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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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der Herausgeber möge sich einmal die Aufgabe stellen, aus -den moralischen
Factoren. die er an demselben übrig läßt (mag er an Talent so viel hinzu¬
thun als ihm beliebt), zu erklären, was Erasmus gewesen ist und geleistet
hat, ob die Rechnung herauskommen wird. Indeß, in eine Würdigung des
Charakters von Erasmus einzugehen und die Einseitigkeit der Böckingschen
Betrachtungsweise aufzuzeigen, ist hier unsres Amtes nicht; wol aber das,
zur überflüssigen Bestätigung des Satzes, daß Leidenschaft nie gut thut, nach¬
zuweisen, wie den Herausgeber sein Widerwille gegen Erasmus mehrfach in
seinem eigenen Berufe als Erklärer irre geführt, gegen den zu Tage liegenden
Sinn mancher Stellen verblendet hat. Erasmus schreibt einmal an Pirckheimer:
Dursrv uostio giawlor- ex animo: äignus sse artikex, <mi imm<ZMM mo-
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vUMg,turn8 essöm Llrristum (S. 251 f.). Diese Stelle findet Böcking wo
nicht verdorben, doch dunkel, und mag dem Erasmischcn Hohn oder Selvst-
whm, der darin stecke, gar nicht weiter nachgehen. Und nun, was ist es?
Erasmus wünscht dem großen Maler, einem Künstler, der billig gar nicht
sterblich sein sollte. Glück zur Wiederherstellung seiner Gesundheit; er selbst
habe einst an dem gleichen Uebel gelitte", das aus einem geringfügigen An¬
laß entstanden gewesen und lebensmüde, wie er längst sei, habe er sich
Ichor seiner bevorstehenden Auflösung gefreut. In der That, hier ist nirgends
^n Dunkel, außer im Auge des Herausgebers, und nirgends ein Uebelwollen
in seiner Gesinnung gegen Erasmus.

Besonders in der Lxovgig. unterbricht der Herausgeber den Schriftsteller
alle Augenblicke mit feindseligen Zwischenreden. "Wahrhaft Erasmisch, aber
">ehe wahr! Boshafte Verdrehung von Huttens Worten! Schon wieder
Selbstlob! So einfältig bist du nicht, Erasmus, daß das dein Ernst sein
könnte!" so geht es sort bis zu dem Nachruf am Schlüsse: Leus vais, niAM
^rg,8lui>. Leider geschieht diesem hiermit nicht selten nur sein Recht. Bis¬
weilen aber doch auch das Gegentheil. Einmal erinnert er Hütten an seinen
^Uef für den Kurfürsten von Mainz, den er ihm einst als Einschluß geschickt,
""d den Hütten, statt denselben, wie ihm freigestellt war, entweder zu über¬
leben oder zu cassiren, indiscreterweise hatte drucken lassen (S. meine Biogr.
huttens II, S. 280 s.). Dabei bedient er sich des Ausdrucks: er habe den
uef an Jemanden geschickt, <Mi imUi notivr est yug.in Kuttsno. Und in
Wendung, die in ironischer Rede so natürlich als alltäglich ist, findet
>ng eine eigenthümlich Eraomische Malice (LiÄ8mich rivn äiois: s,ä ipsum
Nulleran S. 311). Wo der bekanntlich früh gealterte Erasmus von der
grauen Haaren schuldigen Ehrfurcht spricht, wirft Böcking ein. er seikein
^ damals erst 56 Jahr alt gewesen (S. 273); ein andermal berechnet er,


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der Herausgeber möge sich einmal die Aufgabe stellen, aus -den moralischen
Factoren. die er an demselben übrig läßt (mag er an Talent so viel hinzu¬
thun als ihm beliebt), zu erklären, was Erasmus gewesen ist und geleistet
hat, ob die Rechnung herauskommen wird. Indeß, in eine Würdigung des
Charakters von Erasmus einzugehen und die Einseitigkeit der Böckingschen
Betrachtungsweise aufzuzeigen, ist hier unsres Amtes nicht; wol aber das,
zur überflüssigen Bestätigung des Satzes, daß Leidenschaft nie gut thut, nach¬
zuweisen, wie den Herausgeber sein Widerwille gegen Erasmus mehrfach in
seinem eigenen Berufe als Erklärer irre geführt, gegen den zu Tage liegenden
Sinn mancher Stellen verblendet hat. Erasmus schreibt einmal an Pirckheimer:
Dursrv uostio giawlor- ex animo: äignus sse artikex, <mi imm<ZMM mo-
riawr-. . . Aos eoäem in MW tuimus, mal» ex r-6 niliili irg,to: xerssn-
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nicht verdorben, doch dunkel, und mag dem Erasmischcn Hohn oder Selvst-
whm, der darin stecke, gar nicht weiter nachgehen. Und nun, was ist es?
Erasmus wünscht dem großen Maler, einem Künstler, der billig gar nicht
sterblich sein sollte. Glück zur Wiederherstellung seiner Gesundheit; er selbst
habe einst an dem gleichen Uebel gelitte», das aus einem geringfügigen An¬
laß entstanden gewesen und lebensmüde, wie er längst sei, habe er sich
Ichor seiner bevorstehenden Auflösung gefreut. In der That, hier ist nirgends
^n Dunkel, außer im Auge des Herausgebers, und nirgends ein Uebelwollen
in seiner Gesinnung gegen Erasmus.

Besonders in der Lxovgig. unterbricht der Herausgeber den Schriftsteller
alle Augenblicke mit feindseligen Zwischenreden. „Wahrhaft Erasmisch, aber
">ehe wahr! Boshafte Verdrehung von Huttens Worten! Schon wieder
Selbstlob! So einfältig bist du nicht, Erasmus, daß das dein Ernst sein
könnte!" so geht es sort bis zu dem Nachruf am Schlüsse: Leus vais, niAM
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weilen aber doch auch das Gegentheil. Einmal erinnert er Hütten an seinen
^Uef für den Kurfürsten von Mainz, den er ihm einst als Einschluß geschickt,
"«d den Hütten, statt denselben, wie ihm freigestellt war, entweder zu über¬
leben oder zu cassiren, indiscreterweise hatte drucken lassen (S. meine Biogr.
huttens II, S. 280 s.). Dabei bedient er sich des Ausdrucks: er habe den
uef an Jemanden geschickt, <Mi imUi notivr est yug.in Kuttsno. Und in
Wendung, die in ironischer Rede so natürlich als alltäglich ist, findet
>ng eine eigenthümlich Eraomische Malice (LiÄ8mich rivn äiois: s,ä ipsum
Nulleran S. 311). Wo der bekanntlich früh gealterte Erasmus von der
grauen Haaren schuldigen Ehrfurcht spricht, wirft Böcking ein. er seikein
^ damals erst 56 Jahr alt gewesen (S. 273); ein andermal berechnet er,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/263>, abgerufen am 29.06.2024.