i^'t
im Dienste des Herrn Zebaoth mit derselben Gewaltsamkeit und Rohheit
wie früher, nur daß jetzt nicht seine Schläge aus die Häupter Israels, sondern
auf Philistäas^ Schädel fallen. Von der christlichen Sanftmuth, von der
Friedfertigkeit, von der Milde, von der Liebe, die nicht das Ihre sucht, wird
man an einer solchen Stelle nicht viel bemerken. Ist doch auch das Ma߬
halten die vornehmste heidnische Tugend und jede Art der Vermittlung on'M
Uebel. Denn es gibt kein Abkommen zwischen Licht und Finsterniß, zwischen
Christus und Belial. und wer weder kalt noch warm ist. den wird der He"'
ausspeien aus seinem Munde. Zu Boden die falschen Goben des Zeitgeistes-
mögen mich einige arme Gerechte gelegentlich dabei erschlagen werden, ^ der


ein Mann auftritt, der sich durch seine historischen Schriften, durch Vertheidigung
des formulirten protestantischen Kirchenbekenntnisses gegen alle rationalistische»
Neuerungen und durch seine rhetorischen Ergüsse über die Aufgaben der Gymna¬
sien als der Pflegestütte einer acht conservativ-historischen Bildung und Erziehung
bei seinen Parteigenossen einen großen Namen erworben hat; wenn ein solcher
Mann in hoher kirchlicher Stellung, freilich sich gleichzeitig auch als Prophet
und Exorcist gcbährdend. auftritt und verkündet, daß die Kirche, deren Leiter
er ist, nicht, wie sich dieselbe bis auf ihn fälschlich „fest eingebildet" habe-
der einen der beiden großen Parteien des Protestantismus zuzuzählen sei. son¬
dern gerade der andern, von der sie seit Jahrhunderten als eine treulose
'Schwester behandelt worden ist: so wird man hiervon nicht sagen können,
daß dieses consequent gedacht sei, wenn man auch einem solchen Fündlein das
Prädicat eines zweckmäßig ersonnenen und pfiffig erdachten beilegen mag>
Das aber hat Vilmar, der sich auf seine historische Bildung und conservative
Gesinnung und Lebensrichtung so viel zugute weiß, gethan, als er die refor-
mirte niederhcssische Kirche für eine lutherische ausgab und dieser Unwahrheit
zu Liebe der niederhessischcn Kirche reformirte Vekenntnißschriften, die im Schul¬
gebrauche waren, wegnehmen ließ, und lutherische um ihre Stelle einschob.
Wenn das nicht für die ächt geschichtliche, conservative Richtung des Herr»
Vilmar ein gutes Zeugniß ist, so kann es kein besseres geben!

Man begreift eS nicht, wie ein Mann sich und seinen oft genug wieder¬
holten Phrasen von dem guten Recht der Kirche an ihren symbolischen Büchern
so ins Gesicht schlagen konnte, wenn man nicht den Grundgedanken seines
kirchlichen Systems fest ins Auge saßt, und dann sieht, wie zu dessen Durch¬
führung alle Mittel dienen müssen und alles, was Widerstand leisten konnte,
mit brutaler Gewalt bei Seite geworfen wird. Hierzu kommt, daß Vilmar
ein gutes Erbtheil um schwer zu bändigender, roher Naturkraft von Hanse a»S
mitbekommen hat, und sich von den zähmenden und sänftigcnden Fesseln eines
evangelischen Christenthums frei zuhalten weiß. Dasselbe wüste Pathos, das
thu früher zu dem enragirtesten Burschenschaftler machte, entladet sich i^'t
im Dienste des Herrn Zebaoth mit derselben Gewaltsamkeit und Rohheit
wie früher, nur daß jetzt nicht seine Schläge aus die Häupter Israels, sondern
auf Philistäas^ Schädel fallen. Von der christlichen Sanftmuth, von der
Friedfertigkeit, von der Milde, von der Liebe, die nicht das Ihre sucht, wird
man an einer solchen Stelle nicht viel bemerken. Ist doch auch das Ma߬
halten die vornehmste heidnische Tugend und jede Art der Vermittlung on'M
Uebel. Denn es gibt kein Abkommen zwischen Licht und Finsterniß, zwischen
Christus und Belial. und wer weder kalt noch warm ist. den wird der He"'
ausspeien aus seinem Munde. Zu Boden die falschen Goben des Zeitgeistes-
mögen mich einige arme Gerechte gelegentlich dabei erschlagen werden, ^ der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/414>, abgerufen am 27.08.2024.