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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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in A. W. Schlegels Werken Bd. 8 abgedruckt. -- S. 2256. Es wäre im
höchsten Grade wünschenswert!), daß Böcking seine Ausgabe A. W.Schlegels
vervollständigte; die bisherigen Bände geben von dem Mann kein ganz rich¬
tiges Bild. Wenn er in der Einleitung zu seinen kritischen Schriften sagt,
man werde sich über ihre geringe Paradoxie wundern, so scheint das nach dem
bisher Gedruckten richtig; aber der Abdruck der berliner Vorlesungen aus der
Europa würde eine andere Art von Verwunderung erregen. Diese Periode
seiner Entwickelung zeigt, wie nachtheilig auch auf den hellsten Kopf die Gewohn¬
heit einer Coteriesprache wirken muß. -- S. 2260. Von Helminens "Ge¬
sprächen" hätte Koberstein einige Proben abdrucken können, um zu zeigen, was
für Dinge Fr. Schlegel damals zu vertreten sich getraute! In ihren neuerdings
herausgegebenen Memoiren sind einige Notizen über den pariser Aufenthalt.--
S. 2262. Die Notiz von Steffens über das Zerwürfniß zwischen Fr. Schlegel
ist, wie das ganze Buch, in chronologischer Beziehung unsicher; unwahr ist
das Verhältniß stets gewesen: man lese nur, wie sich Fr. Schlegel gegen Rabe!
über Bernhardi und über seinen eignen Bruder ausspricht. Die Spottreden
A. W. Schlegels über Schleiermacher ("das Reden über die Religion) sind
bekannt; seine Geringschätzung gegen das speculative Wesen der Periode trat
später deutlich genug zur Schau. -- S. 2279. Die Recension des Musen¬
almanachs von 1804 in der Jen. L.-Z. mit dem Schlußsonett (das Kreuz
wird aller Welt zum Kreuz aufgerichtet), welche damals Goethe zugeschrie¬
ben wurde, war von Jeiteles. -- S. 2280. Fouqu6 vermählte sich, wie
ich aus einem Sonett A. W. Schlegels sehe, am 9. Jan. 1803. -- S. 2282.
Viel charakteristischer für Z. Werner als der doch immer idealisirende Lebens¬
abriß von Hitzig sind die Tagebuchblätter in der Biographie von Schütz
(Grimmaische Ausgabe), womit noch einige Notizen von Varnhagen zu ver¬
gleichen sind. In welchem schmutzigen Morast man jenes Kreuz "aller Welt
Mu Kreuz" aufrichtete, lernt man nirgends besser würdigen, als aus jenen
Blättern, denen, was die Verbindung von Cynismus und süßlicher Mystik be¬
trifft, nichts an die Seite gesetzt werden kann. Und daß eine solche Richtung
auskommen konnte, hatte doch die romantische Schule vorbereitet. -- S. 2284.
Das biographische Material für Heinrich von Kleist wird in diesen Tagen durch
62 Briefe des Dichters ergänzt werden, die Koberstein herausgibt.

§ 330--331. S. 2239.-- Die ästhetische Kritik der neuen Schule.
^ S. 2290. Bei der Schilderung der damaligen Kritik folgt Koberstein zu
sehr den Aussagen der Romantiker, die Masse der Recensenten ist in der Re¬
gel nicht weit her. und sehr erhebliche Ausnahmen (z. B. Huber) hat Kober¬
stein selbst in dem frühern Bande charakterisirt. -- Wie dem auch sei. A. W.
Schlegel ist jedenfalls der bedeutendste der damaligen Kritiker; er würde noch
bedeutender sein, wenn er nicht zuweilen seine Recensionen in Verse gebracht


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in A. W. Schlegels Werken Bd. 8 abgedruckt. — S. 2256. Es wäre im
höchsten Grade wünschenswert!), daß Böcking seine Ausgabe A. W.Schlegels
vervollständigte; die bisherigen Bände geben von dem Mann kein ganz rich¬
tiges Bild. Wenn er in der Einleitung zu seinen kritischen Schriften sagt,
man werde sich über ihre geringe Paradoxie wundern, so scheint das nach dem
bisher Gedruckten richtig; aber der Abdruck der berliner Vorlesungen aus der
Europa würde eine andere Art von Verwunderung erregen. Diese Periode
seiner Entwickelung zeigt, wie nachtheilig auch auf den hellsten Kopf die Gewohn¬
heit einer Coteriesprache wirken muß. — S. 2260. Von Helminens „Ge¬
sprächen" hätte Koberstein einige Proben abdrucken können, um zu zeigen, was
für Dinge Fr. Schlegel damals zu vertreten sich getraute! In ihren neuerdings
herausgegebenen Memoiren sind einige Notizen über den pariser Aufenthalt.—
S. 2262. Die Notiz von Steffens über das Zerwürfniß zwischen Fr. Schlegel
ist, wie das ganze Buch, in chronologischer Beziehung unsicher; unwahr ist
das Verhältniß stets gewesen: man lese nur, wie sich Fr. Schlegel gegen Rabe!
über Bernhardi und über seinen eignen Bruder ausspricht. Die Spottreden
A. W. Schlegels über Schleiermacher („das Reden über die Religion) sind
bekannt; seine Geringschätzung gegen das speculative Wesen der Periode trat
später deutlich genug zur Schau. — S. 2279. Die Recension des Musen¬
almanachs von 1804 in der Jen. L.-Z. mit dem Schlußsonett (das Kreuz
wird aller Welt zum Kreuz aufgerichtet), welche damals Goethe zugeschrie¬
ben wurde, war von Jeiteles. — S. 2280. Fouqu6 vermählte sich, wie
ich aus einem Sonett A. W. Schlegels sehe, am 9. Jan. 1803. — S. 2282.
Viel charakteristischer für Z. Werner als der doch immer idealisirende Lebens¬
abriß von Hitzig sind die Tagebuchblätter in der Biographie von Schütz
(Grimmaische Ausgabe), womit noch einige Notizen von Varnhagen zu ver¬
gleichen sind. In welchem schmutzigen Morast man jenes Kreuz „aller Welt
Mu Kreuz" aufrichtete, lernt man nirgends besser würdigen, als aus jenen
Blättern, denen, was die Verbindung von Cynismus und süßlicher Mystik be¬
trifft, nichts an die Seite gesetzt werden kann. Und daß eine solche Richtung
auskommen konnte, hatte doch die romantische Schule vorbereitet. — S. 2284.
Das biographische Material für Heinrich von Kleist wird in diesen Tagen durch
62 Briefe des Dichters ergänzt werden, die Koberstein herausgibt.

§ 330—331. S. 2239.— Die ästhetische Kritik der neuen Schule.
^ S. 2290. Bei der Schilderung der damaligen Kritik folgt Koberstein zu
sehr den Aussagen der Romantiker, die Masse der Recensenten ist in der Re¬
gel nicht weit her. und sehr erhebliche Ausnahmen (z. B. Huber) hat Kober¬
stein selbst in dem frühern Bande charakterisirt. — Wie dem auch sei. A. W.
Schlegel ist jedenfalls der bedeutendste der damaligen Kritiker; er würde noch
bedeutender sein, wenn er nicht zuweilen seine Recensionen in Verse gebracht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/399>, abgerufen am 01.07.2024.