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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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divergiren. sich endlich eine feste öffentliche Meinung bilde. Von den Unberufnen
ist es freilich sehr gleichgiltig. was sie für "Ansichten und Meinungen" zu
Markte bringen; hier aber ist ein in erster Reihe Berufener, dem alles M"-
ecriai zu Gebote steht, der in seinem Denken ebenso vielseitig als unbefangen,
in seinem Gefühl ebenso warm als gerecht ist, und doch läßt sich gegen einige
Resultate soviel einwenden. Eine gewisse Solidarität des Urtheils ist es,
was uns -- nicht blos in ästhetischer Beziehung -- zunächst noth thut. Den
verehrten Verfasser zu überzeugen, wäre mein liebster Zweck; wo nicht, zu con-
statiren, daß dieser Theil seiner Arbeit nicht gleich den übrigen Theilen als
I. S. letztes wissenschaftliches Resultat feststeht.




Parasiten und Hofnarren im Alterthum.

Die große Familie der Narren ist so alt als das Menschengeschlecht und
gedeiht unter jedem Himmelsstriche. Es muß jedoch als Zeichen der Zeit,
als kulturhistorisches Merkmal gelten, wenn in irgend einer Periode die Narr-
heit zunftmäßig auftritt, wenn Possenreißer und Lustigmacher an den Tafeln
der Reichen, in der Umgebung der Fürsten nicht fehlen dürfen, um theils passiv
in wirklichem oder erheuchelten Blödsinn als Zielscheiben übermüthigen Spottes
zu dienen, theils aktiv vermöge angeborenen Witzes und Talents von dem
Privilegium der Straflosigkeit auf Kosten ihrer Herren und Gönner Gebrauch
zu machen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Erscheinung größtentheils
entweder von einer noch rohen, unentwickelten Kulturstufe oder von einer in
Folge von Ueberfeinerung. Blasirtheit und Entsittlichung einreißenden Barbarei
Zeugniß gibt, wenn auch zuweilen, wie z. B. bei den Römern, ein allge¬
meiner Hang zur Bouffonnerie der Sache Vorschub leistet. Bei den Griechen
soll der Lustspieldichter Alexis in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr-
zuerst den Parasiten als Charakterfigur auf die Bühne gebracht haben, und
es beweist dies hinlänglich, daß Leute dieses Schlages damals im gewöhn¬
lichen Leben längst sich eingebürgert hatten. Auch entsprach sicherlich ihr Auf'
treten in der Wirklichkeit so ziemlich dem ihrer karrikirten Spiegelbilder in
der Komödie. In früherer Zeit hatte der Name "Parasit" keineswegs eine ehren¬
rührige Bedeutung. Man nannte so theils eine Priesterklasse, welche gemein-


divergiren. sich endlich eine feste öffentliche Meinung bilde. Von den Unberufnen
ist es freilich sehr gleichgiltig. was sie für „Ansichten und Meinungen" zu
Markte bringen; hier aber ist ein in erster Reihe Berufener, dem alles M«-
ecriai zu Gebote steht, der in seinem Denken ebenso vielseitig als unbefangen,
in seinem Gefühl ebenso warm als gerecht ist, und doch läßt sich gegen einige
Resultate soviel einwenden. Eine gewisse Solidarität des Urtheils ist es,
was uns — nicht blos in ästhetischer Beziehung — zunächst noth thut. Den
verehrten Verfasser zu überzeugen, wäre mein liebster Zweck; wo nicht, zu con-
statiren, daß dieser Theil seiner Arbeit nicht gleich den übrigen Theilen als
I. S. letztes wissenschaftliches Resultat feststeht.




Parasiten und Hofnarren im Alterthum.

Die große Familie der Narren ist so alt als das Menschengeschlecht und
gedeiht unter jedem Himmelsstriche. Es muß jedoch als Zeichen der Zeit,
als kulturhistorisches Merkmal gelten, wenn in irgend einer Periode die Narr-
heit zunftmäßig auftritt, wenn Possenreißer und Lustigmacher an den Tafeln
der Reichen, in der Umgebung der Fürsten nicht fehlen dürfen, um theils passiv
in wirklichem oder erheuchelten Blödsinn als Zielscheiben übermüthigen Spottes
zu dienen, theils aktiv vermöge angeborenen Witzes und Talents von dem
Privilegium der Straflosigkeit auf Kosten ihrer Herren und Gönner Gebrauch
zu machen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Erscheinung größtentheils
entweder von einer noch rohen, unentwickelten Kulturstufe oder von einer in
Folge von Ueberfeinerung. Blasirtheit und Entsittlichung einreißenden Barbarei
Zeugniß gibt, wenn auch zuweilen, wie z. B. bei den Römern, ein allge¬
meiner Hang zur Bouffonnerie der Sache Vorschub leistet. Bei den Griechen
soll der Lustspieldichter Alexis in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr-
zuerst den Parasiten als Charakterfigur auf die Bühne gebracht haben, und
es beweist dies hinlänglich, daß Leute dieses Schlages damals im gewöhn¬
lichen Leben längst sich eingebürgert hatten. Auch entsprach sicherlich ihr Auf'
treten in der Wirklichkeit so ziemlich dem ihrer karrikirten Spiegelbilder in
der Komödie. In früherer Zeit hatte der Name „Parasit" keineswegs eine ehren¬
rührige Bedeutung. Man nannte so theils eine Priesterklasse, welche gemein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/402>, abgerufen am 26.06.2024.