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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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pflegten, als Unterredner und wol auch Verfasser von Satiren gedacht, verstehen.
-- An einer andern Stelle müssen wir den Herausgeber der Verwechslung des
Gartens Gethsemane mit dem Paradiesgarten beschuldigen. Le tu secutus
es nraeclieatorein evanFelieum, schreibt Hütten an Justus Jonas nach Worms,
ut in Iwrto sis eum illo (56, 8), und Böcking setzt in die Note: Irorto, i. e.
og-r-icliso et'. I^ne. XXIII, 43 (die Worte Christi zum Schacher: Heute wirst
du mit mir im Paradiese sein). Allein, wenn noch in demselben Briefe Hüt¬
ten bedauert, daß den Crotus sein unseliges Erfurter Rectorat abgehalten
habe, <zuo minus et ixse eonjieeret se in orMdile cliserimen, und wenn
Eoban in einer Elegie, die uns der Herausgeber gleich auf der folgenden
Seite zu lesen gibt, den Jonas um eben jener Begleitung willen anredet:


^.usf xg,rs,ta, seizui velut in sug. eg.ta, rührten,

so ist klar, daß jener Garten, in welchem Jonas dem Herolde des Evange¬
liums zur Seite sein wollte, kein Paradies, sondern ein recht ausgesetzter, le¬
bensgefährlicher Posten war. So hat es auch der alte Uebersetzer in der
Walchischen Ausgabe von Luthers Werken. Th. XV, S. 195l. Johann Frick,
gefaßt, wenn er übersetzte: daß ihr mit ihm im Rosengarten euch befindet.
Allein solche Anspielung auf ein Glied der deutschen Heldensage wäre bei
Hütten ungewöhnlich, dessen Phantasie vielmehr in den Vorstellungen und
Bildern der classischen Welt, und soweit er mit der Reformation in Berüh¬
rung kam, der Bibel, sich bewegte. Als Luther gen Worms zog, um sich vor
Kaiser und Reich zu stellen, war die allgemeine Befürchtung seiner Anhänger,
dort werde der weltliche Arm sich seiner bemächtigen, gleichwie einst im Gar¬
ten Gethsemane des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet
ward: und dahin dem Nachfolger Christi gefolgt zu sein, hier ihn nicht, wie
dort die Jünger den Herrn, verlassen zu haben, das rechnet Hütten dem Jonas
als viewten/omni amore ciigmrm an.

Schon in unsrer Anzeige des ersten Bandes haben wir den Feuereifer
bemerklich gemacht, mit welchem Böcking für seinen Ritter an allen Wider¬
sachern desselben zum Ritter wird. Schon dort ahnten wir aus verschiedenen
Wettcrzeichen insbesondere für Erasmus den Ausbruch eines bösen Hagel¬
wetters in diesem zweiten Bande, der ja nun die Actenstücke des zwischen ihm
und Hütten geführten Streits enthält. Doch auch hierin, wie in manchen
andern Stücken, hat der Herausgeber unsre Erwartung übertroffen. Es ist
nichts Geringeres als ein moralischer Vernichtungskrieg, den er in diesem
Bande gegen Erasmus führt. Er stellt ihn als einen Menschen dar, dem
seine Gemächlichkeit und Eitelkeit über alles ging, der niemals Jemand ge'
liebt und verehrt hat als sich selbst, dem Lüge Gewohnheit. Falschheit andere
Natur war. Die mancherlei Schwächen und bedenklichen Fehler des Erasmus
verkenne ich schon deswegen nicht, weil sie unmöglich zu verkennen sind; aber


pflegten, als Unterredner und wol auch Verfasser von Satiren gedacht, verstehen.
— An einer andern Stelle müssen wir den Herausgeber der Verwechslung des
Gartens Gethsemane mit dem Paradiesgarten beschuldigen. Le tu secutus
es nraeclieatorein evanFelieum, schreibt Hütten an Justus Jonas nach Worms,
ut in Iwrto sis eum illo (56, 8), und Böcking setzt in die Note: Irorto, i. e.
og-r-icliso et'. I^ne. XXIII, 43 (die Worte Christi zum Schacher: Heute wirst
du mit mir im Paradiese sein). Allein, wenn noch in demselben Briefe Hüt¬
ten bedauert, daß den Crotus sein unseliges Erfurter Rectorat abgehalten
habe, <zuo minus et ixse eonjieeret se in orMdile cliserimen, und wenn
Eoban in einer Elegie, die uns der Herausgeber gleich auf der folgenden
Seite zu lesen gibt, den Jonas um eben jener Begleitung willen anredet:


^.usf xg,rs,ta, seizui velut in sug. eg.ta, rührten,

so ist klar, daß jener Garten, in welchem Jonas dem Herolde des Evange¬
liums zur Seite sein wollte, kein Paradies, sondern ein recht ausgesetzter, le¬
bensgefährlicher Posten war. So hat es auch der alte Uebersetzer in der
Walchischen Ausgabe von Luthers Werken. Th. XV, S. 195l. Johann Frick,
gefaßt, wenn er übersetzte: daß ihr mit ihm im Rosengarten euch befindet.
Allein solche Anspielung auf ein Glied der deutschen Heldensage wäre bei
Hütten ungewöhnlich, dessen Phantasie vielmehr in den Vorstellungen und
Bildern der classischen Welt, und soweit er mit der Reformation in Berüh¬
rung kam, der Bibel, sich bewegte. Als Luther gen Worms zog, um sich vor
Kaiser und Reich zu stellen, war die allgemeine Befürchtung seiner Anhänger,
dort werde der weltliche Arm sich seiner bemächtigen, gleichwie einst im Gar¬
ten Gethsemane des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet
ward: und dahin dem Nachfolger Christi gefolgt zu sein, hier ihn nicht, wie
dort die Jünger den Herrn, verlassen zu haben, das rechnet Hütten dem Jonas
als viewten/omni amore ciigmrm an.

Schon in unsrer Anzeige des ersten Bandes haben wir den Feuereifer
bemerklich gemacht, mit welchem Böcking für seinen Ritter an allen Wider¬
sachern desselben zum Ritter wird. Schon dort ahnten wir aus verschiedenen
Wettcrzeichen insbesondere für Erasmus den Ausbruch eines bösen Hagel¬
wetters in diesem zweiten Bande, der ja nun die Actenstücke des zwischen ihm
und Hütten geführten Streits enthält. Doch auch hierin, wie in manchen
andern Stücken, hat der Herausgeber unsre Erwartung übertroffen. Es ist
nichts Geringeres als ein moralischer Vernichtungskrieg, den er in diesem
Bande gegen Erasmus führt. Er stellt ihn als einen Menschen dar, dem
seine Gemächlichkeit und Eitelkeit über alles ging, der niemals Jemand ge'
liebt und verehrt hat als sich selbst, dem Lüge Gewohnheit. Falschheit andere
Natur war. Die mancherlei Schwächen und bedenklichen Fehler des Erasmus
verkenne ich schon deswegen nicht, weil sie unmöglich zu verkennen sind; aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/262>, abgerufen am 28.09.2024.