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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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welche bereits im Sommer vorigen Jahres zu den günstigsten Bedingungen enut-
tirt wurde, nicht effectuirt werden konnte. Nunmehr ist jedoch auch diese innere
Anleihe soeben wieder aufgenommen worden. Dazu trat gleichzeitig die Con-
cessionirung der Moskau-Saratow-Eisenbahn, welche ein Baukapital von
45 Mill., SR. fordert, wofür der Staat allerdings vier und einhalb Prozent
Zinsen auf 80 Jahre garantirt, im Uebrigen aber nicht so günstige Bedingungen
gewährt, als sie die große Eisenbahngesellschaft besitzt, welcher z. B. eine sünfpro-
zentige Verzinsung auf 85 Jahr gewährleistet wurde. Die Actionäre der Staats¬
bahnen werden sich also schwerlich in größerer Zahl an der Moskau-Sara-
towbahn betheiligen; die Actionäre anderer Privatunternehmen sind gleichfalls
bezüglich der Zinsen meistens besser gestellt, und diejenigen, welche bei un¬
sichern Projecten bereits Verluste erlitten, werden sicherlich ebenfalls nicht ge-
neigt sein, ihre Gelder in einem Schienenweg anzulegen, welcher allerdings
unzweifelhaft eine außerordentlich große Zukunft besitzt, jedoch unmöglich eher
zu diesem Ziele gelangt, als bis die Hauptlinien des großen Staatsbahnnctzes
nicht blos vollendet sind, sondern auch längs ihrer Schienenstränge bereits
eine wirkliche Jndustrieentwicklung ins Leben gerufen haben. Dies aber
ist kaum denkbar, so lang die Emanzipation der Leibeignen nicht blos selber
hergestellt ist, sondern ihrerseits auch die Umgestaltung der materiellen Ver-
hültnisse vollzogen hat, welche von der sozialen Reform erhofft wird. Auch
die Moskau-Saratowbahn wird also ihre Actien vorzugsweise außerhalb Ruß'
lands an den Mann bringen müssen, um an den Börsen zwar nicht als SpccU'
lationseffect, wohl aber als Anlage von Privatkapitalien eine Rolle z"
spielen. Ja, es scheint beinahe, als ob die russische Finanzpolitik etwas der¬
artiges gradezu in Aussicht genommen habe. Denn in demselben Momente,
in welchem die Petersburger Handels- und Bankgesellschaft, sowie die Mos-
kau-Saratow-Bahn concessionirt, die ausländische und die innere Anleihe aber
zur Verbesserung der Valutaverhältnissen wieder aufgenommen wurde in
diesem selben Momente bestimmte ein Ukas, daß "alle Kapitalien, welche sich
thatsächlich in den verschiedenen Creditnnstalten befinden und dort von
öffentlichen Verwaltungsbehörden, Wohlthätigkcitsinstitutcn, Kirchen und
Stiftungen jeder Art deponirt, desgleichen alle Kapitalien, welche prozessireN'
den Parteien angehören und entweder freiwillig oder auf richterlichen Befehl
dort niedergelegt worden sind oder in Zukunft eingezahlt werden, von
jetzt ab zur Verfügung des Finanzministers gestellt sind." Daß aus soM
Weise diese großen Kapitalien der Theilnahme an der industriellen Speculation
vollkommen entzogen sind, ist selbstverständlich. Ihre volle Beleuchtung erhalt
aber diese Maßregel erst dann, wenn man sich zugleich erinnert, daß auch
freiwilligen Einlagen der Privatkapitalisten bei den Creditbanken bereits seit dew
März laufenden Jahres in vierprozentige Renten verwandelt wurden, also fer-


welche bereits im Sommer vorigen Jahres zu den günstigsten Bedingungen enut-
tirt wurde, nicht effectuirt werden konnte. Nunmehr ist jedoch auch diese innere
Anleihe soeben wieder aufgenommen worden. Dazu trat gleichzeitig die Con-
cessionirung der Moskau-Saratow-Eisenbahn, welche ein Baukapital von
45 Mill., SR. fordert, wofür der Staat allerdings vier und einhalb Prozent
Zinsen auf 80 Jahre garantirt, im Uebrigen aber nicht so günstige Bedingungen
gewährt, als sie die große Eisenbahngesellschaft besitzt, welcher z. B. eine sünfpro-
zentige Verzinsung auf 85 Jahr gewährleistet wurde. Die Actionäre der Staats¬
bahnen werden sich also schwerlich in größerer Zahl an der Moskau-Sara-
towbahn betheiligen; die Actionäre anderer Privatunternehmen sind gleichfalls
bezüglich der Zinsen meistens besser gestellt, und diejenigen, welche bei un¬
sichern Projecten bereits Verluste erlitten, werden sicherlich ebenfalls nicht ge-
neigt sein, ihre Gelder in einem Schienenweg anzulegen, welcher allerdings
unzweifelhaft eine außerordentlich große Zukunft besitzt, jedoch unmöglich eher
zu diesem Ziele gelangt, als bis die Hauptlinien des großen Staatsbahnnctzes
nicht blos vollendet sind, sondern auch längs ihrer Schienenstränge bereits
eine wirkliche Jndustrieentwicklung ins Leben gerufen haben. Dies aber
ist kaum denkbar, so lang die Emanzipation der Leibeignen nicht blos selber
hergestellt ist, sondern ihrerseits auch die Umgestaltung der materiellen Ver-
hültnisse vollzogen hat, welche von der sozialen Reform erhofft wird. Auch
die Moskau-Saratowbahn wird also ihre Actien vorzugsweise außerhalb Ruß'
lands an den Mann bringen müssen, um an den Börsen zwar nicht als SpccU'
lationseffect, wohl aber als Anlage von Privatkapitalien eine Rolle z»
spielen. Ja, es scheint beinahe, als ob die russische Finanzpolitik etwas der¬
artiges gradezu in Aussicht genommen habe. Denn in demselben Momente,
in welchem die Petersburger Handels- und Bankgesellschaft, sowie die Mos-
kau-Saratow-Bahn concessionirt, die ausländische und die innere Anleihe aber
zur Verbesserung der Valutaverhältnissen wieder aufgenommen wurde in
diesem selben Momente bestimmte ein Ukas, daß „alle Kapitalien, welche sich
thatsächlich in den verschiedenen Creditnnstalten befinden und dort von
öffentlichen Verwaltungsbehörden, Wohlthätigkcitsinstitutcn, Kirchen und
Stiftungen jeder Art deponirt, desgleichen alle Kapitalien, welche prozessireN'
den Parteien angehören und entweder freiwillig oder auf richterlichen Befehl
dort niedergelegt worden sind oder in Zukunft eingezahlt werden, von
jetzt ab zur Verfügung des Finanzministers gestellt sind." Daß aus soM
Weise diese großen Kapitalien der Theilnahme an der industriellen Speculation
vollkommen entzogen sind, ist selbstverständlich. Ihre volle Beleuchtung erhalt
aber diese Maßregel erst dann, wenn man sich zugleich erinnert, daß auch
freiwilligen Einlagen der Privatkapitalisten bei den Creditbanken bereits seit dew
März laufenden Jahres in vierprozentige Renten verwandelt wurden, also fer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/334>, abgerufen am 28.09.2024.