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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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in vierzehn Tagen erreichen. Aber, sind sie vor der französischen Hauptstadt
angekommen, so beginnt erst ihre Aufgabe. Es ist schwer zu sagen, was eine
Armee vor diesem großen Platze, seit er befestigt ist, beginnen sollte, wenn
sie zugleich ein ziemlich ihr gewachsenes französisches Heer im freien Felde sich
gegenüber hat. Einen Platz einzuschließen, dessen Werke einen Umfang von
3 geographischen Meilen haben, und der in seiner Mitte, abgesehen von der
Besatzung an regulären Truppen 200,000 waffenfähige Männer hat, ihn aus¬
zuhungern, ist selbst für eine Armee von 300,000 M. eine unlösbare Aufgabe.
Sollen aber auf einem Punkte die Durchbruchsoperationen begonnen werden,
so gehören dazu mindestens 50,000 M.. und außerdem 100.000 M., um
diese gegen unausgesetzte Störungen durch Ausfälle der Besatzung auch
nur einigermaßen zu sichern. Selbst von einer 300,000 M. starken Armee
bleiben somit nicht mehr als 150.000 M. übrig, um den Angriffen der fran¬
zösischen Feldarmee die Spitze zu bieten, die hier, mitten im Lande mit ver¬
hältnißmäßiger Leichtigkeit auf das Doppelte gebracht werden kann. Aber es
ist fast unmöglich, daß die Verbündeten bei den voll uns herausgefundenen
Stärkeverhältnissen 300,000 M. bis vor Paris brächten. Wenn man auch
annehmen will, daß die Festungen an der Nordgrenze so wenig als möglich
beachtet würden, muß man doch mindestens 50,000 M. zu ihrer Beobachtung
rechnen. Als Paris noch offen war und man noch daraus zählen konnte, hier
eine schnelle Entscheidung zu erzielen, durste man sich mit viel größerem Rechte
als jetzt um die Plätze der Nordgrenze wenig oder gar nicht bekümmern.
Wenn sie aber durch einen langen Ausenthalt des Feindes vor Paris Zeit
gewinnen, sich zu gemeinsamem Wirken zusammenzuschaaren, so geht das gänz¬
liche Linksliegenlassen kaum noch an. Sie aber theilweis erst nehmen ZU
wollen, ehe man auf Paris vordringt, wäre durchaus nicht zu rathen; es
würden sich da gleiche Verhältnisse ergeben, wie bei dem Feldzuge Coburgs
17 93 und 1794. nur noch gefährlicher und bedenklicher, da man es heut nicht
mit einer erst zu organisirenden Revolutionsarmee zu thun Hütte.

Es ist vieles über die Befestigung von Paris geschrieben worden und
in mehrfachem Sinne. Das Unternehmen ward ebenso oft gebilligt als g^
tadelt, und Willisen unter Andern hat die Befestigung nicht blos für über¬
flüssig, er hat sie sogar für einen Fehler erklärt und nachzuweisen gesucht, daß
der Zweck der Befestigung von Paris auf andere Weise besser zu erreiche"
gewesen wäre. Alle Raisonnements dieser Art schlägt ein einziges Wort nieder!
Wenn die Franzosen selbst Frankreich in Paris suchen und finden, wo sollen
es dann die Fremden suchen und finden? Wo können die Gegner Frank¬
reichs bis auf eine vollständige Aenderung aller Verhältnisse hin die Erdhase^
dung im Kampfe wider Frankreich suchen, wenn nicht in Paris? Wir glauben,
daß die Feinde Frankreichs, seitdem Paris befestigt ist, an eine Invasion in


in vierzehn Tagen erreichen. Aber, sind sie vor der französischen Hauptstadt
angekommen, so beginnt erst ihre Aufgabe. Es ist schwer zu sagen, was eine
Armee vor diesem großen Platze, seit er befestigt ist, beginnen sollte, wenn
sie zugleich ein ziemlich ihr gewachsenes französisches Heer im freien Felde sich
gegenüber hat. Einen Platz einzuschließen, dessen Werke einen Umfang von
3 geographischen Meilen haben, und der in seiner Mitte, abgesehen von der
Besatzung an regulären Truppen 200,000 waffenfähige Männer hat, ihn aus¬
zuhungern, ist selbst für eine Armee von 300,000 M. eine unlösbare Aufgabe.
Sollen aber auf einem Punkte die Durchbruchsoperationen begonnen werden,
so gehören dazu mindestens 50,000 M.. und außerdem 100.000 M., um
diese gegen unausgesetzte Störungen durch Ausfälle der Besatzung auch
nur einigermaßen zu sichern. Selbst von einer 300,000 M. starken Armee
bleiben somit nicht mehr als 150.000 M. übrig, um den Angriffen der fran¬
zösischen Feldarmee die Spitze zu bieten, die hier, mitten im Lande mit ver¬
hältnißmäßiger Leichtigkeit auf das Doppelte gebracht werden kann. Aber es
ist fast unmöglich, daß die Verbündeten bei den voll uns herausgefundenen
Stärkeverhältnissen 300,000 M. bis vor Paris brächten. Wenn man auch
annehmen will, daß die Festungen an der Nordgrenze so wenig als möglich
beachtet würden, muß man doch mindestens 50,000 M. zu ihrer Beobachtung
rechnen. Als Paris noch offen war und man noch daraus zählen konnte, hier
eine schnelle Entscheidung zu erzielen, durste man sich mit viel größerem Rechte
als jetzt um die Plätze der Nordgrenze wenig oder gar nicht bekümmern.
Wenn sie aber durch einen langen Ausenthalt des Feindes vor Paris Zeit
gewinnen, sich zu gemeinsamem Wirken zusammenzuschaaren, so geht das gänz¬
liche Linksliegenlassen kaum noch an. Sie aber theilweis erst nehmen ZU
wollen, ehe man auf Paris vordringt, wäre durchaus nicht zu rathen; es
würden sich da gleiche Verhältnisse ergeben, wie bei dem Feldzuge Coburgs
17 93 und 1794. nur noch gefährlicher und bedenklicher, da man es heut nicht
mit einer erst zu organisirenden Revolutionsarmee zu thun Hütte.

Es ist vieles über die Befestigung von Paris geschrieben worden und
in mehrfachem Sinne. Das Unternehmen ward ebenso oft gebilligt als g^
tadelt, und Willisen unter Andern hat die Befestigung nicht blos für über¬
flüssig, er hat sie sogar für einen Fehler erklärt und nachzuweisen gesucht, daß
der Zweck der Befestigung von Paris auf andere Weise besser zu erreiche"
gewesen wäre. Alle Raisonnements dieser Art schlägt ein einziges Wort nieder!
Wenn die Franzosen selbst Frankreich in Paris suchen und finden, wo sollen
es dann die Fremden suchen und finden? Wo können die Gegner Frank¬
reichs bis auf eine vollständige Aenderung aller Verhältnisse hin die Erdhase^
dung im Kampfe wider Frankreich suchen, wenn nicht in Paris? Wir glauben,
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[0350] in vierzehn Tagen erreichen. Aber, sind sie vor der französischen Hauptstadt angekommen, so beginnt erst ihre Aufgabe. Es ist schwer zu sagen, was eine Armee vor diesem großen Platze, seit er befestigt ist, beginnen sollte, wenn sie zugleich ein ziemlich ihr gewachsenes französisches Heer im freien Felde sich gegenüber hat. Einen Platz einzuschließen, dessen Werke einen Umfang von 3 geographischen Meilen haben, und der in seiner Mitte, abgesehen von der Besatzung an regulären Truppen 200,000 waffenfähige Männer hat, ihn aus¬ zuhungern, ist selbst für eine Armee von 300,000 M. eine unlösbare Aufgabe. Sollen aber auf einem Punkte die Durchbruchsoperationen begonnen werden, so gehören dazu mindestens 50,000 M.. und außerdem 100.000 M., um diese gegen unausgesetzte Störungen durch Ausfälle der Besatzung auch nur einigermaßen zu sichern. Selbst von einer 300,000 M. starken Armee bleiben somit nicht mehr als 150.000 M. übrig, um den Angriffen der fran¬ zösischen Feldarmee die Spitze zu bieten, die hier, mitten im Lande mit ver¬ hältnißmäßiger Leichtigkeit auf das Doppelte gebracht werden kann. Aber es ist fast unmöglich, daß die Verbündeten bei den voll uns herausgefundenen Stärkeverhältnissen 300,000 M. bis vor Paris brächten. Wenn man auch annehmen will, daß die Festungen an der Nordgrenze so wenig als möglich beachtet würden, muß man doch mindestens 50,000 M. zu ihrer Beobachtung rechnen. Als Paris noch offen war und man noch daraus zählen konnte, hier eine schnelle Entscheidung zu erzielen, durste man sich mit viel größerem Rechte als jetzt um die Plätze der Nordgrenze wenig oder gar nicht bekümmern. Wenn sie aber durch einen langen Ausenthalt des Feindes vor Paris Zeit gewinnen, sich zu gemeinsamem Wirken zusammenzuschaaren, so geht das gänz¬ liche Linksliegenlassen kaum noch an. Sie aber theilweis erst nehmen ZU wollen, ehe man auf Paris vordringt, wäre durchaus nicht zu rathen; es würden sich da gleiche Verhältnisse ergeben, wie bei dem Feldzuge Coburgs 17 93 und 1794. nur noch gefährlicher und bedenklicher, da man es heut nicht mit einer erst zu organisirenden Revolutionsarmee zu thun Hütte. Es ist vieles über die Befestigung von Paris geschrieben worden und in mehrfachem Sinne. Das Unternehmen ward ebenso oft gebilligt als g^ tadelt, und Willisen unter Andern hat die Befestigung nicht blos für über¬ flüssig, er hat sie sogar für einen Fehler erklärt und nachzuweisen gesucht, daß der Zweck der Befestigung von Paris auf andere Weise besser zu erreiche" gewesen wäre. Alle Raisonnements dieser Art schlägt ein einziges Wort nieder! Wenn die Franzosen selbst Frankreich in Paris suchen und finden, wo sollen es dann die Fremden suchen und finden? Wo können die Gegner Frank¬ reichs bis auf eine vollständige Aenderung aller Verhältnisse hin die Erdhase^ dung im Kampfe wider Frankreich suchen, wenn nicht in Paris? Wir glauben, daß die Feinde Frankreichs, seitdem Paris befestigt ist, an eine Invasion in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/350>, abgerufen am 29.06.2024.