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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Weiche'seinen Brief an Merck, 16. April 1777); in ihrer Form war im Anfang
große Verwandtschaft: man muß nur bei Tieck nicht blos an den Eckardt, son¬
dern an Abraham Tonelli, die Weiber Blaubarts und ähnliches denken. Der
eigentliche Respect vor den Volksmärchen gehört einer spätern Schule an. --
Ein durch Köpke veranlaßter Irrthum über die erste Bekanntschaft Tiecks mit
Friedrich Schlegel S. 2143 ist später von Koberstein selbst berichtigt. -- Daß
in den Schildbürgern (S. 2160) sich ein größerer Respect vor dem Volts-
uwßjgen zeigen soll als in den Abderiten, kann ich nicht finden, nur muß man
uicht die Theorie der Excurse, sondern die Praxis des Textes zu Rathe ziehen.
^' S. 2161 läßt sich Koberstein durch den gestiefelten Kater zu einer Decka-
"union gegen die Literatur der achtziger und neunziger Jahre verleiten, bei
welcher er den vergleichenden Maßstab verliert. Gewiß wurden in jeuer Zeit
diele schlechte Bücher geschrieben; aber wann war es denn in Deutschland ta-
on besser? Ist etwa Tobias Kraut, Sophiens Reise, Thümmel, Hippel u. s. w.
schlechter als so mancher berühmte und unberühmte Roman unserer Tage?
steht Iffland etwa unserer Birchpfcisser nach? oder ist es zu irgend einer Periode
Unserer Literatur mit den Leihbibliotheken besser gewesen? Und dann darf
Koberstein auch nicht vergessen, daß zu den schlechtesten Büchern jener Tage Ab-
dallah und Lovell gehörten, die er gegen die böswilligen Recensenten
Schutz zu nehmen sucht, blos weil der Stil etwas besser war als
bei Lafontaine u. s. w. -- Wenn er auf der folgenden Seite hinzusetzt,
Tiecks Parodien hätten dem Uebelstand abgeholfen, so möchte ich ihn
doch fragen, in wie fern? Welche gute Richtung ist durch jene Parodien
befördert, welche schlechte unterdrückt worden? Das Beste von dem Mittelgut
teuer Tage waren immer noch Jean Pauls Romane, und diese sind durch die
Schnlkritik nicht begünstigt worden. -- Ein komisches Werk bedarf allerdings
iU seiner Rechtfertigung einer solchen Wirkung nicht; aber--diese von Kober¬
stein gerühmte Wirkung hat nicht stattgefunden. -- Die positive Wirkung be¬
gann erst mit Hoffmann; ob es eine Verbesserung war, ob eine gesündere Kost
"is Lafontaine und Jean Paul, mag dahin gestellt bleiben. -- Oder war
etwa Z. Werner der gesuchte Fortschritt? -- Wenn man von Schiller absieht,
der doch Tieck nicht viel zu verdanken hat. ist die Literatur von 1800 ein
^utschiedner Rückschritt gegen die vorige Periode, was die Leistungen ersten,
leiten und dritten Ranges betrifft. --S. 2166. Die "alten Klagen" über die
Moralität der Stell" (erste Ausgabe!) waren doch wohl nicht unbegründet? --
^> 2169 ff. Die günstige Einwirkung der 'Romantiker auf die germanistischen
Indien ist augenscheinlich; die auf die bildende Kunst kann ich, wenigstens
'U dem von Koberstein behaupteten Umfang, nicht zugeben. Daß damals das
^Unsträsonnement meist flach war, ist auch zuviel gesagt; Koberstein citirt den
'^lich schlechten Ramdohr; aber erinnert er sich nicht an Heinse, Merck, For-


Weiche'seinen Brief an Merck, 16. April 1777); in ihrer Form war im Anfang
große Verwandtschaft: man muß nur bei Tieck nicht blos an den Eckardt, son¬
dern an Abraham Tonelli, die Weiber Blaubarts und ähnliches denken. Der
eigentliche Respect vor den Volksmärchen gehört einer spätern Schule an. —
Ein durch Köpke veranlaßter Irrthum über die erste Bekanntschaft Tiecks mit
Friedrich Schlegel S. 2143 ist später von Koberstein selbst berichtigt. — Daß
in den Schildbürgern (S. 2160) sich ein größerer Respect vor dem Volts-
uwßjgen zeigen soll als in den Abderiten, kann ich nicht finden, nur muß man
uicht die Theorie der Excurse, sondern die Praxis des Textes zu Rathe ziehen.
^' S. 2161 läßt sich Koberstein durch den gestiefelten Kater zu einer Decka-
"union gegen die Literatur der achtziger und neunziger Jahre verleiten, bei
welcher er den vergleichenden Maßstab verliert. Gewiß wurden in jeuer Zeit
diele schlechte Bücher geschrieben; aber wann war es denn in Deutschland ta-
on besser? Ist etwa Tobias Kraut, Sophiens Reise, Thümmel, Hippel u. s. w.
schlechter als so mancher berühmte und unberühmte Roman unserer Tage?
steht Iffland etwa unserer Birchpfcisser nach? oder ist es zu irgend einer Periode
Unserer Literatur mit den Leihbibliotheken besser gewesen? Und dann darf
Koberstein auch nicht vergessen, daß zu den schlechtesten Büchern jener Tage Ab-
dallah und Lovell gehörten, die er gegen die böswilligen Recensenten
Schutz zu nehmen sucht, blos weil der Stil etwas besser war als
bei Lafontaine u. s. w. — Wenn er auf der folgenden Seite hinzusetzt,
Tiecks Parodien hätten dem Uebelstand abgeholfen, so möchte ich ihn
doch fragen, in wie fern? Welche gute Richtung ist durch jene Parodien
befördert, welche schlechte unterdrückt worden? Das Beste von dem Mittelgut
teuer Tage waren immer noch Jean Pauls Romane, und diese sind durch die
Schnlkritik nicht begünstigt worden. — Ein komisches Werk bedarf allerdings
iU seiner Rechtfertigung einer solchen Wirkung nicht; aber—diese von Kober¬
stein gerühmte Wirkung hat nicht stattgefunden. — Die positive Wirkung be¬
gann erst mit Hoffmann; ob es eine Verbesserung war, ob eine gesündere Kost
"is Lafontaine und Jean Paul, mag dahin gestellt bleiben. — Oder war
etwa Z. Werner der gesuchte Fortschritt? — Wenn man von Schiller absieht,
der doch Tieck nicht viel zu verdanken hat. ist die Literatur von 1800 ein
^utschiedner Rückschritt gegen die vorige Periode, was die Leistungen ersten,
leiten und dritten Ranges betrifft. —S. 2166. Die „alten Klagen" über die
Moralität der Stell« (erste Ausgabe!) waren doch wohl nicht unbegründet? —
^> 2169 ff. Die günstige Einwirkung der 'Romantiker auf die germanistischen
Indien ist augenscheinlich; die auf die bildende Kunst kann ich, wenigstens
'U dem von Koberstein behaupteten Umfang, nicht zugeben. Daß damals das
^Unsträsonnement meist flach war, ist auch zuviel gesagt; Koberstein citirt den
'^lich schlechten Ramdohr; aber erinnert er sich nicht an Heinse, Merck, For-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/393>, abgerufen am 24.08.2024.