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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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für jede Aeußerung geistigen Lebens. Aber eben weil dies ein Gesetz ist.
'se der freie Vorbehalt auch in gewisse Grenzen eingeschlossen. Der freie Vor-
behalt für die Ordnung der Operationen bleibt trotz allen Scheins des Gegen¬
theils in dem Kriegsplan beschlossen, der freie Vorbehalt für die Schlacht in
dem Operationsplan, der freie Vorbehalt für die Ordnung des Gefechts in
dem Schlachtplan. Weil diese einfachen und fruchtbaren Wahrheiten oft nicht
begriffen werden, müssen wir so viele Faseleien in sogenannten Lehrbüchern
der Kriegskunst, die besonders practisch sein wollen, über den Aufschwung des
Genies, über die Regellosigkeit und Gesetzlosigkeit der Kriegskunst lesen, so viele
Faseleien in der Ausführung -- wahrscheinlich in Folge dieser eingebildeten
Regellosigkeit -- sehen. Als ob die Regel aufhörte, wo die Regula ne tri
aufhört!! Mancher wird vielleicht unser Gesetz des freien Vorbehaltes für
eine unpractische "philosophische" Quengelei erklären. Indessen, wir wollen
an einem Beispiel, welches sich auf engern Raum concentrirt. welches außer¬
dem unter unser Aller Augen ausgeführt wurde, einmal zeigen, daß die Sache
nicht blos, wie ein höflicher Mann sagen würde, ihre sehr practischen Seiten
hat, sondern daß sie durch und durch und nur practisch ist.

In Folge der Note Preußens vom 14. Juni, welche die Garantieüber-
Nahme für die Erhaltung der Lombardei bei Oestreich ablehnte, ward im
Kriegsrath im kaiserlichen Hauptquartier beschlossen, wieder über den Mincio
vorzugehen und am Chiese die Franzosen und Sardinier aufzusuchen*). Heß
N'ar dagegen, er wollte verschanzt hinter dem Mincio stehen bleiben und
"bwarten. Doch, überstimmt, machte er seine Meinung nicht weiter geltend;
°r ist eben auch angefressen von dem Krebs allerunterthänigster Ergebenheit.
^ Ueß die Dinge gehen, wie sie wollten, und kümmerte sich um gar nichts
"'ehr. Namming übernahm die ganze Anordnung der Operationen. Der Plan
inen Marsch über den Mincio und an den Chiese ward entworfen, das Ge¬
setz des freien Vorbehaltes aber gar nicht beachtet. Es ward keine Rücksicht
darauf genommen, daß man unterwegs mit dem Feinde zusammenstoßen könnte,
und Namming war noch am hellen Vormittag des 24. Juni, mitten in der
Schlacht von Solferino -- unseres Wissens mindestens uoch nach 10 Uhr.
Möglicher Weise noch eine Stunde später -- völlig überzeugt, daß es blos
°'N Vorpostcngcfecht gebe und an eine Schlacht nicht zu denken sei. -- Man
^'d vielleicht einsehen, daß nur hieraus das späte Vorwärtskommen der Ne¬
rven des Centrums vom ersten und vom siebenten Armeecorps zu erklären
^ und das Uebrige kann sich dann jeder selbst nach Belieben ausmalen und
entwickeln.

^Das Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegskunst ist von wenigen



") Alles, was wir hier anführen, sind allerdings noch wenig bekannte, aber vollständig'HUge Thatsachen. Man wird noch manches zu hören bekommen.
Grenzboten IV. 1859, 39

für jede Aeußerung geistigen Lebens. Aber eben weil dies ein Gesetz ist.
'se der freie Vorbehalt auch in gewisse Grenzen eingeschlossen. Der freie Vor-
behalt für die Ordnung der Operationen bleibt trotz allen Scheins des Gegen¬
theils in dem Kriegsplan beschlossen, der freie Vorbehalt für die Schlacht in
dem Operationsplan, der freie Vorbehalt für die Ordnung des Gefechts in
dem Schlachtplan. Weil diese einfachen und fruchtbaren Wahrheiten oft nicht
begriffen werden, müssen wir so viele Faseleien in sogenannten Lehrbüchern
der Kriegskunst, die besonders practisch sein wollen, über den Aufschwung des
Genies, über die Regellosigkeit und Gesetzlosigkeit der Kriegskunst lesen, so viele
Faseleien in der Ausführung — wahrscheinlich in Folge dieser eingebildeten
Regellosigkeit — sehen. Als ob die Regel aufhörte, wo die Regula ne tri
aufhört!! Mancher wird vielleicht unser Gesetz des freien Vorbehaltes für
eine unpractische „philosophische" Quengelei erklären. Indessen, wir wollen
an einem Beispiel, welches sich auf engern Raum concentrirt. welches außer¬
dem unter unser Aller Augen ausgeführt wurde, einmal zeigen, daß die Sache
nicht blos, wie ein höflicher Mann sagen würde, ihre sehr practischen Seiten
hat, sondern daß sie durch und durch und nur practisch ist.

In Folge der Note Preußens vom 14. Juni, welche die Garantieüber-
Nahme für die Erhaltung der Lombardei bei Oestreich ablehnte, ward im
Kriegsrath im kaiserlichen Hauptquartier beschlossen, wieder über den Mincio
vorzugehen und am Chiese die Franzosen und Sardinier aufzusuchen*). Heß
N'ar dagegen, er wollte verschanzt hinter dem Mincio stehen bleiben und
"bwarten. Doch, überstimmt, machte er seine Meinung nicht weiter geltend;
°r ist eben auch angefressen von dem Krebs allerunterthänigster Ergebenheit.
^ Ueß die Dinge gehen, wie sie wollten, und kümmerte sich um gar nichts
"'ehr. Namming übernahm die ganze Anordnung der Operationen. Der Plan
inen Marsch über den Mincio und an den Chiese ward entworfen, das Ge¬
setz des freien Vorbehaltes aber gar nicht beachtet. Es ward keine Rücksicht
darauf genommen, daß man unterwegs mit dem Feinde zusammenstoßen könnte,
und Namming war noch am hellen Vormittag des 24. Juni, mitten in der
Schlacht von Solferino — unseres Wissens mindestens uoch nach 10 Uhr.
Möglicher Weise noch eine Stunde später — völlig überzeugt, daß es blos
°'N Vorpostcngcfecht gebe und an eine Schlacht nicht zu denken sei. — Man
^'d vielleicht einsehen, daß nur hieraus das späte Vorwärtskommen der Ne¬
rven des Centrums vom ersten und vom siebenten Armeecorps zu erklären
^ und das Uebrige kann sich dann jeder selbst nach Belieben ausmalen und
entwickeln.

^Das Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegskunst ist von wenigen



") Alles, was wir hier anführen, sind allerdings noch wenig bekannte, aber vollständig'HUge Thatsachen. Man wird noch manches zu hören bekommen.
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[0317] für jede Aeußerung geistigen Lebens. Aber eben weil dies ein Gesetz ist. 'se der freie Vorbehalt auch in gewisse Grenzen eingeschlossen. Der freie Vor- behalt für die Ordnung der Operationen bleibt trotz allen Scheins des Gegen¬ theils in dem Kriegsplan beschlossen, der freie Vorbehalt für die Schlacht in dem Operationsplan, der freie Vorbehalt für die Ordnung des Gefechts in dem Schlachtplan. Weil diese einfachen und fruchtbaren Wahrheiten oft nicht begriffen werden, müssen wir so viele Faseleien in sogenannten Lehrbüchern der Kriegskunst, die besonders practisch sein wollen, über den Aufschwung des Genies, über die Regellosigkeit und Gesetzlosigkeit der Kriegskunst lesen, so viele Faseleien in der Ausführung — wahrscheinlich in Folge dieser eingebildeten Regellosigkeit — sehen. Als ob die Regel aufhörte, wo die Regula ne tri aufhört!! Mancher wird vielleicht unser Gesetz des freien Vorbehaltes für eine unpractische „philosophische" Quengelei erklären. Indessen, wir wollen an einem Beispiel, welches sich auf engern Raum concentrirt. welches außer¬ dem unter unser Aller Augen ausgeführt wurde, einmal zeigen, daß die Sache nicht blos, wie ein höflicher Mann sagen würde, ihre sehr practischen Seiten hat, sondern daß sie durch und durch und nur practisch ist. In Folge der Note Preußens vom 14. Juni, welche die Garantieüber- Nahme für die Erhaltung der Lombardei bei Oestreich ablehnte, ward im Kriegsrath im kaiserlichen Hauptquartier beschlossen, wieder über den Mincio vorzugehen und am Chiese die Franzosen und Sardinier aufzusuchen*). Heß N'ar dagegen, er wollte verschanzt hinter dem Mincio stehen bleiben und "bwarten. Doch, überstimmt, machte er seine Meinung nicht weiter geltend; °r ist eben auch angefressen von dem Krebs allerunterthänigster Ergebenheit. ^ Ueß die Dinge gehen, wie sie wollten, und kümmerte sich um gar nichts "'ehr. Namming übernahm die ganze Anordnung der Operationen. Der Plan inen Marsch über den Mincio und an den Chiese ward entworfen, das Ge¬ setz des freien Vorbehaltes aber gar nicht beachtet. Es ward keine Rücksicht darauf genommen, daß man unterwegs mit dem Feinde zusammenstoßen könnte, und Namming war noch am hellen Vormittag des 24. Juni, mitten in der Schlacht von Solferino — unseres Wissens mindestens uoch nach 10 Uhr. Möglicher Weise noch eine Stunde später — völlig überzeugt, daß es blos °'N Vorpostcngcfecht gebe und an eine Schlacht nicht zu denken sei. — Man ^'d vielleicht einsehen, daß nur hieraus das späte Vorwärtskommen der Ne¬ rven des Centrums vom ersten und vom siebenten Armeecorps zu erklären ^ und das Uebrige kann sich dann jeder selbst nach Belieben ausmalen und entwickeln. ^Das Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegskunst ist von wenigen ") Alles, was wir hier anführen, sind allerdings noch wenig bekannte, aber vollständig'HUge Thatsachen. Man wird noch manches zu hören bekommen. Grenzboten IV. 1859, 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/317>, abgerufen am 29.06.2024.