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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ist die Probe, die sein System in der Sphäre bestand, die er hauptsächlich im
Auge hatte, der praktischen; damit möge man dann die positiven Vorschläge
in den "Reden an die deutsche Nation" (die Abschüttelung des französischen
Jochs durch Pestalozzi) vergleichen. In seinen Schilderungen des Zeitalters
ist er mitunter sehr geistvoll; aber er hatte den Fehler, im Zeitalter nur das
zu sehen, was sich auf sein System bezog, d. h. seine Recensenten. Nicolai
war ihm sein Nicht-Ich. das Bild des gottverlassenen Zeitalters; die Schil¬
derung desselben in den "Grundzügen" ist nur eine weitere Ausführung des
Themas im Pamphlet gegen Nicolai. -- Und das war das Hauptmotiv seiner
Verbindung mit den Romantikern; daher die fast gleichlautenden Anklagen in
A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen. -- Merkwürdigerweise ging er im
Jnstinct ganz mit Nicolai und den andern Aufklärern, die er als aprioristi-
scher Philosoph ihrer Bornirtheit wegen so verachtete: Zweck der Menschheit
Ausrottung der Sümpfe, Anbau alles Landes, Wachsthum der Menschenzahl,
Freiheit u. s. w. Fr. Schlegel hat das in dem genannten Aufsatz in den
Heid. Jahrb. schlagend nachgewiesen. Daher der spätere Bruch zwischen den
alten Freunden.

§. 329. S. 2234. Athenäum und Europa. -- S. 2234. Wenn
die Romantiker gegen die Bezeichnung "Schule" protestirten. so wollten sie
damit die gleiche Richtung und das gemeinsame Wirken nicht in Abrede stellen;
sie wußten recht gut, was man mit jenem Ausdruck meinte: Camaradcrie. Aber
auch gegen den Vorwurf der Camaradcrie konnten sie sich nicht vertheidigen.
Die gegenseitigen Lobhudeleien in Versen und Prosa waren nur dann zu ver¬
theidigen, wenn sie aus voller Ueberzeugung quollen. Wie es damit -- we¬
nigstens zuweilen -- beschaffen war, lehrt A. W. Schlegels Brief an Fouqu"
(Werke. Bd. 8). wo er ausdrücklich gesteht, er habe den Lacrimas gegen bessere
Einsicht gelobt, weil er für die Werke seiner Freunde parteiisch sei. Daß aber
der Lacrimas. abgesehen von der wunderlichen Sprache, an poetischem Wers
noch unter Kotzebue stand, konnte A. W. Schlegel nicht entgehen. Gegen die
Lucinde haben nachträglich fast alle protestirt, und nun lese man die feu¬
rigen Sonette über die Lucinde! Ich will das nicht gerade Unehrlichkeit nen¬
nen, aber es war ein Cliquenwesen in so ausgedehntem Sinn, daß selbst das
Urtheil getrübt wurde. -- Uebrigens war das Athenäum, trotz seiner einseiti¬
gen Richtung, besser redigirt als die Hören, die es ablöste. -- S. 2233. --
Da einmal so viel gedruckt ist. könnte man auch die Briefe von Caroline
Schlegel veröffentlichen, die ein ganz neues Licht auf diese Periode werfen
sollen. -- S. 2241. Mit den großen Absichten des "poetischen Journals"
war es wol Tieck niemals rechter Ernst; viele von diesen Unternehmungen
waren reine Vuchhändlerspcculationen. -- S. 2243. Der Plan zu einer ge¬
meinsamen Literaturzeitung wurde ganz ernsthaft betrieben; der Entwurf ist


ist die Probe, die sein System in der Sphäre bestand, die er hauptsächlich im
Auge hatte, der praktischen; damit möge man dann die positiven Vorschläge
in den „Reden an die deutsche Nation" (die Abschüttelung des französischen
Jochs durch Pestalozzi) vergleichen. In seinen Schilderungen des Zeitalters
ist er mitunter sehr geistvoll; aber er hatte den Fehler, im Zeitalter nur das
zu sehen, was sich auf sein System bezog, d. h. seine Recensenten. Nicolai
war ihm sein Nicht-Ich. das Bild des gottverlassenen Zeitalters; die Schil¬
derung desselben in den „Grundzügen" ist nur eine weitere Ausführung des
Themas im Pamphlet gegen Nicolai. — Und das war das Hauptmotiv seiner
Verbindung mit den Romantikern; daher die fast gleichlautenden Anklagen in
A. W. Schlegels Berliner Vorlesungen. — Merkwürdigerweise ging er im
Jnstinct ganz mit Nicolai und den andern Aufklärern, die er als aprioristi-
scher Philosoph ihrer Bornirtheit wegen so verachtete: Zweck der Menschheit
Ausrottung der Sümpfe, Anbau alles Landes, Wachsthum der Menschenzahl,
Freiheit u. s. w. Fr. Schlegel hat das in dem genannten Aufsatz in den
Heid. Jahrb. schlagend nachgewiesen. Daher der spätere Bruch zwischen den
alten Freunden.

§. 329. S. 2234. Athenäum und Europa. — S. 2234. Wenn
die Romantiker gegen die Bezeichnung „Schule" protestirten. so wollten sie
damit die gleiche Richtung und das gemeinsame Wirken nicht in Abrede stellen;
sie wußten recht gut, was man mit jenem Ausdruck meinte: Camaradcrie. Aber
auch gegen den Vorwurf der Camaradcrie konnten sie sich nicht vertheidigen.
Die gegenseitigen Lobhudeleien in Versen und Prosa waren nur dann zu ver¬
theidigen, wenn sie aus voller Ueberzeugung quollen. Wie es damit — we¬
nigstens zuweilen — beschaffen war, lehrt A. W. Schlegels Brief an Fouqu«
(Werke. Bd. 8). wo er ausdrücklich gesteht, er habe den Lacrimas gegen bessere
Einsicht gelobt, weil er für die Werke seiner Freunde parteiisch sei. Daß aber
der Lacrimas. abgesehen von der wunderlichen Sprache, an poetischem Wers
noch unter Kotzebue stand, konnte A. W. Schlegel nicht entgehen. Gegen die
Lucinde haben nachträglich fast alle protestirt, und nun lese man die feu¬
rigen Sonette über die Lucinde! Ich will das nicht gerade Unehrlichkeit nen¬
nen, aber es war ein Cliquenwesen in so ausgedehntem Sinn, daß selbst das
Urtheil getrübt wurde. — Uebrigens war das Athenäum, trotz seiner einseiti¬
gen Richtung, besser redigirt als die Hören, die es ablöste. — S. 2233. —
Da einmal so viel gedruckt ist. könnte man auch die Briefe von Caroline
Schlegel veröffentlichen, die ein ganz neues Licht auf diese Periode werfen
sollen. — S. 2241. Mit den großen Absichten des „poetischen Journals"
war es wol Tieck niemals rechter Ernst; viele von diesen Unternehmungen
waren reine Vuchhändlerspcculationen. — S. 2243. Der Plan zu einer ge¬
meinsamen Literaturzeitung wurde ganz ernsthaft betrieben; der Entwurf ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/398>, abgerufen am 01.10.2024.