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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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von ihm entfernte. Man braucht durchaus nicht Blüchers und seines Sta¬
lles Verdienst zu verkleinern, daß sie statt auf Lüttich und Mastricht ihre Trup¬
pen auf Wawre zurückzogen, und kann dennoch einsehen und zugeben, daß
durch den speciellen Operationsplan für das niederrheinische Kriegstheater die
Geister in der preußischen Armee schon wesentlich aus den Rückzug nach Wawre
vorbereitet waren. Angenommen aber, Wellington ward bei Bellealliance ge¬
schlagen, ehe Blücher ihm b'eispringen konnte, und setzte nun seinen Rückzug
aus Brüssel und Antwerpen fort, würde auch in diesem Falle Blücher unter
allen Umständen derselben Richtung gefolgt sein? oder muß man nicht viel¬
mehr voraussetzen, daß er nun daran gedacht haben würde, den Rhein, wenn
auch nur bei Düsseldorf und Cöln, zu erreichen, um hier zugleich sicherer
Verstärkungen zu gewinnen, als dies auf dem westlichen Theile des Kriegs'
ebenders zu hoffen war, und um sich seiner ursprünglichen, ihm durch den
Kriegsplan angewiesenen Angriffs-, wie Nückzugslinie wieder zu nähern?

Daraus ergibt sich nun. daß schon im Kriegsplan eine Grundbestimmung
für die möglichen Operationsplüne liegt, daß er aber diese niemals so schroff
bestimmen darf, um nur noch einen einzigen in jedem Falle übrig zu lassen-
Mit andern Worten: es ist ein Unsinn, einen Operationsplan Monate
lang im Voraus festsetzen zu wollen, und sich unabänderlich an ihn zu bin¬
den oder sich einzubilden, daß dies'ohne Gefahr möglich sei. Vielmehr kann
innerhalb des Kriegsplanes an einem bestimmten Punkte der von ihm vorge-
zeichneten Linien in einer Stunde der Entschluß zu einer Operation, ein Ope¬
rationsplan also, reifen, welcher scheinbar ' und wenn man nur die kleinen
Verhältnisse ins Auge faßt, auf drei Tage, auf acht Tage, auf noch länger-
em Heer von jenen Linien entfernt. Und so muß es sein. Sagt man nicht'
die Kriege werden durch die Bewegung gewonnen? Sollte man darunter etwa
blos die physische, nicht auch die geistige Bewegung verstehen, welche ja jene
erst erzeugt? Und doch haben wir erst noch in neuester Zeit vernehmen müssen-
daß in Wien Operationspläne discutirt wurden, die am Tessin ausge¬
führt werden sollten und die wo möglich jede Etappe des Heeres vorschreiben-
Warum? weil man den Operationsplan mit dem Kriegsplan verwechselt
was dann aber nicht blos den Operationen, die in dem Schraubstock völlig
unbeweglich festgeklemmt werden, sondern auch der Kriegführung, diese von
einem höheren Standpunkte betrachtet, Schaden bringt. 'da der Kriegspla"
eingeengt wird, da man bei ihm nur auf gewisse Operationen denkt, die sich
einfach geometrisch darstellen lassen und darüber vielleicht das Verhältniß der
Kräfte, die diplomatischen Mittel, durch welche man fremde Kräfte seinew
Dienst unterwerfen, dem feindlichen entziehen kann, vergißt, mit den diplo¬
matischen also auch die militärischen Mittel, welche jene unterstützen können-
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Es gibt ein Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegführung,>"


von ihm entfernte. Man braucht durchaus nicht Blüchers und seines Sta¬
lles Verdienst zu verkleinern, daß sie statt auf Lüttich und Mastricht ihre Trup¬
pen auf Wawre zurückzogen, und kann dennoch einsehen und zugeben, daß
durch den speciellen Operationsplan für das niederrheinische Kriegstheater die
Geister in der preußischen Armee schon wesentlich aus den Rückzug nach Wawre
vorbereitet waren. Angenommen aber, Wellington ward bei Bellealliance ge¬
schlagen, ehe Blücher ihm b'eispringen konnte, und setzte nun seinen Rückzug
aus Brüssel und Antwerpen fort, würde auch in diesem Falle Blücher unter
allen Umständen derselben Richtung gefolgt sein? oder muß man nicht viel¬
mehr voraussetzen, daß er nun daran gedacht haben würde, den Rhein, wenn
auch nur bei Düsseldorf und Cöln, zu erreichen, um hier zugleich sicherer
Verstärkungen zu gewinnen, als dies auf dem westlichen Theile des Kriegs'
ebenders zu hoffen war, und um sich seiner ursprünglichen, ihm durch den
Kriegsplan angewiesenen Angriffs-, wie Nückzugslinie wieder zu nähern?

Daraus ergibt sich nun. daß schon im Kriegsplan eine Grundbestimmung
für die möglichen Operationsplüne liegt, daß er aber diese niemals so schroff
bestimmen darf, um nur noch einen einzigen in jedem Falle übrig zu lassen-
Mit andern Worten: es ist ein Unsinn, einen Operationsplan Monate
lang im Voraus festsetzen zu wollen, und sich unabänderlich an ihn zu bin¬
den oder sich einzubilden, daß dies'ohne Gefahr möglich sei. Vielmehr kann
innerhalb des Kriegsplanes an einem bestimmten Punkte der von ihm vorge-
zeichneten Linien in einer Stunde der Entschluß zu einer Operation, ein Ope¬
rationsplan also, reifen, welcher scheinbar ' und wenn man nur die kleinen
Verhältnisse ins Auge faßt, auf drei Tage, auf acht Tage, auf noch länger-
em Heer von jenen Linien entfernt. Und so muß es sein. Sagt man nicht'
die Kriege werden durch die Bewegung gewonnen? Sollte man darunter etwa
blos die physische, nicht auch die geistige Bewegung verstehen, welche ja jene
erst erzeugt? Und doch haben wir erst noch in neuester Zeit vernehmen müssen-
daß in Wien Operationspläne discutirt wurden, die am Tessin ausge¬
führt werden sollten und die wo möglich jede Etappe des Heeres vorschreiben-
Warum? weil man den Operationsplan mit dem Kriegsplan verwechselt
was dann aber nicht blos den Operationen, die in dem Schraubstock völlig
unbeweglich festgeklemmt werden, sondern auch der Kriegführung, diese von
einem höheren Standpunkte betrachtet, Schaden bringt. 'da der Kriegspla»
eingeengt wird, da man bei ihm nur auf gewisse Operationen denkt, die sich
einfach geometrisch darstellen lassen und darüber vielleicht das Verhältniß der
Kräfte, die diplomatischen Mittel, durch welche man fremde Kräfte seinew
Dienst unterwerfen, dem feindlichen entziehen kann, vergißt, mit den diplo¬
matischen also auch die militärischen Mittel, welche jene unterstützen können-
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Es gibt ein Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegführung,>"


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[0316] von ihm entfernte. Man braucht durchaus nicht Blüchers und seines Sta¬ lles Verdienst zu verkleinern, daß sie statt auf Lüttich und Mastricht ihre Trup¬ pen auf Wawre zurückzogen, und kann dennoch einsehen und zugeben, daß durch den speciellen Operationsplan für das niederrheinische Kriegstheater die Geister in der preußischen Armee schon wesentlich aus den Rückzug nach Wawre vorbereitet waren. Angenommen aber, Wellington ward bei Bellealliance ge¬ schlagen, ehe Blücher ihm b'eispringen konnte, und setzte nun seinen Rückzug aus Brüssel und Antwerpen fort, würde auch in diesem Falle Blücher unter allen Umständen derselben Richtung gefolgt sein? oder muß man nicht viel¬ mehr voraussetzen, daß er nun daran gedacht haben würde, den Rhein, wenn auch nur bei Düsseldorf und Cöln, zu erreichen, um hier zugleich sicherer Verstärkungen zu gewinnen, als dies auf dem westlichen Theile des Kriegs' ebenders zu hoffen war, und um sich seiner ursprünglichen, ihm durch den Kriegsplan angewiesenen Angriffs-, wie Nückzugslinie wieder zu nähern? Daraus ergibt sich nun. daß schon im Kriegsplan eine Grundbestimmung für die möglichen Operationsplüne liegt, daß er aber diese niemals so schroff bestimmen darf, um nur noch einen einzigen in jedem Falle übrig zu lassen- Mit andern Worten: es ist ein Unsinn, einen Operationsplan Monate lang im Voraus festsetzen zu wollen, und sich unabänderlich an ihn zu bin¬ den oder sich einzubilden, daß dies'ohne Gefahr möglich sei. Vielmehr kann innerhalb des Kriegsplanes an einem bestimmten Punkte der von ihm vorge- zeichneten Linien in einer Stunde der Entschluß zu einer Operation, ein Ope¬ rationsplan also, reifen, welcher scheinbar ' und wenn man nur die kleinen Verhältnisse ins Auge faßt, auf drei Tage, auf acht Tage, auf noch länger- em Heer von jenen Linien entfernt. Und so muß es sein. Sagt man nicht' die Kriege werden durch die Bewegung gewonnen? Sollte man darunter etwa blos die physische, nicht auch die geistige Bewegung verstehen, welche ja jene erst erzeugt? Und doch haben wir erst noch in neuester Zeit vernehmen müssen- daß in Wien Operationspläne discutirt wurden, die am Tessin ausge¬ führt werden sollten und die wo möglich jede Etappe des Heeres vorschreiben- Warum? weil man den Operationsplan mit dem Kriegsplan verwechselt was dann aber nicht blos den Operationen, die in dem Schraubstock völlig unbeweglich festgeklemmt werden, sondern auch der Kriegführung, diese von einem höheren Standpunkte betrachtet, Schaden bringt. 'da der Kriegspla» eingeengt wird, da man bei ihm nur auf gewisse Operationen denkt, die sich einfach geometrisch darstellen lassen und darüber vielleicht das Verhältniß der Kräfte, die diplomatischen Mittel, durch welche man fremde Kräfte seinew Dienst unterwerfen, dem feindlichen entziehen kann, vergißt, mit den diplo¬ matischen also auch die militärischen Mittel, welche jene unterstützen können- >e Es gibt ein Gesetz des freien Vorbehaltes in der Kriegführung,>"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/316>, abgerufen am 29.06.2024.